Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

hierbei um ein normales Tauschgeschäft handelt: "Im 
Gegenteil, wir haben es mit einem ganz gewöhnlichen 
Warengeschäft zwischen zwei Bürgern zu tun, und 
dies Geschäft wickelt sich ab nach den ökonomischen 
Gesetzen, die den Warenverkauf überhaupt regeln, und 
speziell den Verkauf der Ware: Grundbesitz. Die Bau- 
und Unterhaltskosten des Hauses kommen zuerst in 
Anrechnung; der durch die mehr oder minder günstige 
Lage des Hauses bedingte Bodenwert kommt in zweiter 
Linie; der augenblickliche Stand des Verhältnisses 
zwischen Nachfrage und Angebot entscheidet schließ- 
lich." (F. Engels, Zur Wohnungsfrage, MEW 18, 
216) 
Wenn wir zunächst von einer Steigerung der Baupreise 
und der Grundrente absehen und eine genaue Bestimm- 
barkeit der Lebensdauer eines Hauses voraussetzen, 
dann gehen in die Miete folgende Kostenfaktoren ein: 
- die Grundrente 
- die Amortisierung oder Abschreibung der Baukosten; 
d.h., wenn die Lebensdauer 100 Jahre beträgt, 
müssen jährlich 1 % der Baukosten auf die Miete 
umgelegt werden 
die marktübliche Verzinsung des nach der Abschrei- 
bung jeweils noch verbleibenden Gesamtkapitals 
Bewirtschaftungs- und Reparaturkosten 
Setzt man weiter eine Konkurrenz der Kapitalien und 
eine damit verbundene Tendenz zum Ausgleich der 
Profitraten voraus, dann muß der Profit, der sich 
nach Abzug der Kosten ergibt, eben dieser normalen 
Profitrate annähern. 
Diese normale kapitalistische Kalkulation wird bei der 
Ware Wohnung in der Regel von folgenden Faktoren 
überlagert: 
1. von einem säkularen Anstieg der Baukosten und 
der Grundrente und 
von der mangelnden Flexibilität des Wohnungsmark- 
tes, die darin zum Ausdruck kommt, daß die in 
einem Jahr produzierten Wohnungen nur einige 
Prozent des gesamten Wohnungsbestandes aus- 
machen, d.h., daß der Anteil der jeweils neu- 
produzierten Wohnungen nur einen Bruchteil des 
Gesamtbestandes ausmacht. 
Der Einfluß der säkularen Inflation 
Soweit irgendwelche Preisschwankungen der Grund- 
rente oder der Baukosten auftreten, beeinflussen sie 
über die jeweiligen Neubaumieten auch die Mieten für 
die bereits bestehenden. Es bildet gerade das Haupt- 
kennzeichen des freien kapitalistischen Marktes, daß 
sich über ihn ein bestimmter Preis bildet, der für 
alle auf ihm gehandelten vergleichbaren Waren gilt. 
Derartige Preisschwankungen stehen in engem Zu- 
sammenhang mit den Konjunkturzyklen und bilden so- 
mit eine normale Erscheinung im Kapitalismus, 
Mit dem Übergang vom Konkurrenzkapitalismus zum 
Monopolkapitalismus ist jedoch eine entscheidende 
Änderung eingetreten: Seit ungefähr 100 Jahren gibt 
es in den entwickelten kapitalistischen Ländern einen 
eindeutig nach oben gerichteten Preistrend. Selbst 
in den Krisen oder Rezessionen gibt es keine Preis- 
senkungen mehr, sondern höchstens eine Verlangsa- 
mung des Preisanstieges. Die Zwangsläufigkeit und 
Notwendigkeit dieser säkularen Inflation im System 
des Monopolkapitals kann hier nicht im einzelnen er- 
örtert, sondern nur als Erscheinung mit ihren Folgen 
für den Wohnungsmarkt dargestellt werden (vgl. dazu 
insbesondere: Werner Hofmann, Die säkulare Inflation, 
Berlin 1962). "Von säkularer Inflation soll dann ge- 
sprochen werden, wenn das allgemeine Preisniveau 
eines Landes sich, aus welchen Gründen immer, lang- 
fristig von dem Preistrend entfernt, welcher die all- 
gemeine Zunahme der Arbeitsproduktivität erwarten 
ließe. Diesen ungewöhnlichen Sachverhalt finden wir 
heute in allen führenden Industrienationen unserer He- 
misphäre vor.'' (Hofmann, Die säkulare Inflation, a. 
