lassen sich eine Reihe von weiteren Indices für die
Wichtigkeit und Besonderheit der Ware Wohnung ab-
leiten, die, wenn sie nicht Ausdruck bloßen Zynismus
sind, auf sozialromantischen, utopischen oder vor-
kapitalistischen Ideologien basieren oder auf sie hi-
nauslaufen, Diese Besonderheit liegt also darin be-
gründet, daß von dem Bedürfnis Wohnen ausgegangen
wird, dessen Befriedigung so wichtig sei, daß man sie
nicht dem kapitalistisch organisierten Markt überlas-
sen kann, bzw. man geht von der ungenügenden Be-
friedigung dieses Bedürfnisses durch den Markt aus,
um daraus abzuleiten, daß es eben nicht angängig sei
die Wohnung wie jede andere Ware zu produzieren
und zu tauschen, Daraus lassen sich verschiedene
Strategien ableiten:
ı) Die Diskrepanz zwischen Tauschwert und Ge-
brauchswert auf dem Wohnungssektor, die leicht
zu einer Gefährdung des kapitalistischen Systems
führen kann, wird durch staatliche, insbesondere
sozialpolitische Maßnahmen soweit verhindert, daß
diese Gefahr isoliert wird. ,
)) Kann man von dieser Gegenüberstellung ausgehend
versuchen, die wahren Bedürfnisse der Betroffenen
zu formulieren, um dann Reformvorschläge zur
materiellen Gestalt der Wohnung und der Marktor-
ganisation zu machen (i.e. Auswirkungen des Ka-
pitalismus beseitigen zu wollen, ohne ihn selber
anzutasten),
Beiden Konsequenzen ist gemeinsam, daß sie die Be-
sonderheit der Ware Wohnung aus einer Perspektive
diagnostizieren, die nicht diejenige des Kapitals ist,
Der Kapitalismus ist eben dadurch charakterisiert,
daß er nicht Gebrauchswerte. sondern Tauschwerte
produziert.
Bedürfnis, Gebrauchswert und Tauschwert
"Jede Ware aber stellt sich dar unter dem doppelten
Gesichtspunkt von Gebrauchswert und Tauschwert.''
(K. Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie, MEW
13, S. 15) Gebrauchswert bezeichnet die Eigenschaft
eines Gutes, für den Menschen nützlich zu sein und
seine Bedürfnisse zu befriedigen. Der Gebrauchswert
existiert also unabhängig von gesellschaftlichen, po-
litischen oder überhaupt historischen Bedingungen, Er
kann nur über die Relation Mensch-Gut etwas aussa-
gen. Innerhalb einer kapitalistischen Tauschgesell-
schaft werden jedoch nicht Güter produziert, um Be-
dürfnisse zu befriedigen, sondern Waren, die gegen
andere getauscht werden sollen, um Mehrwert zu
realisieren. Der Maßstab, nach dem sie getauscht
werden, ist die in ihnen geronnene Arbeitszeit. Der
Tauschwerrt ist also nicht auf die Beziehung Mensch-
Ding oder Mensch-Natur beschränkt, sondern ist der
Ausdruck gesellschaftlicher Beziehungen innerhalb
bestimmter Produktionsverhältnisse. '"Gebrauchswert
zu sein scheint notwendige Voraussetzung für die Ware,
aber Ware zu sein gleichgültige Bestimmung für den
Gebrauchswert. Der Gebrauchswert in dieser Gleich-
gültigkeit gegen die ökonomische Formbestimmung,
d.h. der Gebrauchswert als Gebrauchswert liegt jen-
seits der Betrachtungsweise der Politischen Ökonomie,
In ihren Kreis fällt er nur, wo er selbst Formbestim-
mung wird.' (K. Marx, a.a.0O., S. 16)
Der Versuch, über den Vergleich etwa von (gedachten)
am Gebrauchswert ausgerichteten Wohnungen und den
konkret angebotenen Behausungen, zu politischen und
