fel an der Zahlungsfähigkeit der Mieter damit also
nicht auszuräumen waren, blieb das System der va-
riablen Standards, d.h. der Verringerung der Woh-
nungsgrößen und der Ausstattung der Wohnung.
Die Notverordnungen während der Wirtschaftskrise
wiesen den Weg der neuen Wohnungspolitik. Der
städtische Wohnungsbau wurde zu Gunsten des länd-
lichen Kleinhausbaus eingeschränkt, der Anteil der
gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften ging zu-
rück. In dieser Zeit kam als neue Variante der Woh-
nungsbau als Konjunkturpolitik in die Diskussion. Ver-
teidiger liberaler Wohnungswirtschaft wiesen auf den
"natürlichen Zyklus" hin, der den Wohnungsmarkt vor
dem Krieg bestimmt habe. In Zeiten geringer wirt-
schaftlicher Aktivität sei der Zins niedrig und damit
Wohnungsbau möglich, der damit gleichzeitig die
Wirtschaft zu neuem Aufschwung anrege. Die Folgen
solcher Konjunkturpolitik trägt aber der Mieter in
doppelter Hinsicht. So sinkt der Wohnungsstandard
in Zeiten wirtschaftlicher Blüte; im folgenden Wirt-
schaftsabschwung ist der Arbeiter der erste, der ge-
zwungen wird, sich weitere Einschränkungen aufzu-
erlegen. Die Leerwohnungsreserve steigt hierdurch
und durch den beginnenden Neubau. Dabei gleicht sich
das Niveau der Mieten ständig nach oben an, die sta-
tistische Leerwohnungsreserve (tatsächlich stehen
nur große und teuere Wohnungen leer) dient dann auch
im nächsten Aufschwung als Beweis überwundener
Wohnungsnot. Die Wirkung dieses Mechanismus zu
potenzieren, wird dann Aufgabe staatlicher Konjunk-
turpolitik und folgerichtig auch von '"liberalen'' Woh-
nungspolitikern vorgeschlagen (Georg Haberland,
Wirtschaftskrise und Wohnungsversorgung, 1933).
Ideal geeignet dazu sei die Sanierung. Es wird vorge-
schlagen, während der Krise anstelle der sowieso
jährlich abbruchreifen 10.000 Wohnungen in Berlin
doch gleich 20. 000 jährlich zu sanieren. Damit ver-
schwänden jährlich 20. 000 der billigsten Wohnungen,
um durch ebensoviel der teuersten ersetzt zu werden
"Dies sei schließlich eine bessere Verwendung der
Hauszinssteuer als Arbeitslosenfürsorge.'' (Georg
Haberland, Wirtschaftskrise und Wohnungsversor-
gung, 1933) Daß das vor allem für die Besitzer der zu
sanierenden Häuser zutrifft, beweist die Sanierungs-
praxis in Berlin heute.
vl
In der Wirtschaftskrise finden so scheinbar die Inte-
ressen aller aufs Wunderbarste zueinander, All die,
die sich immer wieder für eine Liberalisierung stark
machten, fordern plötzlich staatliche Eingriffe, die
jetzt im Interesse des Haus- und Grundbesitzes und
der Bauindustrie seien und auch vorgeblich im Inte-
resse aller anderen Beteiligten, der Mieter und der
Bauarbeiter, kurz dem Volksganzen. Hinter dieser
Fassade der Einheit verwirklichen sich indes um so
ungestörter die Gesetze der kapitalistischen Produk-
tionsweise. "Auch die politische Neuordnung im Jahre
1933 änderte zunächst nicht die grundsätzliche Form
und Anwendung der Maßnahmen zur Herausführung
aus der Wirtschaftskrise, wenngleich sich die letzten
politischen Zielsetzungen wandelten.'' (Ursula Herz-
berg, Die Geschichte der Berliner Wohnungswirt-
schaft, 1957) Dieser bezeichnende Satz gilt voll auch
für die Wohnungspolitik. Die Verordnungen während
der Wirtschaftskrise bereiteten nationalsozialistischer
Wohnungspolitik den Boden. In konsequenter Fortset-
zung des Trends wurde bei Konzentrierung der Be-
IA
fugnisse der Wohnungsbau aufs Land und den Klein-
haus- und Siedlungsbau verlagert. Dabei wurde immer
mehr versucht, staatliche Hilfen durch Eigenkapital
zu ersetzen, insbesondere durch strengere Bewilli-
gungsbestimmungen und Verringerung der Richtsätze.
