Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1968, Jg. 1, H. 1-4)

Architekturen werden durch in sie integrierte Zeichen- 
oder Symbolhaftigkeiten besonders attraktiv: sie sam- 
meln und strahlen aus und schaffen in und durch sich 
Kontakt unter den Menschen und Gemeinsamkeit. Ein 
heilsamer Gedanke für eine durch Aufsplitterung in 
ihrer Existenz bedrohte Gesellschaft! 
Die architektonische Zeichensprache in Form, Farbe, 
Material, Raumbildung etc., die heute noch und wieder 
Geltung hat, erzählt aus der Universalität und integriert 
in das menschliche Schicksal. Sie appeliert letztlich auch 
an das lyrische Bewußtsein des Menschen. In diesem 
Sinne ist sie wahrhaft kosmologisch und anthropologisch. 
Wenn sie dazu den symbolischen Hinweis ins Überna- 
türliche miteinschließt. kann sie auch das kontempla- 
tive Religionsbedürfnis des Menschen in etwa befrie- 
digen. 
Es gibt (in der Sprache der Soziologie) gute und 
schlechte Architekturen. Der reine Zweckrat i onalis- 
mus der westlichen Zivilisation hat es fertiggebracht. 
daß das funktionelle Haus und die funktionelle Wohnung 
trotz hohem Ausbaustandard und perfekter Nützlich- 
keit psychisch unbewohnbar wird, weil in ihr die Seele 
des Menschen zugrunde geht. Es fehlt ihr die "Archi- 
tektur'"'. So stellt sich heute das antifunktionelle Haus 
und die anti-funktionelle Wohnung als reale Alternative 
für menschenwürdiges Leben in der Stadt gegen die 
Perfektion der industriellen Bauproduktion. Wir brau- 
chen das "Architektonische", das in neuartiger Weise 
Raum und Atmosphäre kontaktiert, damit sich eine ge- 
wisse psychische Befreiung des Menschen aus einer 
drückenden Engnis unserer Städte bewerkstelligen 
läßt. Die Architektur muß dazu beitragen, daß ver- 
schüttete menschliche Daseinsaktivitäten wieder auf- 
geweckt werden. Die Urbanstruktur, welche alleine 
dem Leitbild einer stategischen Massenplanung ohne 
"Architektur" folgt, weiß am Schluß oft nichts besseres. 
als die durch Technik und Wissenschaft angestrebte 
Wohnzufriedenheit in einem unmenschlichen Miteinan- 
der wieder zu zerstören. 
Darum wünsche ich mir Architektur als ein Instrument, 
welches für Umweltsgestaltung anstelle von Isolation - 
Hoffnung, anstelle von Mißtrauen - Vertrauen, anstelle 
von Eifersucht - Geselligkeit und anstelle von Lange- 
weile - Lebensfreude setzt. 
lichkeiten, die sich ergeben. Man kann die Frage nach 
den Aufgaben der Forschung für den Städtebau aus der 
Enge der Problematik "Stadtbaukunst' oder '"Städtebau- 
technik" in würtlicher Auslegung "des Städte-Bauens'' 
stellen und damit beschränken auf das Erforschen der 
Möglichkeiten einer lediglich passiven Anpassungspla- 
nung der städtebaulichen Strukturen an die unmittelba- 
ren und gegenwärtigen Verhältnisse. Man kann die 
gleiche Frage aber auch stellen aus der weiten Sicht 
der gesellschaftspolititschen Zusammenhänge einer 
allgemeinen aktiven Entwicklungsplanung,. in der der 
Städtebau in obigem Sinne nichts anderes ist, als einer 
der notwendigen Aspekte der Stadt, Teil eines umfas- 
senden Ordnungssystems menschlichen Lebens, der 
mit Hilfe der Forschung erkannt werden soll. 
Die Entscheidung, welches der beiden Ziele angestrebt 
werden soll, ist eine sehr grundsätzliche. 
Zunächst ist eines sicher: 
Der gegenwärtige Zustand des steten Anpassens an 
momentane Forderungen, die, so sie heute erfüllt, 
morgen bereits überholt sind, befriedigt nicht und hat 
zu einer Beunruhigung geführt. 
Sicher ist es auch, daß der Begriff "'Stadterneuerung' 
nicht ausreicht, zu ungewiß und zu gegenständlich ist, 
daß er zwangsläufig zu einer passiven Anpassungspla- 
nung führt. 
Sicher ist ferner, daß auch der Begriff "Städtebau", 
als Stadtbaukunst verstanden, die allein und von sich 
aus weiß, was not tut, nicht weiterhilft. 
Notwendig erscheint heute vielmehr und vor allem zur 
Lösung der Frage, wie die Menschen in den Städten 
leben und weiterleben wollen: 
Es muß begriffen werden, daß auch im Bereich '"'Stadt'' 
eine Naturgesetzlichkeit gilt und analog der physikali- 
schen Betrachtungsweise festgestellt werden kann, daß 
es keine unabhängigen losgelösten Kräfte gibt, sondern 
daß alles zusammenhängt, wechselseitig bezogen und 
wirksam ist. Diese Erkenntnis führt zu einem neuen 
Begriff der Stadt im Sinne einer umfassenden Gesamt- 
schau. 
Das Phänomen Stadt wird im Wesen und Sinn erkennbar 
Abhängigkeit und Wechselwirkung einzelner Funktionen 
und Faktoren fordern dynamische, offene Systeme und 
Strukturen, also eine stete Veränderung der Umwelt. 
Damit ist gesagt, daß der Städtebau als solcher mit 
starren Plänen, auf Gegenwartssituationen bezogen, 
keine ''Gesamtschau'' darstellen kann, weil dieser 
Planung die 4. Dimension der Zeit und damit die Ent- 
wicklungsmöglichkeit fehlt. 
Gerhard G. Dittrich 
Versuch einer Beantwortung der Fragen im Hinblick 
auf den Städtebau. 
So vielfältig die verschiedenen Definitionen des Begrif- 
fes "Stadt" sind, so differenziert sind auch die Forde- 
rungen und Erwartungen, die an die Forschung auf die- 
sem Gebiet gestellt werden, die Grenzen und die Mög- 
Der Städtebau - und diesem vorweggehend die Stadtpla- 
hung - muß in der Gesamtschau "Stadt" - also in die 
"Theorie von der Stadt" eingeordnet werden, d.h. ‚ daß 
in diesem Denkmodell die Stadtentwicklung zur Lösung 
des Problems dienen muß. Entwicklung schließt Len- 
kung ein und zwingt zur Antwort auf die gestellte Frage: 
Wie wollen die Menschen leben, welche Form soll die 
Stadt haben ? 
ARCH + 1(1968)H3
	        

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