ziehen, nämlich das Ergebnis eines Handlungsprogrammes .
Zweifellos muß in jeder Gesellschaft vieles programmiert
sein, insbesondere in einer industriellen. (Vergl. den Be-
griff der Programmierung in Kommunikation Ill, 4, 67,
Seite 1968 von Ansoff-Brandenburg).
Ziele können nicht "gesetzt" werden. Sie wären sonst ky-
bernetische Sollwerte. Letztere sind praktisch - und not-
wendig - um Automaten zu bauen. Solche Automaten kön-
nen anpassungsfähig, also lernfähig, sein, aber sie sind
zur Zeit noch nicht erfindungsfähig. Sie sollen auch keine
Ziele formulieren.
Ziele haben eine prognostische und eine utopische Kompo-
nente. Ziele entwickeln, künftige Ereignisse vorstellbar
machen, ist eine nicht endende Aufgabe, solange Menschen
gemeinsam handeln wollen. Es gibt bis jetzt keine "wis-
senschaftliche Methode" für solche praktische Soziotech-
nik.
Immerhin lässt sich sagen, eine "Theorie der Zielentwick-
lung" wird auf die Marx’sche Erkenntnis: "Es ist nicht das
Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt
ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt“,
aufbauen müssen. Und ebenso wird solche Theorie kaum
auf die zweite große soziotechnische Erfindung der letz-
ten 100 Jahre verzichten können: auf die Psychoanalyse
von Freud. Freud’s seelische Strukturtheorie - die übri-
gens, soweit ich sie verstehe, nichtoperational ist - könnte
Hilfe leisten, die Einflüsse einer lust- oder angsterzeugen-
den Triebenergie der Kontrolle des kritischen Bewußt-
seins zugängiger zu machen. Die Psychoanalyse ist bemüht,
Triebhaftes bewußt und damit beherrschbar zu machen.
"Wo Es-war, soll Ich werden", saat Freud.
Ich glaube, die meisten von uns sind der Ansicht, daß man
alles mögliche tun solle, um zur Zielfindung zu kommen,
nur nicht auf das alte, uralte Mittel verfallen, die Ziele
durch autoritäre Instanzen (den Chef, die Geschäftslei-
tung, den Führer) deklarieren zu lassen.
Ich bin der Ansicht, daß wir Führungsinstrumente - haupt-
sächlich für taktische Entscheidungssituationen (A, B-Si-
tuationen) - brauchen. (Vergl. Absatz 7). Ich bin jedoch
auch der Ansicht, daß in einer Gruppe, die Wert darauf
legt, daß ihren Mitgliedern ein Maximum an Selbstent-
faltung (möglichst zugunsten, nicht auf Kosten anderer)
offen stehen soll, diese Führungsinstrumente kontrollier-
bar und wählbar sein müssen.
Solange wir beides noch nicht haben - eine Methode der
Zielfindung und wählbare Führungsorgane - müssen wir
den anstrengenden Weg des ,pausenlosen Debattierens ge-
hen, der "wann immer in menschlichen Angelegenheiten
ein Übereinkommen oder eine Zustimmung erreicht wird...
dann wird dies Übereinkommen durch linguistische Prozes-
se erreicht, oder es wird nicht erreicht" (B.L. Whorf,
Sprache, Wirklichkeit, rde).
Nun kann man sich - leider - über Ziele nicht in einer
operationalen Sprache unterhalten; denn die Verwendung
operationaler Begriffe setzt voraus, daß wir jeden dieser
Begriffe durch eine Handlungsanweisung ersetzen könnten.