a.0., 5. 7) 
Aus den Bedingungen der Wohnungsproduktion ergibt 
sich, wenn man einen freien, kapitalistischen Markt 
voraussetzt, daß sich alle Mieten an den jeweiligen 
aktuellen Neubaumieten ausrichten und in dem Ver- 
hältnis von ihnen abweichen, in dem sie qualitativ von 
ihnen unterschieden sind. Daraus ergeben sich für alle 
Hauseigentümer, die früher - und daher billiger - ge- 
baut haben, ungeheure Spekulationsgewinne. Die säku- 
lare Inflation, die nicht nur ein Kennzeichen, sondern 
eine Voraussetzung für die Funktionstüchtigkeit und 
Erhaltung des Monopolkapitalismus darstellt, zeigt 
sich hier in ihrer doppelten Auswirkung: Einmal führt 
sie zu einer andauernden Entwertung der nominellen 
Werte, also insbesondere der Sparguthaben, zum ande- 
ren bleibt das Grundeigentum von dieser Entwertung 
nicht nur verschont, sondern ist gerade der Nutznießer 
dieser Umverteilung, indem es laufend steigende Er- 
träge erhält; die Lasten aus den Hypotheken erhöhen 
sich jedoch nicht. Da die Baukosten wesentlich stärker 
ansteigen als die allgemeinen Lebenshaltungskosten 
oder die Gesamtpreise, erhält der Hausbesitz nicht 
nur einen gleichbleibenden realen Profit, sondern ei- 
nen in diesem Verhältnis ständig steigenden realen 
Profit. Diese Auswirkungen sind nicht das Ergebnis 
irgendwelcher spezifischer Bösewichte oder Wucherer, 
sondern nichts anderes als die normalen Ausprägun- 
gen eines kapitalistischen Marktes. 
Die säkulare Inflation muß sich auf dem Wohnungsmarkt 
noch wesentlich stärker bemerkbar machen als auf 
anderen Märkten, solange die Bodenspekulation sich 
weiter entfalten kann und der Grad der Industrialisie- 
rung der Bauwirtschaft und der Produktivität weiterhin 
hinter anderen Produkten zurückbleibt. Wer unter die- 
sen Umständen einer '"Liberalisierung'' des Wohnungs- 
marktes das Wort redet oder sie billigt, muß wissen, 
daß dadurch die Grund- und Hauseigentümer in den 
Genuß von ungeheuren Extraprofiten gelangen müssen. 
Die säkulare Inflation bildet bereits die wesentliche 
Profitquelle und oftmals die eigentliche Motivation für 
die Errichtung von Neubauten. Der Profit aus der Ver- 
mietung zur Zeit der Herstellung und in den folgenden 
Jahren ist vergleichsweise unwichtig und kann sogar 
negativ sein, solange man von der Gewißheit ausgehen 
kann, daß sich die Baupreise in 12 bis 15 Jahren ver- 
doppeln und die Bodenpreise verdreifachen. Denn dann 
kann man sicher sein, daß man zumindest nach dieser 
Zeit ungeheure Extraprofite einstreichen kann, und 
weiß, daß die Wohnungen sich immer mehr wie Gold- 
minen ausbeuten lassen. 
"Möchten Sie ein Stück Amerika besitzen? ... In dem 
gleichen Maß, in dem die Preise für Waren und Dienst- 
leistungen inflationär steigen, nimmt auch die Rendite 
ARCH+ 3 (1970) H. 11
	        
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