Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1968, Jg. 1, H. 1-4)

Entwicklungsstand der Bauforschung 
Forschungstätigkeit beschränkt sich gegenwärtig auf die 
Zweige des Bauwesens, die traditionell in wissenschaft- 
lichen Fakultäten betrieben wurden, die technischen Dis- 
ziplinen wie Statik, Wärmetechnik, Elektrotechnik, Aku- 
stik. In diesen Sektoren gibt es infolgedessen auch exakte 
Planungsmethoden. Allerdings sind diese Disziplinen im 
Planungsverfahren dem architektonischen Entwurf nachge- 
ordnet. 
Andere Sektoren, die stärker von der Planung der Archi- 
tekten abhängen, blieben auf dem Stande handwerklicher 
Empirie, Baukonstruktion, Bauphysik, Gebäudelehre, 
Städtebau und Siedlungswesen. 
Sanz unerforscht im Sinne exakter Wissenschaft blieben 
Baunutzungsvorgänge. Es ist durchaus üblich, daß Entwürfe 
auf Grund von Angaben einer einzigen Kategorie aufge- 
stellt werden, nach Quadratmetern Nutzfläche. Hierzu 
später noch ein Beispiel. Anstelle von Forschungsergebnis- 
sen stehen alle möglichen Richtlinien, Verordnungen, Ge- 
setze und endlich die bekannten Wohnungsbauförderungs- 
bestimmungen, die Standorte und Maße des Standardmobi- 
liars festlegen: Nachttischchen 40 x 55 Zentimeter stehen 
im Elternschlafzimmer beiderseits der Ehebetten von 
2,10 x 1,00 Meter. Der Kleiderschrank mißt 2,20 x 0,65 
Meter und der Toilettentisch 1,20 x 0,60 Meter. Die 
Steckdosen befinden sich beiderseits der Nachttischchen, 
der Anschluß für die Deckenbeleuchtung im Zentrum des 
Zimmers. Die Schulbaurichtlinien aller Länder im Hin- 
blick auf die bevorstehenden Veränderungen im Bildungs- 
wesen zu analysieren, würde ein anachronistisches Ver- 
hältnis zutage fördern. 
Systemforschung, die die prozessualen Zusammenhänge des 
Bauwesens untersuchte, kennt man kaum als Begriff. 
Forschungszweige für bauspezifische Probleme aber können 
erst dann entstehen, wenn ein entsprechender Bedarf ange- 
meldet wird. Dies aber wird erst dann geschehen, wenn 
Planung als eigengesetzliche Tätigkeit und nicht als un- 
vermeidliches Anhängsel entweder gestalterisch willkür- 
licher Entwerferei oder ausschließlich im Zusammenhang 
mit der Durchführung eines je einzigen Bauobjektes be- 
trieben wird. Forschungsaufgaben können nämlich nicht 
an einzelnen Objekten realisiert werden, sie sind meist 
nicht objektspezifisch und müssen daher unabhängig von 
diesen durchgeführt und finanziert werden. Objekte wer- 
den Anwendungsfälle allgemeiner Forschungsergebnisse 
sein. Ehe man von der Bauindustrie eine Produktion auf 
Vorrat verlangt, sollte man überlegen, welche Möglich- 
keiten einer Planung auf Vorrat bestehen und ob nicht die 
Lagerhaltung in der Planung flexibler und billiger ist als 
in der Produktion. 
Zur Methodik der Planung 
1956 erschien ein Taschenbuch in der Fischer-Bücherei: 
"Architektur" von Walter Gropius. Der Titel des ersten 
Kapitels heißt: Zur Methode, Darin kann man folgendes 
lesen: 
"Ich möchte, daß der junge Architekt fähig wird, seinen 
eigenen Weg zu finden, ganz gleich unter welchen Um- 
ständen; ich möchte, daß er unabhängig echte Form aus 
den vorhandenen technischen, wirtschaftlichen und sozia- 
len Bedingungen schafft, ... Mehr denn je liegt es in der 
Hand des Architekten, unseren Zeitgenossen wieder zu 
einem naturverbundenen, sinnvollen Leben zu verhelfen 
und sie vor falschem Schein und Imitation zu bewahren. 
