Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1969, Jg. 2, H. 5-8)

Nolfgang Pohl 
PRODUKTFORSCHUNG : 
EIN WEG ZU EINER SOZIALEREN UMWELT 
1. Vorbemerkung 
Die Abhandlung beruft sich auf Erfahrungen, die aufgrund 
umfangreicher vergleichender Untersuchungen an verschie- 
denen Produktklassen aus dem Gebrauchsgütersektor gemacht 
worden sind. Diese Analysen sind im "Institut für Waren- 
prüfung" (ifw) durchgeführt worden. Sie entstanden aus 
der Notwendigkeit, Kaufempfehlungen für Verbraucher zu 
verbessern. Ausgehend von einigen grundsätzlichen Dis- 
kussionen in der Abteilung "Design", beginnen sich im 
Institut Ansätze zu einer verbraucherorientierten Produkt- 
Forschung zu entwickeln. 
2. Produkt-Gesellschaft - korrumpierte Gerätewelt 
Bei einem historischen Rückblick kann festgestellt werden, 
daß eine breit angelegte wissenschaftliche Auseinander- 
setzung mit der Gerätewelt nicht dringlich war. Obwohl 
die Gerätewelt auch vorher wild wuchernd gewachsen war, 
nehmen jetzt erst die Auswirkungen bedrohlichere Formen 
an. 
(Beispiel: zusammenbrechende Infrastruktur von New York; 
Verkehrschaos in vielen anderen großen Städten der Welt.) 
Mit den immer komplexer werdenden gesellschaftlichen 
Zusammenhängen werden gleichzeitig auch die Probleme 
der gesamten Produkterzeugung, einschließlich architek- 
tonischer Produkte, komplizierter. Es ist zu einer Not- 
wendigkeit geworden, die mannigfaltigen Einflüsse, die 
dei der Produktkonzipierung einwirken, aufzudecken und 
transparent zu machen, um Klarheit darüber zu gewinnen, 
was nun eigentlich produziert werden sollte. 
Unter produktionstechnischen und absatzwirtschaftlichen 
Blickwinkeln haben die Hersteller, unter dem Druck der 
Profitmaximierung stehend, ‚bereits Methoden zur Analyse 
dieser Einflußgrößen entwickelt. Die verbraucherorientier- 
ten Aspekte sind jedoch stark vernachlässigt worden. 
Die Erzeugung von Produkten unterliegt schon seit jeher 
den Wechselbeziehungen soziologischer Zusammenhänge. 
Das allgemeine soziopsychologische Bewußtsein, die 
technischen Möglichkeiten sowie das Wirtschaftssystem 
sind die wichtigsten Punkte, zwischen denen sich diese 
Wechselbeziehungen abspielen. Das Gerät, ein Hilfsmittel 
zur Erweiterung menschlicher Möglichkeiten, soll den 
gesamten Forderungen aus diesen Teilbereichen gerecht 
werden. Das Produkt ist also ein Funktionsbündel, das aus 
den gesamten gesellschaftlichen Verhältnissen resultiert. 
(Beispiel: 
1. Soziologie: die Luxusgüter drücken aus, daß es Schichten 
gibt, die darauf aus sind, sich durch Obiekte abzusetzen. 
2. Technik: Computer sind deshalb voluminös, weil die 
Bauelemente zur Zeit nicht kleiner herstellbar sind. 
3. Wirtschaft: Auch Erzeugnisse hoher Qualität verschwin- 
den vom Markt, wenn sie keinen Profit abwerfen.) 
Will man den augenblicklichen Standort der Produkter- 
zeugung festlegen, dann muß einmal auf die "Produkt- 
schwemme" hingewiesen werden und zum anderen auf das 
spätkapitalistische Wirtschaftssystem. Die "Produktschwemme" 
hängt ab von der raschen Entfaltung der industriellen Ge- 
sellschaft und von der kapitalistischen Wirtschaftsweise . 
In den Industriegesellschaften nimmt die Bedeutung der 
Gegenstände deshalb zu, weil bei der Vielschichtigkeit 
der menschlichen Beziehungen eine soziale Kommunikation 
(in der weitesten Bedeutung des Begriffs) nur noch mit Hilfe 
von Gegenständen aufrechterhalten werden kann. 
(Beispiel: Gebäude, Verkehrsmittel, Fernsprecher.) 
Das kapitalistische Wirtschaftssystem hat zwar eine Menge 
Gegenstände und damit neue Bedürfnisse hervorgebracht, 
aber der Zwang der Profitmaximierung hat dazu geführt, 
daß die Unternehmer mehr und mehr das Konsumverhalten 
des Verbrauchers manipulieren. Sie stellen die Forderung, 
daß um jeden Preis konsumiert werden muß und verleihen 
dieser Forderung Nachdruck durch die Methoden der Wer- 
bung, durch Produktdifferenzierung, die meistens nur 
scheinbar neue Produkte hervorbringt, künstliche Alterung 
und politische Einflußnahme auf gesellschaftliche Prozesse. 
Die Folge ist, daß der Verbraucher kein kritisches Bewußt- 
sein für den Umgang mit Produkten entwickeln kann. Erst 
hierdurch ist es möglich, daß Geräte konzipiert und ver- 
kauft werden können, die in Wirklichkeit keinen Gebrauchs- 
nutzen bringen. 
(Beispiel: elektrische Eierkocher, Heimmassagegeräöäte.) 
Bei Geräten, denen von der Grundkonzeption her ein 
Nützlichkeitswert zuerkannt werden kann, ist jedoch in 
den allermeisten Fällen die Bedienungssituation unzuläng- 
lich (Abb. 1) und sind Mängel in den physikalischen Eigen- 
schaften nachweisbar. Diese Fehler werden dem Benutzer 
unter anderem deshalb nicht offenkundig, weil er sie nicht 
mit einem vorstellbar besseren Zustand vergleichen kann. 
ARCH +2 (1969) H. 5
	        

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