Wieder ergänzten sich aufs beste wirtschaftliche Not-
wendigkeit (im Sinne des Kapitals) und politische Ziel-
setzung. Das sozialpolitische Ziel der Befriedung durch
"Einwurzelung in den Boden'' lenkt aber von dem gleich-
zeitigen Rückzug des Staates aus materiellem Engage-
ment ab. Der gesetzliche Eingriff stabilisiert die Ver-
hältnisse; die Interessen des faschistischen Staates,
der keiner Kapitalfraktion mehr direkt verpflichtet ist,
überlagern den alten Streit, Der Schwerpunkt liegt im
ideologischen Angriff, der Zerstörung des Bewußtseins
der Massen von ihrer objektiven Lage.
3. Wohnungswirtschaft im Dienst der Kriegswirtschaft
und in der Nachkriegszeit
- Gesellschaftspolitik, Rüstung und Befriedung -
Die Preisstopverordnungen von 1936 markieren den
Zeitpunkt, zu dem die Wirtschaft voll unter die poli-
tischen Ziele des NS untergeordnet ist. Mit dem all-
gemeinen Preisstop, also auch für Mieten, Baulei-
stungen und Grundstücke, muß folgerichtig die Woh-
nungszwangswirtschaft, die nach der Wirtschaftskrise
zur Förderung der Privatinitiative gelockert worden
war, wieder verschärft werden. Konjunkturpolitische
Erwägungen im Zusammenhang mit Wohnungsbau konn-
ten nun zurückstehen, die Rüstung sorgte für die Aus-
lastung der Wirtschaft. Es war im Gegenteil notwendig,
staatliche Aufwendungen für den Wohnungsbau zu
drosseln. Der bei Preisstop und Zwangswirtschaft
aber zur Vermeidung sozialpolitischer Fehlschläge
notwendige Neubau mußte also wesentlich privater
Initiative überlassen bleiben. Um den Widerspruch zu
den beschnittenen Gewinnmöglichkeiten und der einge-
schränkten Verfügungsgewalt lösen zu können, waren
zwei Wege denkbar: Einmal die Senkung der Kosten
der Ware Wohnung, d.h. weitgehend die Senkung des
Wohnungsstandards, zum anderen der Bau von Eigen-
tumshäusern auf dem Lande. Die Verbindung beider
Wege fand die besten Voraussetzungen wirtschaftlicher,
ideologischer und politischer Art vor. Daß dieses Kon-
zept jedoch tatsächlich zu Neubauzahlen wie in der
prosperierenden Hauszinssteuerära führt, hat vor-
wiegend politisch-ideologische Gründe. Die reforme-
rischen Forderungen der unmittelbaren Nachkriegs-
zeit, d.h. die Forderung nach dem eigenen Haus auf
eigener Scholle - 1920 eine wirtschaftlich weitgehend
utopische Forderung -, fallen zusammen mit den In-
teressen des faschistischen Staates, der damit auch
die ökonomischen Grundlagen schafft, Dank ideologi-
schen Drucks gelingt die Mobilisierung von Eigenka-
pital und Eigenleistung, die Verknüpfung mit dem
Grund und Boden wird erstmals zur Realität, Die Kul-
mination aller NS-Vorstellungen zum Wohnungsbau
ergeben sich im Konzept der "Neuen Stadt'' (vgl. Gott-
fried Feder, Die neue Stadt, 1939). Vorerst verhindert
jedoch die Kriegswirtschaft die Verwirklichung. Nen-
nenswerte staatliche Initiative im Wohnungsbau hat
allein ihr zu dienen, immer mehr ist Wohnungsbau der
Funktionsfähigkeit der Rüstungsindustrie direkt unter-
worfen.
ARCH+ 3 (1970) H. 11