Wir können dieser Forderung nur entsprechen, wenn wir 
unsere Probleme kühn auf breitester Front anfassen. ... 
Um aus all diesen verschiedenen Zweigen menschlicher 
Tätigkeit wieder eine Einheit zu schaffen, bedarf es star- 
ker Charaktere. Unser Jahrhundert hat Millionen von Spe- 
zialisten hervorgebracht; laßt uns nun dem Mann der 
schöpferischen Phantasie den Vorrang geben," 
Man muß einem alten Kämpen nicht alles glauben, was 
er sagt, aber diese von Gropius treffend beschriebene 
Architektenstrategie ist diejenige, die ich bisher am häu- 
figsten angetroffen habe. Kühner Angriff auf breitester 
Front gegen die Probleme, starker Charakter, eigene na- 
turverbundene Wege durch den Dschungel der technischen, 
wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, Endsieg des 
schöpferischen Einzelkämpfers über Millionen von Spezia- 
listen, und endlich haben wir’s, die unabhängig echte 
Form und Einheit, Einheit, Einheit! 
Dagegen konnte man schon 1930 von Hannes Meyer, 
Gropius”Nachfolger als Direktor des Bauhauses, dieses 
lesen: "Ich lehrte meine Studierenden den Zusammenhang 
zwischen Bau und Gesellschaft, den Weg von der formalen 
Intuition zur bauwissenschaftlichen Forschung." 
Im Unterschied zu Walter Gropius, der seinen Siegeszug 
in den Vereinigten Staaten fortsetzte, wurde Hannes Meyer 
an Ort und Stelle der Ast abgesögt. 
Vor der Alternative, das Schicksal unserer Zeitgenossen 
von der Hand des Architekten, wie Gropius sich ausdrückt, 
oder von den Köpfen von Millionen von Spezialisten be- 
stimmen zu lassen, entscheide ich mich für die Millionen 
Vielleicht sind überhaupt die Millionen Spezialisten mit 
unseren Zeitgenossen identisch und ich selber einer von 
ihnen und nicht gerade der Architekt. 
Darin scheint mir der gesellschaftlich politische Schlüssel 
zu einer Methodik zu liegen, die nicht die Probleme von 
Millionen Menschen verachtet, sondern deren Lösung ver- 
sucht. 
Worin besteht ein Planungsproblem und wie kommt es zu- 
stande? Nicht jedes bauspezifische Planungsproblem ist 
a priori eine Bauentwurfsaufgabe . 
Jedes System, Schule, Krankenhaus, Produktionsanlage, 
Verwaltung, Wohnkomplex, Handels-, Gewerbe- und 
Verkehrsbetrieb benutzt Bauten als betriebstechnische 
Hilfsmittel. Treten im System Fehler und Mängel auf oder 
genügen die vorhandenen Anlagen neuen Zielsetzungen 
nicht mehr, dann entsteht damit ein Planungsproblem., 
Jede Planung sollte daher mit der Analyse des Betriebszu- 
standes und der exakten Formulierung des Planungszieles 
beginnen. 
Bei einer methodischen Bearbeitung des Problems sind 
daher folgende Fragenkomplexe zu lösen: 
- Welche Symptome weisen auf Fehler im Betriebsablauf 
hin? 
- Sind diese Fehler auf innerbetriebliche Mängel oder 
äußere Einflüsse zurückzuführen, endogen oder exogen? 
- Welches sind die allgemeinen Tendenzen in dieser Be- 
triebsart? 
In welcher Form wurde bisher die Betriebsstruktur über- 
wacht und geplant? 
In welcher Form sollen in Zukunft Überwachung und Pla- 
nung geschehen? 
Welche über die bestehende Betriebsstruktur hinausge- 
henden Ziele sollen mit der Planung erreicht werden? 
Nach einer detaillierten Beantwortung dieser übergeord- 
neten Fragestellungen wird festgestellt, in welcher Form 
un} 
ARCH + 1(1968)H3
	        
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