Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

Grundgesetze ihrer Produktion angeht, womit nicht 
ausgeschlossen sei, daß die spezifischen Formen ihrer 
Produktion und ihres Verkaufs sich von anderen Wa- 
ren unterscheiden. 
Boden und Grundrente 
Als ein Hauptspezifikum der Ware Wohnung springt 
ins Auge, daß ihre Produktion an ein Produktionsmit- 
tel gebunden ist, das im Gegensatz zu allen anderen 
nicht beliebig vermehrbar und reproduzierbar ist: der 
Boden. Der Preis dieses Produktionsmittels stellt 
sich dar in der Grundrente: '"'Die Grundrente stellt 
sich dar in einer bestimmten Geldsumme, die der 
Grundeigentümer jährlich aus der Verpachtung eines 
Stückes des Erdballs bezieht. Wir haben gesehen, wie 
jede bestimmte Geldeinnahme kapitalisiert werden, 
d.h. als der Zins eines imaginären Kapitals betrach- 
tet werden kann... Es ist die so kapitalisierte Grund- 
rente, die den Kaufpreis oder Wert des Bodens bildet, 
eine Kategorie, die prima facie, ganz wie der Preis 
der Arbeit irrational ist, da die Erde nicht das Pro- 
dukt der Arbeit ist, also auch keinen Wert hat. Ande- 
rerseits aber verbirgt sich hinter dieser irrationalen 
Form ein wirkliches Produktionsverhältnis. Kauft ein 
Kapitalist Grund und Boden, der eine jährliche Rente 
von 200 Pfd. St. abwirft, für 4.000 Pfd.St., so be- 
zieht er den durchschnittlichen jährlichen Zins zu 5 % 
von 4.000 Pfd.St., ganz ebenso, wie wenn er dies 
Kapital in zinstragenden Papieren angelegt oder es 
direkt zu 5 % Zinsen ausgeliehen hätte. Es ist die 
Verwertung eines Kapitals von 4.000 Pfd.St. zu 
5%." (K. Marx, Kapital II, Berlin 1959, S. 672) 
Die Grundrente bestimmt sich also nach dem Ertrag, 
der aus einem bestimmten Stück Boden gezogen wer- 
den kann. Je höher der Profit ist, der sich aus einer 
bestimmten Form der Nutzung des Bodens ergibt, 
desto höher ist die Rente. Da eine der intensivsten 
Nutzungsformen die Bebauung des Bodens mit Miets- 
häusern darstellt, wird die Rente in diesen Fällen 
besonders hoch sein. Hinzu kommt, daß dieser Boden 
besonders knapp und monopolisierbar ist, so daß mit 
dieser Rente hohe Surplusprofite realisiert werden. 
"Es zeichnet sich diese Rente aus, erstens durch den 
überwiegenden Einfluß, den hier die Lage auf die Dif- 
ferentialrente ausübt (sehr bedeutend z.B. beim 
Weinbau und bei Bauplätzen in großen Städten); zwei- 
tens durch die Handgreiflichkeit der gänzlichen Passi- 
vität des Eigentümers, dessen Aktivität bloß darin 
besteht... den Fortschritt der gesellschaftlichen Ent- 
wicklung auszubeuten, zu dem er nichts beiträgt und 
bei dem er nichts riskiert, wie doch der industrielle 
Kapitalist tut, und endlich durch das Vorwiegen des 
Monopolpreises in vielen Fällen, speziell der scham- 
losesten Ausbeutung des Elends (denn das Elend ist 
für die Hausrente eine ergiebigere Quelle als die Mi- 
nen von Potosi je für Spanien waren) und die ungeheure 
Macht, die dies Grundeigentum gibt, wenn es mit dem 
industriellen Kapital in derselben Hand vereinigt, die- 
ses befähigt, die Arbeiter im Kampf um den Arbeits- 
lohn praktisch von der Erde als ihrem Wohnsitz auszu- 
schließen. Ein Teil der Gesellschaft verlangt hier von 
dem anderen einen Tribut für das Recht, die Erde 
bewohnen zu dürfen, wie überhaupt im Grundeigentum 
das Recht der Eigentümer eingeschlossen ist, den 
Erdkörper, die Eingeweide der Erde, die Luft und 
damit die Erhaltung und Entwicklung des Lebens zu 
exploitieren.' (K. Marx, Kapital II, a.a.0., S. 823) 
Die Grundrente wird so zu einem Bestandteil des Prei- 
ses für die Ware Wohnung. Auch wenn, wie in der 
Regel, Grundeigentümer und Hauseigentümer in einer 
Person vereinigt sind, ist sie zu unterscheiden von 
den übrigen Bestandteilen der Miete. ("Eine Verwechs- 
lung zwischen der Hausmiete, soweit sie Zins und Amor- 
tisation des im Haus angelegten Kapitals, und der 
Rente für den bloßen Boden ist hier selbst bei Carey- 
schen gutem nicht möglich.'' K. Marx, Kapital II, 
a.a.0., S. 823 f.) 