politisierenden Aussagen zu kommen, liegt außerhalb
des Bereichs der politischen Ökonomie, da es ihr um
Aussagen über aus den Gegebenheiten, den Produktions-
verhältnissen, resultierende Beziehungen zwischen
Menschen geht, das Verhältnis des Konsumenten zur
Ware, mithin auch zur Wohnung, aber eines von Mensch
zu Sache ist, auch wenn dieses Verhältnis (z.B. hin-
sichtlich der Familie) Verhältnisse zwischen Menschen
stark determiniert. Diese Determinanten nämlich sind
nichts anderes als Reflexe auf das Verhältnis der Kon-
sumenten auf das Konsumobjekt Wohnung. Der Ver-
such, Ökonomie zu einer Lehre vom Verhältnis zwi-
schen Menschen und Sachen zu machen, sie mithin
ihrer politischen Dimension zu berauben, ist gerade
das Kennzeichen jener Nationalökonomie, mit der die
bürgerliche Wissenschaft auf die Herausforderung des
wissenschaftlichen Sozialismus reagierte: der sub-
jektiven Werttheorie,
Schon von daher ergibt es sich, daß eine Ermittlung
von '"wahren'' Bedürfnissen, also solchen, die unab-
hängig von bestimmten Produktionsverhältnissen gelten
sollen, nicht möglich sein kann. Auch wenn man dabei
die trickreichsten Methoden der empirischen Sozial-
forschung anwendet, wird man auf der Suche nach den
Bedürfnissen nicht mehr herausbringen als den Grad
ihrer Verformung und Manipulation durch Familie,
Kapital und Staat. Die jeweiligen Bedürfnisse können
nur der Ausdruck des jeweiligen Bewußtseins sein.
Wer dies nicht beachtet und dennoch von der Formulie-
rung von hypothetischen Bedürfnissen ausgeht, zu de-
ren Befriedigung entsprechende Gebrauchswerte zu
produzieren sind, muß sich wahlweise den Vorwürfen
aussetzen, daß er entweder auf abstrakte Utopien aus
sei, daß er in den Kategorien der bürgerlichen Ökono-
mie verfangen bleibt oder daß er die Illusion reprodu-
ziert, als Anwalt die wahren Bedürfnisse von Betrof-
fenen, die diese nur nicht formulieren können, fest-
zulegen, Das muß entweder dazu führen, daß man je-
den Anspruch auf politische Relevanz aufgibt oder im
Sinne einer Systemstabilisierung arbeitet,
("Aber die sogenannte Wohnungsfrage lösen zu wollen,
das fällt mir allerdings nicht ein, ebensowenig wie ich
mich mit den Details der Lösung der noch wichtigeren
Eßfrage befasse. Ich bin zufrieden, wenn ich nachwei-
sen kann, daß die Produktion unserer modernen Ge-
sellschaft hinreichend ist, um allen Gesellschaftsmit-
gliedern genug zu essen zu verschaffen, und daß Häuser
genug vorhanden sind, um den arbeitenden Massen
vorläufig ein geräumiges und gesundes Unterkommen
zu bieten. Wie eine zukünftige Gesellschaft die Ver-
teilung des Essens und der Wohnungen regeln will,
darüber zu spekulieren, führt direkt in die Utopie."
Engels, Zur Wohnungsfrage, MEW 18, 285)
2. Die Wohnung als gewöhnliche Ware
Wenn wir zu einer Einschätzung der staatlichen Woh-
nungspolitik, der Möglichkeit von systemüberwinden-
den Reformen und den Ansatzpunkten einer revolutio-
nären Strategie in der Stadtteilarbeit kommen wollen,
helfen uns Betrachtungen von außerhalb des kapitali-
stischen Systems nicht viel weiter. Es gilt vielmehr
zunächst aufzuzeigen, daß die Wohnung eine Ware ist
wie jede andere, zumindest, was die allgemeinen
ARCH+3 (1970) H. 11