Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

Erlangung dieser Zuschüsse, In den Städten beginnt 
abweichend von den Idealen der Reichsheimstätte der 
von den "gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften' 
getragene Wohnungsbau an Umfang zuzunehmen. Der 
Begriff Gemeinnützigkeit wird dabei weitgehend wie 
vor dem Krieg verstanden, d.h. als Abgrenzung von 
dem spekulativen Wohnungsbau. Die Grenze wird bei 
etwa 5 % Gewinnausschüttung gesehen; Träger der Ge- 
sellschaften waren besonders der Staat, die Kommu- 
nen, die Gewerkschaften und die Sozialversicherungen 
Die Finanzierung unterscheidet sich grundsätzlich in 
nichts von den Vorkriegsverhältnissen. Bauunterneh- 
men, Banken und Wohnungsbaugesellschaften erzielen 
Gewinne. Der Staat übernimmt das Risiko durch Her- 
gabe verbilligter Kredite und Bürgschaften, damit 
wird die Wohnung erst vermietbar. Der Realkredit ist 
daher bereit, die hypothekarische Belastung bis auf 
90 % heraufzusetzen und somit zum gleichen Zinsge- 
winn wie vor dem Krieg zu kommen. Die Bauherren 
sparen Eigenkapital, müssen sich dafür aber mit ei- 
nem zunächst begrenzten Gewinn abfinden. Da die 
Neubaumieten trotz staatlicher Hilfe zu hoch sind, 
werden erste Schritte getan, die Altbaumieten anzu- 
gleichen. Schon diese Maßnahmen zeigen, daß grund- 
sätzliche Änderungen der Wohnungsbaupolitik auf 
immer größere Schwierigkeiten stoßen müssen. Die 
Meinung, daß gemeinnützige Bautätigkeit "Bautätigkeit 
unter Gewinnverzicht' (Rudolf Eberstadt, Handbuch 
des Wohnungswesens und der Wohnungsfrage, 1920) 
sei, setzt sich durch. Das Ziel, die Staatshaushalte 
zu entlasten und gleichzeitig einen Rückfall in die 
"Spekulation'' der Vorkriegszeit zu verhindern, führt 
schon jetzt zu Vorschlägen, Baukostenzuschüsse und 
Darlehen durch Zinszuschüsse zu ersetzen und die 
Beträge hierzu durch eine Belastung der "Nutznießer'' 
der Altwohnungen zu erhalten. Die angeblich unge- 
rechtfertigten Vorteile jener "Nutznießer;'d.h. also 
derer, die in den jeweils ältesten Wohnungen hausen 
und deshalb niedrige Mieten zahlen, werden hier erst 
mals - und in der Zukunft bis heute immer wieder - 
zum Ziel der Angriffe auf die staatliche Wohnungs- 
politik. Und schon hier werden diese Nutznießer zur 
Förderung des Wohnungsbaus herangezogen, zur För- 
derung von Wohnungen, die ihresgleichen nie bezahlen 
könnten. Da die Bodenspekulation und die Hypotheken- 
wirtschaft als solche unangetastet bleiben, lassen 
sich die Zielsetzungen des Kleinhaus- und Siedlungs- 
baus bald nur noch auf dem Lande verwirklichen, in 
den Großstädten steigt wieder der Anteil des Mehr- 
wohnungshauses. Die in der Verfassung des Deutschen 
Reiches im Artikel 155 aufgestellten Grundsätze der 
Bodenpolitik - Sicherung einer gesunden Wohnung für 
jeden Deutschen und einer den Bedürfnissen jeder 
Familie entsprechenden Wohn- und Wirtschaftsstätte; 
Enteignung von Grundbesitz möglich, wenn zur Be- 
friedigung des Wohnbedürfnisses sowie zur Förderung 
der Ansiedlung und der Landwirtschaft nötig; Nutz- 
barmachung der ohne Arbeits- und Kapitalaufwand 
entstehenden Wertsteigerung des Bodens für die All- 
gemeinheit - bleiben papierene Forderungen. 