Auf die weiteren mit der Grundrente verbundenen 
Probleme kann hier nicht im einzelnen eingegangen 
werden; wir müssen uns zunächst mit der Feststellung 
begnügen, daß die Grundrente in den Städten und den 
neuen Industriezentren mit der Entfaltung des Kapi- 
talismus ungeheure Ausmaße annahm, Das war zum 
einen die Folge der '"'gesellschaftlichen Entwicklung 
als Resultat der gesellschaftlichen Gesamtarbeit'' (K. 
Marx, Kapital II, a.a.0., S. 687), zum anderen wur- 
de dieser Prozeß dadurch beschleunigt bzw. erst in 
Gang gesetzt, daß die staatliche Kontrolle und Preis- 
begrenzung insbesondere für Bauland innerhalb der 
Städte aufgehoben wurde. Damit wurde der Bodenspe- 
kulation ein breites Betätigungsfeld eröffnet und ins- 
besondere in den großen Metropolen wurde der Anteil 
des Bodenpreises an den Gesamtkosten im Zusammen- 
hang mit dem Mietskasernenbau immer größer; bereits 
1870 betrug er in Berlin in der Regel 25 %. Mit der 
Entwicklung der Massenverkehrsmittel konnten die 
Städte sich räumlich stark erweitern; dadurch kam 
wesentlich mehr Land für die Bebauung mit Mietshäu- 
sern in Frage, so daß der Anteil der Grundrente in 
den Vororten nicht mehr so hoch war. Heute beträgt 
der Anteil der Bodenkosten an den Gesamtkosten z.B. 
im sozialen Wohnungsbau in Westberlin ca. 10 %, aller- 
dings mit stark steigender Tendenz, Berücksichtigt 
muß dabei werden, daß die meisten dieser Wohnungen 
weit außerhalb der eigentlichen Stadt auf freiem Feld 
errichtet werden. 
Der Gesamtumfang der Bodenspekulationsgewinne in 
Westdeutschland nach dem zweiten Weltkrieg beträgt 
weit über 100 Mrd. DM (vgl. dazu Werner Hofmann, 
Bodeneigentum und Gesellschaft, in: Abschied vom 
Bürgertum, Frankfurt 1970, S. 104) und entspricht 
etwa der Größenordnung der Beträge, die im gleichen 
Zeitraum vom Staat für den sozialen Wohnungsbau aus- 
gegeben wurden. Die Bodenspekulation, die sich aller 
Wahrscheinlichkeit auch weiterhin noch verstärken 
wird, führt zu einer immer stärkeren Belastung der 
Mieten mit der Grundrente, Dennoch bleibt zu be- 
rücksichtigen, daß der Anteil der Grundrente an den 
Baukosten im Durchschnitt aller Wohnungen in aller 
Regel unter 10 % beträgt, so daß man nicht sagen 
kann, die Ware Wohnung erhalte dadurch einen quali- 
tativ anderen Charakter. 
Der Verkauf "auf Raten'' und die säkulare Inflation 
Ein weiteres Spezifikum der Ware Wohnung besteht 
darin, daß sie nicht auf einmal konsumiert wird, son- 
dern, daß sie, nachdem sie von dem Bauherrn auf dem 
Markt gekauft wird, auf Jahrzehnte oder Jahrhunderte 
benutzt werden kann. Der Mieter kauft dabei nicht die 
Ware Wohnung, sondern ihren Gebrauch. Diese Be- 
sonderheit ändert allerdings nichts daran, daß es sich 
ARCH+ 3 (1970) H. 11
	        

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