dessen Auswirkung hat bis heute nichts an Aktualität
eingebüßt. Sie richtet sich ebenso gegen solche Re-
formvorschläge, die den Zusammenhang von Kapitalis-
mus und Wohnungsfrage nicht erkennen und deshalb
glauben, Auswirkungen des Kapitalismus abschaffen
zu können, ohne ihn selbst in Frage zu stellen, als
auch gegen Modelle zukünftigen Wohnens in einer so-
zialistischen Gesellschaft, die bloße Utopien bleiben
müssen. Daraus folgt, daß eine Lösung der Woh-
nungsfrage nicht in irgendwelchen Selbsthilfen oder
staatlichen sozialpolitischen Maßnahmen gesucht
werden kann, sondern nur in der Überwindung des
Kapitalismus selbst.
III. Wohnungspolitik
1. Wehrwillen und Sozialpolitik: Die Argumente zur
Wohnungspolitik im und nach dem Ersten Weltkrieg
Die wohnungspolitische Lage bis Kriegsbeginn zeich-
nete sich durch eine unüberbrückbare Diskrepanz
zwischen der materiellen Wirklichkeit und der Dis-
kussion darüber aus, Die weitgehend akademischen
Diskussionen über die Möglichkeiten einer Restaurie-
rung, Reformierung oder Revolutionierung des Woh-
nungswesens blieben ohne nennenswerte Auswirkung
auf die Realität. Tatsächlich war die '"Liberalisierung']
die völlige Einordnung der Wohnungswirtschaft in die
kapitalistische Wirtschaft weitgehend verwirklicht.
Diese "Verwirklichung" geistert, natürlich unter Ab-
strahierung von der wirklichen Lage der Mieter in
diesem System, mit wechselnder Vehemenz durch die
Zeilen der Literatur des Wohnungswesens bis hin zum
Lücke-Plan, der sich ihr wieder besonders verpflich-
tet fühlt.
Kriegswirtschaft und Staatsintervention: Der Aufbau
des Systems der Zwangswirtschaft
Ein tatsächliches Nachvollziehen der ersten woh-
nungspolitischen Schritte zerstört schnell die bürger-
liche Legende, die kriegsbedingte Wohnungsnot nach
dem Ersten Weltkrieg sei Ursache und Ausgangspunkt
moderner Wohnungspolitik. Die staatliche Wohnungs-
politik im Krieg setzte schon zu einer Zeit ein, in der
die Ursachen der Wohnungsnot nach dem Krieg nicht
bedacht werden konnten. Entscheidend scheint das
Kräfteverhältnis zwischen den bisherigen Trägern der
Wohnungsbaupolitik, das waren Bauunternehmen,
Terraingesellschaften und Hypothekenbanken auf der
einen Seite und dem Staat auf der anderen Seite, Erst
im Ersten Weltkrieg war die Kapitalkonzentration,
insbesondere in der Rüstungsindustrie, soweit fort-
geschritten, daß deren Interesse als das '"nationale''
stark genug war, den Einfluß von Haus- und Grund-
besitz zurückzudrängen. Und dieses '"natienale' In-
teresse, das dann selbst die Sozialdemokraten ein-
sahen, war die Erhaltung und Sicherung des Wehr-
willens aus der Erkenntnis, daß die innenpolitische
Sicherheit entscheidend wird zur Durchsetzung der
Kriegsziele. Der Eingriff des Staates war hier nicht
unmittelbar ökonomischer, sondern politischer Natur:
Der Aufbau der Wohnungszwangswirtschaft diente
zunächst dem Schutz der Mieter, die die Massen derer
stellten, die den Krieg wirklich führen mußten. Die
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zwangswirtschaftlichen Maßnahmen mußten jedoch
zwangsläufig ökonomische Auswirkungen haben: das
Einstellen jeglicher Neubautätigkeit und der durch die
Zwangswirtschaft praktisch festgelegte Standard der
Befriedigung des Wohnbedürfnisses erzwangen amtlich
festgelegte Mieten bzw. Höchstmieten. Schon während
des Krieges bezeichneten das Kriegerheimstättenge-
setz und weitere Erlasse die Richtung, in der auf der
Grundlage der Zwangswirtschaft Wohnungspolitik be-
trieben werden sollte. Die reformerischen Bewegun-
gen der Vorkriegszeit wurden direkt umgesetzt, in der
Begründung verschmolzen diese Ideen mit den vorder-
gründigen Absichten der Wehrhaftmachung des Volkes.
Zur organisatorischen Durchführung dieser Schritte
wurden die ersten Vorbereitungen getroffen: Zentrali-
sierung staatlicher Organe, Vorbereitungen zur Auf-
nahme der Bautätigkeit und Gewährung von Baukosten-
zuschüssen, die die erhöhten Baukosten ausgleichen
sollten. Schon diese erste einer langen Reihe von Maß-
nahmen finanzpolitischer Art zeigt die Art des staat-
lichen Eingriffs. Da man höhere Mieten für nicht trag-
bar hielt, das heißt, da man nicht sicher war, ob diese
ohne Widerstand hingenommen wurden, war es der
Weg des geringsten Widerstandes, den Bauherren Bau-
kostenzuschüsse in dem Maße zu geben, in dem sich
die Baukosten verteuert hatten. Das preußische Woh-
nungsgesetz von 1918 ist gekennzeichnet durch ein
regelndes Eingreifen des Staates in Bau- und Boden-
ordnung, Finanzierung und Organisation des Wohnungs-
wesens. Es war erklärtes Ziel, das Kleinhaus und die
Kleinhaussiedlung zu fördern, wofür denn auch die
Vorschriften für Baukostenzuschüsse, über Enteig-
nungen und Bauordnungen gedacht waren.
Wohnungsbau als Befriedungspolitik: Die sozialdemo-
kratische Lösung der Wohnungsfrage
Die sozialdemokratisch regierte Republik übernahm
in den Grundlagen praktisch die Wohnungspolitik. Es
genügte eine Verschiebung der ideologischen Begrün-
dungen, die sich schon durch eine Streichung der wehr-
politischen Zielsetzungen ergaben, auf die Argumente
der Wohnungsreformbewegung.
Ausdruck dieser weitgehend an der Oberfläche blei-
benden Umformulierung waren besonders die Zusam-
menfassung der zwangswirtschaftlichen Verordnungen
im Reichsmietengesetz, Wohnungsmangelgesetz und
Mieterschutzgesetz sowie die Ablösung des Krieger-
heimstättengesetzes durch das Reichsheimstättenge-
setz 1920, in dem exemplarisch dargestellt ist, worum
es immer mehr geht: um die Handhabung der Woh-
nungspolitik als Sozialpolitik, die Korrumpierung des
Bewußtseins der ''sozial schwachen Kreise'',
Die Schwierigkeiten der Verwirklichung zeigen sich
bald: Die Funktion von Angebot und Nachfrage, die im
Kapitalismus den Bedarf regeln, ist durch die Zwangs-
wirtschaft zum Teil außer Kraft gesetzt; die ausge-
bliebene Neubautätigkeit im Kriege und die Abtretung
von Reichsgebieten läßt Wohnungsnot tatsächlich der
bürgerlichen Öffentlichkeit bewußt werden. Eine Be-
hebung dieser Wohnungsnot ist kaum absehbar, ver-
hindern doch Baustoff- und Kapitalknappheit und ins-
besondere der geringe zu erwartende Gewinn privaten
Wohnungsbaus in nennenswertem Umfang. Den '"Krie-
gern'', die sich mit Hilfe der Zuschüsse eine Heim-
stätte errichten wollen, fehlt jedenfalls das Kapital zur
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