Keine Verhandlungssprache kommt aber ohne affektive Bei-
mischung aus. Es gibt keinen Satz der Umgangssprache ,
der nicht auch etwas über die Gefühle des Sprechers aus-
sagt und Gefühle des Hörers erregt. Während nun die
Sprache der Wissenschaft die genaueste Art von Informa-
tion ist, ist die Sprache der Kunst die genaueste Art Ge-
fühle zu beschreiben. Zur Methode der Zielfindung gehört
also auch eine sehr anspruchsvolle Spracherziehung: die
Sprache von Planern muß wissenschaftlichen und künstle-
rischen Kriterien genügen. a
Wir werden also ‚mangels Soziotechnik, viel aneinander
vorbeireden müssen, werden uns gegenseitig mißtrauen
und kränken müssen. Und trotzdem ist es gut,daß über-
haupt gesprochen wird. Sollte Unangenehmes gesagt oder
geschrieben werden, gar Unfaires, so sollten wir auf keinen
Fall Sanktionen verhängen:Worte sind keine Messer!Das
"Wort" Scheiße stinkt nicht.
Wir müssen lernen, uns selbst in unserer jeweiligen Orga-
nisation als soziotechnisches Labor zu betrachten. Erfreu-
licherweise sind bei uns recht verschiedene Anschauungen
(Moralen, Verhaltensregulationen, Ideologien) vertreten:
die Skala reicht vom autoritären Konservatismus über au-
toritären Progressismus bis zu anarchistischem Egalitaris-
mus. Im allgemeinen ist man sich wohl einig, daß es keine
Gesellschaft ohne Zwang geben könne. Selbst die Anar-
chisten wollen parasitären, faulen Personen gegenüber
Sanktionen anwenden: Aberkennung der politischen Rech-
te, d.h. der Garantien, die die Gesellschaft dem Indivi-
duum gewährt (siehe Daniel Gu&rin, Anarchismus, Edi-
tion Suhrkamp, Seite 31 fund Seite 41).
Aber gibt es bei uns faule Personen? Ich glaube wenige.
Dagegen gibt es Leistungsvorenthaltung. Doch solc! 2 Vor-
enthaltung ist selbst anstrengende Leistung und vielleicht
die einzige Form von Protest, die z.Zt. bei uns wirksam
ist. Es gibt Formen des Leistungsübereifers, die bis zur
Leistungsneurose führen können. Starke Leistungsmotiva-
tion wird nicht innerhalb einer Firma erzeugt, sondem ist
ideologische Voraussetzung einer ständig auf Produktivi-
tätssteigerung bedachten Industriegesellschaft. Die Anti-
leistungshaltung des Gammlers machte dieses Problem be-
wußt; damit liefern die Gammler einen Beitrag zur Huma-
nisieruna der Industriekultur.
Es wird keinen leichten, mühelosen Weg geben zur ge-
meinsamen Zielerfindung. Wir sollten viel Energie, For-
schungs- und Planungszeit aufwenden, um hier ganz klei-
ne Schritte weiterzukommen. Wer jedoch glaubt, auf
diesem Gebiet zu schnellen Lösungen, gar zu endgülti-
gen Lösungen zu kommen, ist naiv (oder autoritär). Ein
Berg ungelöster verhaltenswissenschaftlicher Probleme
harrt darauf, abgekarrt zu werden. Der Bruch mit Tradi-
tionen, sagt Mitscherlich, wird niemals ohne tiefe Angst
aeschehen können. (Die Unfähiakeit zu trauern).
3. Rückkopplungsprozesse in soziotechnischen Systemen
Als Beispiel eines soziotechnischen Kleinsystems (2Per-
sonen) werden 3 Rückkopplungskreise unterschieden, de-
nen jeweils eine Klasse von Zielen entspricht.
Strategische Ziele: Verschiebung normativer Präferenzen,
Verhaltensänderung, bei Aktionszwang wird auf rigorose
Modelle (ethische oder ästhetische Prinzipien) zurückge-
griffen; sehr hoher Planungs- und Kommunikationsaufwand
um Zielkonsensus herbeizuführen.
Taktische und operationale Ziele: erfordern methodische
ARCH + 1(1968)H2