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die Parteien mit Zweidrittelmehrheit auf eine Bitte um eine neue
Vorlage geeinigt, worin der 1. Kammer die Gleichberechtigung ein-
geräumt wurde für den Fall, daß die Einkommensteuer für einen
Haushaltplan über den Normalsteuerſsatz des Steuergesetzes erhöht
werden wollte. Allein die Regierung versäumte das Eisen zu schmieden,
solange es heiß war. Die inzwischen neu gewählte Kammer hielt sich
an dem Beſchluß ihrer Vorgängerin nicht mehr gebunden und nur
nach schweren Kämpfen ließ sie sich Herbei, der 1. Kammer einen Ein-
fluß auf die Festſtellung der nach dem einzelnen Haushaltplane zu
erhebenden Steuersätze in der Weise einzuräumen, daß das Vorrecht
der 2. Kammer, die Einkommenſteuer im Finanzgesetz einseitig zu er-
höhen, wenigstens für den Fall gewahrt blieb, daß auch die andern
Steuern gleichzeitig im Verhältnis erhöht würden.
Die Grenzen zwischen Gesetz und Verordnung wurden von den
Ständen wiederholt erörtert, ohne daß ein festes Ergebnis erzielt worden
wäre. Die i. JI. 1895 aufgestellte Forderung gesetzlicher Feſtlegung
der Eisenbahntarife fand schon in der 2. Kammer so wenig Unter-
stützung, daß der Antrag zurückgezogen wurde. Dem dann gefaßten
Beschluß auf erweiterte ständiſche Mitwirkung beim Ansatz der Tarife
der Poſt und Eisenbahn ist die 1. Kammer nicht beigetreten. Aber
wenn auch die Regierung das Recht der Tarifierung für sich allein
in Anspruch nahm, unterließ sie doch nicht, vor erheblicheren, die
Finanzen tiefer beeinflusſenden Underungen sich der Zuſtimmung der
Landstände zu vergewissern, so besonders bei der von den deutſchen
Eisenbahnverwaltungen i. I. 1901 geplanten und i. I. 1906 gemein-
schaftlich vollzogenen Personentarifreform unter Einführung der 4. Wagen-
klaſſe und des Zweipfennigtarifes für diese. Die Verhandlungen hierüber
führten auch zu einer Aussprache über die Rätlichkeit eines Anſchlusses
an die preußiſch-hessiſche Eiſenbahngemeinſchaft. Aber Volkspartei,
Zentrum und Sozialdemokratie erklärten sich aus wirtlſchaftlichen,
politischen und konstitutionellen Gründen gegen ein Aufgeben der Selb-
ständigkeit, selbſt wenn dafür finanzielle Vorteile dauernd zu gewärtigen
sein sollten; nur für einen gesteigerten Einfluß des Reichseifenbahn-
amtes zur Verwirklichung des Art. 42 der Reichsverfaſſung waren
sie zu haben. Immerhin waren die Freunde der Eiſenbahngemein-
schaft von 6 im I. \1876 auf 26 im I. 1901 gestiegen (S. 161) ),!) und
die Frage wenigstens einer BetriebSmittelgemeinsſch aft kehrte immer
wieder und fand immer mehr Freunde.
Selbst in dem für Württembergs Einnahmen vorteilhaften Über-
einkommen mit dem Reich über gemeinſchaftliche Poſtwertzeichen hatten
manche den Ü- Uet Verluſt der eigenen Poſt, ja der eigenen
Eisenbahnen gewittert. Das mit dem [. Aril 1902 in Wirkung getretene
Ubereinkommen wurde von der 2. Kammer mit Ausnahme des Zen-
trums gebilligt, aber als ein Gegenstand der Gesetzgebung mitgeteilt
1) II. Kammer 1901/4 Prot. 2 (70) S. 887/977.