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aufsichtsrechtes einräumen, auch ihm das Recht zur Einführung geist-
licher Orden und Klöster unter faſt völligem Ausſchluß der Staats-
uren ec zusprechen sollte, und dies alles als Vorſchriften der
Verfaſſung. Es waren tiefe Einschnitte in die F§ 78 und 84 der Ver-
fofruztzrtm: und der darauf erlassenen, noch éslienden Gesetze. Seit
den achtziger Jahren hatte das Zentrum die nach dem Gesetz von 1862
erforderliche Zulassung von Männerorden wiederholt von der Regierung
verlangt, war aber vom Rultminister wie vom gesamten Staatsmini-
sterium abgewiesen worden, da kein Grund vorliege, von bewährten
Grundsätzenzur Erhaltung des konfessionellen Friedens abzuweichen. Auch
den neuen Antrag erklärte Mittnacht an sich und zumal als grund-
gesetzliche Bindung für unannehmbar, bestritt auch den behaupteten
Zusammenhang mit der Verfaſſungsreform. Auch die 2. Kammer
lehnte den Gesetzesvorſchlag nach bewegter Aussprache mit 58 gegen
22 Stimmen (Zentrum und die 5 katholischen Ritter) ohne Kommissions-
beratung ab. Damit war er gefallen; tief gefallen war aber auch
die Aussicht auf Zustandekommen der Verfassungsreform.
Die 1. Kammer änderte an den Beſchlüssen der 2. Kammer nur
wenig; in der Hauptsache bestand sie auf Erweiterung ihrer Rechte
bei der Abgabenbewilligung. Darauf kam die 2. Kammer hierin
etwas entgegen. Allein nun stimmte das Zentrum gegen den Ent-
wurf „wegen der tatſächlichen Verschiebung der konfessionellen Ver-
hältnisſe in der 1. Kammer“. Der Entwurf erhielt wohl noch mit
48 gegen 38 Stimmen die Mehrheit, aber nicht die notwendige Zwei-
drittelmehrheit. Die Verfassungsreform war abermals geſcheitert ;
21. Dezember 1899. Eine schlimme Weihnachtsbescherung der Privi-
legierten und des Zentrums! „Es wird lange nicht vergessen werden,
daß diese Vorlage gescheitert ift, und wie sie gescheitert iſt“, rief Mitt:
nacht ihr nach. Zuſtandegekommen iſt nur das gleichzeitig grrgetot
Gesetz vom 28. Januar 1899 über die Landtagswahlen. führte
die Wahlumſchläge wieder ein, brachte den Isolierraum neu E:! ver-
längerte die Abstimmungszeit.
Gefallen dagegen mit der Verfassungsreform ist zugleich die
vorgeschlagene Einführung der allgemeinen progressinen Einkommen-
steuer. Uber diese große und wichtige Vorlage war Ubereinstimmung
erzielt bis auf einen, wesentlichen Punkt: die 1. Kammer verlangte
auch hier eine Machterweiterung durch die Vorſchrift, daß eine Er-
höhung des Normalsteuersatzes für einen Haushaltplan der besonderen
Zuſtimmung der \1. Kammer bedürfe (wie bei der Erbſchaftsteuer
s. S. 166). Allein dazu hätte die Volkspartei die Hand nur geboten
beim Zuſtandekommen der Verfassungsreform; ohne sie schien ihr eine
solche Gutmütigkeit über das erlaubte Maß hinauszugehen. Die nötig-
erachtete Zweidrittelmehrheit wurde daher auch hier nicht erreicht, und
ſo fiel auch diese Steuerreform trotz allen ihren Vorzügen.
Der am 17. Januar 1899 scſchtoffens, ausnahmsweise vierjährige
sts hatt: die bei seinem Beginn angekündigte Ara der großen
Ad am, Württ. Verfassung.