So blieb als Gewinn der ersten Phase sozialdemokra- 
tischer Wohnungspolitik die bedeutende Verbesserung 
des technischen Standards der Ware Wohnung und die 
soziale Sicherung des Mieters durch Gesetze auf der 
einen Seite sowie die weit zweifelhaftere Propagie- 
rung des Eigenheimgedankens auf der anderen Seite. 
Durch die im Vergleich zur Vorkriegszeit geringeren 
Belastungen der Mieter blieb es fast völlig unbeachtet, 
daß die kapitalistische Wirtschaft als solche unange- 
tastet blieb. Unter diesen Umständen mußten sich 
mittelständische Liberalisierungs- und Eigentumsideo- 
logie gegen einen Ausbau des Wohnungswesens im In- 
teresse der Massen wenden, mußte sich die Korrum- 
pierung des Bewußtseins der Massen dahingehend aus- 
wirken, daß das Wohnungswesen immer weniger als 
voll in die kapitalistische Wirtschaft integriert erkannt 
wurde. 
Das Eintreten der Sozialdemokratie für die Wohnungs- 
politik auf dieser Grundlage macht Kritik von soziali- 
stischer Seite wirkungslos, so daß als lautstarke Kri- 
tiker nur Apologeten vergangener Epochen auftreten: 
liberale Wirtschaftstheoretiker weisen unermüdlich 
auf die Vorzüge der Vorkriegswirtschaft im Wohnungs- 
wesen hin. Dem mittelständischen Haus- und Grundbe- 
sitz bleibt nichts anderes übrig, als auf seine staats- 
tragenden Qualitäten hinzuweisen und vor einer Sozia- 
lisierung zu warnen. Daß es dennoch Kritiker aus die- 
sen Reihen sind, die auf einige der wunden Punkte der 
staatlichen Wohnungspolitik hinweisen, zeigt die Ver- 
blendung der sich antikapitalistisch gebenden Sozial- 
demokraten, die wesentlich den Ausbau des Systems 
beeinflußten. 
Die weitgehende Einigkeit in der Wohnungspolitik ist 
besonders aus der Diskrepanz zwischen ihren propa- 
gierten Zielen und der Realität erklärbar. Alle wesent- 
lichen Reformbewegungen der Vorkriegszeit gingen in 
Gesetze, Verordnungen und Bestimmungen ein: das 
Ideal des Einfamilienhauses im Grünen, bodenrefor- 
merische Ideen, nationales Interesse, Groß stadtfeind- 
lichkeit, die Illusion, daß an der Ware Wohnung nie- 
mand verdienen solle. Die Verwirrung war so voll- 
kommen, daß Reaktionäre auf der einen Seite den Be- 
trug an den Arbeitern erkannten, ihn aber gleichzeitig 
als "Sozialisierung auf kaltem Weg'' (Max Wolff, 
Zwangswirtschaft und Wohnungswesen, 1929) ansahen. 
Wirkliche Verhandlungen über die völlige Sozialisierung 
des Wohnungswesens (Sozialisierungskommission über 
die Neuregelung des Bauwesens 1921) legten mit einer 
nichtssagenden Resolution derlei Pläne endgültig zu 
den Akten. Spätestens damit hatte sich gezeigt, daß die 
sozialdemokratische Wohnungspolitik als ein Bestand- 
teil der Sozialpolitik, die wesentlicher Teil des Kampfes 
gegen '"radikale Linke' war, langfristig den Interessen 
des Kapitals dienen mußte. Verboten sich direkte So- 
zialisierungsmaßnahmen zunächst also durch den 
Wunsch, sich nach links abzusichern, so waren sie 
später bei den abbröckelnden Mehrheiten der Sozial- 
demokraten in den Parlamenten nicht mehr durchführ- 
bar. 
Durch die 1921 gescheiterten Verhandlungen wurde nur 
bestätigt, was in der Anlage der Wohnungspolitik be- 
reits sich zeigte: die Lage der Massen der Mieter er- 
träglich zu halten durch Wohnungsgesetzgebung und 
eine Baupolitik zur Erhaltung der Verwertungsbedin- 
gungen des Kapitals zu betreiben. 
ARCH+ 3 (1970) H. 11
	        
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