DISKUSSION
Eckart Pressler, Architekturkooperativ
ZUR PSYCHOLOGISCHEN SITUATION DES STUDIEN-
ANFÄNGERS
Dieser Artikel sprengt den Erwartungsrahmen des Le-
sers hinsichtlich des Informationsangebots dieser Zeit
schrift. Dadurch können zwei Wirkungen erzielt wer-
den:
a)
Der, aus der relativ geringen thematischen Va-
rianz der Beiträge resultierende Tenor von
ARCH + wird durchbrochen.
ARCH + ist das Sprachrohr der technokratischen
Siudienreform an der Stuttgarter Architekturab-
teilung. Deren weitere Entwicklung bedarf einer
grundlegenden Überprüfung. Dazu soll dieser Ar
tikel Material beitragen.
Das in seiner Erwartung sich reproduzierende
Selbstverständnis des Lesers wird - dieses in
Frage stellend - angesprochen. Was hat Psycho-
logie mit Architektur bzw. Architektenausbildung
zu tun, wird sich der Leser fragen müssen. Der
technokratischen Inzucht muß eine interdiszipli-
niäre Spritze vernaßt werden.
Es besteht nicht der Verdacht, daß bei der augenblick-
lich betriebenen Verwissenschaftlichung der Architek
tur dem Alten ein Neues Testament entgegengehalten
wird (Janssen, ARCH + 4), vielmehr ist der Tatbe-
stand bereits als erwiesen zu betrachten. Die Heils-
botschaft '"Rationales Planen' verkündend, wandern
die Propheten bereits durch die Architekturlandschaft
Ihnen die Bärte abschneiden! - eine solche Aufforde-
rung käme einer Kastrationsdrohung gegenüber dem
Kleinkind "Bauplanung" gieich und hätte nicht verant-
wortbare Folgen für dessen Entwicklung. Deshalb sei
unter Rückzug auf die akademische Verhaltensebene,
folgende These aufgestellt:
Die Hochschulreform,
Die Architektenausbildung,
Die ARCH +-Tendenz
sind scheinrational
Was ist rationales Verhalten?
Als rational wird vielfach der Rekurs auf letzte, der
Kritik enthobenen Gegebenheiten verstanden, von de-
nen es durch logische oder quasilogische Ableitungs-
verfahren zu apologetisch-dogmatischen Aussagen
kommt (Haseloff). Rationalität wird begriffen als
Denkhaltung zur Erarbeitung von Handlungsdispositio-
nen gegenüber mit Ungewißheit über den Lösungsweg
behafteten Problemsituationen. Der Versuch, Unge-
wißheit abzubauen endet meist mit dem Zurückweichen
in vertraute, durch Erfahrung abgesicherte Bereiche
des Handelns, d.h. dem Rückgriff auf Methoden und
Techniken, deren Anwendung sich in früheren Situatio-
nen als erfolgreich erwiesen hat. Dies jedoch beinhal-
tet die Verkennung der spezifischen Komplexität des
Problems, da die Entwicklung problemadäquater Lö-
sungstechniken erforderlich wäre. Solches Denken und
das daraus entwickelte Handlungskonzept reduziert
zwar die Widerstände, die aus dem Problem erwach-
sen, erleidet jedoch gleichzeitig einen das Lösungs-
konzent entscheidend beeinflussenden Realitätsverlust
Gesellschaftliche und technische Realität werden aber
gerade als jene, der Kritik enthobenen Gegebenheiten
verstanden. Dazu hat in entscheidendem Maße die in
vielfältigen kulturhistorischen Variationen auftretende
Entwicklung des Schicksalsbegriffes beigetragen. Die
mythische Vorstellung vom zum Scheitern verurteilten
Ringen eines Helden - stellvertretend für den "kleinen
Mann" - mit den Göttern, fand seine Fortsetzung im
literaturklassischen Idealismus; sie erhielt sich
schließlich durch den, in der bürgerlichen Romantik
gegenüber der fortschreitenden Industriellen Revolu-
tion phantasierten Alptraum vom Moloch "Technik" bis
in das heutige Denken bezüglich der Technik.
Diese im Mythos lebendig gehaltene "Erfahrung", das
soziologische Rollenmuster vom scheiternden Helden,
ist die Warnung für jeden, der gegen die gottgewollte,
natürliche Ordnung der Dinge und Verhältnisse auf-
steht. Dem entspricht heute das durch bewußtseinsein-
engenden Spezialisierungszwang verursachte Unvermö
gen des Einzelnen, mit Erfolg in den Prozeß des sich
immer weiter entfaltenden Technischen Apparates ein-
zugreifen. Das wiederholte Erleben eines sich existen-
tiell manifestierenden Scheiterns beim Versuch, ge-
ARCH +2 (1969) H. 6