Entwicklungsstand der Bauforschung
Forschungstätigkeit beschränkt sich gegenwärtig auf die
Zweige des Bauwesens, die traditionell in wissenschaft-
lichen Fakultäten betrieben wurden, die technischen Dis-
ziplinen wie Statik, Wärmetechnik, Elektrotechnik, Aku-
stik. In diesen Sektoren gibt es infolgedessen auch exakte
Planungsmethoden. Allerdings sind diese Disziplinen im
Planungsverfahren dem architektonischen Entwurf nachge-
ordnet.
Andere Sektoren, die stärker von der Planung der Archi-
tekten abhängen, blieben auf dem Stande handwerklicher
Empirie, Baukonstruktion, Bauphysik, Gebäudelehre,
Städtebau und Siedlungswesen.
Sanz unerforscht im Sinne exakter Wissenschaft blieben
Baunutzungsvorgänge. Es ist durchaus üblich, daß Entwürfe
auf Grund von Angaben einer einzigen Kategorie aufge-
stellt werden, nach Quadratmetern Nutzfläche. Hierzu
später noch ein Beispiel. Anstelle von Forschungsergebnis-
sen stehen alle möglichen Richtlinien, Verordnungen, Ge-
setze und endlich die bekannten Wohnungsbauförderungs-
bestimmungen, die Standorte und Maße des Standardmobi-
liars festlegen: Nachttischchen 40 x 55 Zentimeter stehen
im Elternschlafzimmer beiderseits der Ehebetten von
2,10 x 1,00 Meter. Der Kleiderschrank mißt 2,20 x 0,65
Meter und der Toilettentisch 1,20 x 0,60 Meter. Die
Steckdosen befinden sich beiderseits der Nachttischchen,
der Anschluß für die Deckenbeleuchtung im Zentrum des
Zimmers. Die Schulbaurichtlinien aller Länder im Hin-
blick auf die bevorstehenden Veränderungen im Bildungs-
wesen zu analysieren, würde ein anachronistisches Ver-
hältnis zutage fördern.
Systemforschung, die die prozessualen Zusammenhänge des
Bauwesens untersuchte, kennt man kaum als Begriff.
Forschungszweige für bauspezifische Probleme aber können
erst dann entstehen, wenn ein entsprechender Bedarf ange-
meldet wird. Dies aber wird erst dann geschehen, wenn
Planung als eigengesetzliche Tätigkeit und nicht als un-
vermeidliches Anhängsel entweder gestalterisch willkür-
licher Entwerferei oder ausschließlich im Zusammenhang
mit der Durchführung eines je einzigen Bauobjektes be-
trieben wird. Forschungsaufgaben können nämlich nicht
an einzelnen Objekten realisiert werden, sie sind meist
nicht objektspezifisch und müssen daher unabhängig von
diesen durchgeführt und finanziert werden. Objekte wer-
den Anwendungsfälle allgemeiner Forschungsergebnisse
sein. Ehe man von der Bauindustrie eine Produktion auf
Vorrat verlangt, sollte man überlegen, welche Möglich-
keiten einer Planung auf Vorrat bestehen und ob nicht die
Lagerhaltung in der Planung flexibler und billiger ist als
in der Produktion.
Zur Methodik der Planung
1956 erschien ein Taschenbuch in der Fischer-Bücherei:
"Architektur" von Walter Gropius. Der Titel des ersten
Kapitels heißt: Zur Methode, Darin kann man folgendes
lesen:
"Ich möchte, daß der junge Architekt fähig wird, seinen
eigenen Weg zu finden, ganz gleich unter welchen Um-
ständen; ich möchte, daß er unabhängig echte Form aus
den vorhandenen technischen, wirtschaftlichen und sozia-
len Bedingungen schafft, ... Mehr denn je liegt es in der
Hand des Architekten, unseren Zeitgenossen wieder zu
einem naturverbundenen, sinnvollen Leben zu verhelfen
und sie vor falschem Schein und Imitation zu bewahren.
Wir können dieser Forderung nur entsprechen, wenn wir
unsere Probleme kühn auf breitester Front anfassen. ...
Um aus all diesen verschiedenen Zweigen menschlicher
Tätigkeit wieder eine Einheit zu schaffen, bedarf es star-
ker Charaktere. Unser Jahrhundert hat Millionen von Spe-
zialisten hervorgebracht; laßt uns nun dem Mann der
schöpferischen Phantasie den Vorrang geben,"
Man muß einem alten Kämpen nicht alles glauben, was
er sagt, aber diese von Gropius treffend beschriebene
Architektenstrategie ist diejenige, die ich bisher am häu-
figsten angetroffen habe. Kühner Angriff auf breitester
Front gegen die Probleme, starker Charakter, eigene na-
turverbundene Wege durch den Dschungel der technischen,
wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, Endsieg des
schöpferischen Einzelkämpfers über Millionen von Spezia-
listen, und endlich haben wir’s, die unabhängig echte
Form und Einheit, Einheit, Einheit!
Dagegen konnte man schon 1930 von Hannes Meyer,
Gropius”Nachfolger als Direktor des Bauhauses, dieses
lesen: "Ich lehrte meine Studierenden den Zusammenhang
zwischen Bau und Gesellschaft, den Weg von der formalen
Intuition zur bauwissenschaftlichen Forschung."
Im Unterschied zu Walter Gropius, der seinen Siegeszug
in den Vereinigten Staaten fortsetzte, wurde Hannes Meyer
an Ort und Stelle der Ast abgesögt.
Vor der Alternative, das Schicksal unserer Zeitgenossen
von der Hand des Architekten, wie Gropius sich ausdrückt,
oder von den Köpfen von Millionen von Spezialisten be-
stimmen zu lassen, entscheide ich mich für die Millionen
Vielleicht sind überhaupt die Millionen Spezialisten mit
unseren Zeitgenossen identisch und ich selber einer von
ihnen und nicht gerade der Architekt.
Darin scheint mir der gesellschaftlich politische Schlüssel
zu einer Methodik zu liegen, die nicht die Probleme von
Millionen Menschen verachtet, sondern deren Lösung ver-
sucht.
Worin besteht ein Planungsproblem und wie kommt es zu-
stande? Nicht jedes bauspezifische Planungsproblem ist
a priori eine Bauentwurfsaufgabe .
Jedes System, Schule, Krankenhaus, Produktionsanlage,
Verwaltung, Wohnkomplex, Handels-, Gewerbe- und
Verkehrsbetrieb benutzt Bauten als betriebstechnische
Hilfsmittel. Treten im System Fehler und Mängel auf oder
genügen die vorhandenen Anlagen neuen Zielsetzungen
nicht mehr, dann entsteht damit ein Planungsproblem.,
Jede Planung sollte daher mit der Analyse des Betriebszu-
standes und der exakten Formulierung des Planungszieles
beginnen.
Bei einer methodischen Bearbeitung des Problems sind
daher folgende Fragenkomplexe zu lösen:
- Welche Symptome weisen auf Fehler im Betriebsablauf
hin?
- Sind diese Fehler auf innerbetriebliche Mängel oder
äußere Einflüsse zurückzuführen, endogen oder exogen?
- Welches sind die allgemeinen Tendenzen in dieser Be-
triebsart?
In welcher Form wurde bisher die Betriebsstruktur über-
wacht und geplant?
In welcher Form sollen in Zukunft Überwachung und Pla-
nung geschehen?
Welche über die bestehende Betriebsstruktur hinausge-
henden Ziele sollen mit der Planung erreicht werden?
Nach einer detaillierten Beantwortung dieser übergeord-
neten Fragestellungen wird festgestellt, in welcher Form
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