Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

fel an der Zahlungsfähigkeit der Mieter damit also 
nicht auszuräumen waren, blieb das System der va- 
riablen Standards, d.h. der Verringerung der Woh- 
nungsgrößen und der Ausstattung der Wohnung. 
Die Notverordnungen während der Wirtschaftskrise 
wiesen den Weg der neuen Wohnungspolitik. Der 
städtische Wohnungsbau wurde zu Gunsten des länd- 
lichen Kleinhausbaus eingeschränkt, der Anteil der 
gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften ging zu- 
rück. In dieser Zeit kam als neue Variante der Woh- 
nungsbau als Konjunkturpolitik in die Diskussion. Ver- 
teidiger liberaler Wohnungswirtschaft wiesen auf den 
"natürlichen Zyklus" hin, der den Wohnungsmarkt vor 
dem Krieg bestimmt habe. In Zeiten geringer wirt- 
schaftlicher Aktivität sei der Zins niedrig und damit 
Wohnungsbau möglich, der damit gleichzeitig die 
Wirtschaft zu neuem Aufschwung anrege. Die Folgen 
solcher Konjunkturpolitik trägt aber der Mieter in 
doppelter Hinsicht. So sinkt der Wohnungsstandard 
in Zeiten wirtschaftlicher Blüte; im folgenden Wirt- 
schaftsabschwung ist der Arbeiter der erste, der ge- 
zwungen wird, sich weitere Einschränkungen aufzu- 
erlegen. Die Leerwohnungsreserve steigt hierdurch 
und durch den beginnenden Neubau. Dabei gleicht sich 
das Niveau der Mieten ständig nach oben an, die sta- 
tistische Leerwohnungsreserve (tatsächlich stehen 
nur große und teuere Wohnungen leer) dient dann auch 
im nächsten Aufschwung als Beweis überwundener 
Wohnungsnot. Die Wirkung dieses Mechanismus zu 
potenzieren, wird dann Aufgabe staatlicher Konjunk- 
turpolitik und folgerichtig auch von '"liberalen'' Woh- 
nungspolitikern vorgeschlagen (Georg Haberland, 
Wirtschaftskrise und Wohnungsversorgung, 1933). 
Ideal geeignet dazu sei die Sanierung. Es wird vorge- 
schlagen, während der Krise anstelle der sowieso 
jährlich abbruchreifen 10.000 Wohnungen in Berlin 
doch gleich 20. 000 jährlich zu sanieren. Damit ver- 
schwänden jährlich 20. 000 der billigsten Wohnungen, 
um durch ebensoviel der teuersten ersetzt zu werden 
"Dies sei schließlich eine bessere Verwendung der 
Hauszinssteuer als Arbeitslosenfürsorge.'' (Georg 
Haberland, Wirtschaftskrise und Wohnungsversor- 
gung, 1933) Daß das vor allem für die Besitzer der zu 
sanierenden Häuser zutrifft, beweist die Sanierungs- 
praxis in Berlin heute. 
vl 
In der Wirtschaftskrise finden so scheinbar die Inte- 
ressen aller aufs Wunderbarste zueinander, All die, 
die sich immer wieder für eine Liberalisierung stark 
machten, fordern plötzlich staatliche Eingriffe, die 
jetzt im Interesse des Haus- und Grundbesitzes und 
der Bauindustrie seien und auch vorgeblich im Inte- 
resse aller anderen Beteiligten, der Mieter und der 
Bauarbeiter, kurz dem Volksganzen. Hinter dieser 
Fassade der Einheit verwirklichen sich indes um so 
ungestörter die Gesetze der kapitalistischen Produk- 
tionsweise. "Auch die politische Neuordnung im Jahre 
1933 änderte zunächst nicht die grundsätzliche Form 
und Anwendung der Maßnahmen zur Herausführung 
aus der Wirtschaftskrise, wenngleich sich die letzten 
politischen Zielsetzungen wandelten.'' (Ursula Herz- 
berg, Die Geschichte der Berliner Wohnungswirt- 
schaft, 1957) Dieser bezeichnende Satz gilt voll auch 
für die Wohnungspolitik. Die Verordnungen während 
der Wirtschaftskrise bereiteten nationalsozialistischer 
Wohnungspolitik den Boden. In konsequenter Fortset- 
zung des Trends wurde bei Konzentrierung der Be- 
IA 
fugnisse der Wohnungsbau aufs Land und den Klein- 
haus- und Siedlungsbau verlagert. Dabei wurde immer 
mehr versucht, staatliche Hilfen durch Eigenkapital 
zu ersetzen, insbesondere durch strengere Bewilli- 
gungsbestimmungen und Verringerung der Richtsätze. 
Wieder ergänzten sich aufs beste wirtschaftliche Not- 
wendigkeit (im Sinne des Kapitals) und politische Ziel- 
setzung. Das sozialpolitische Ziel der Befriedung durch 
"Einwurzelung in den Boden'' lenkt aber von dem gleich- 
zeitigen Rückzug des Staates aus materiellem Engage- 
ment ab. Der gesetzliche Eingriff stabilisiert die Ver- 
hältnisse; die Interessen des faschistischen Staates, 
der keiner Kapitalfraktion mehr direkt verpflichtet ist, 
überlagern den alten Streit, Der Schwerpunkt liegt im 
ideologischen Angriff, der Zerstörung des Bewußtseins 
der Massen von ihrer objektiven Lage. 
3. Wohnungswirtschaft im Dienst der Kriegswirtschaft 
und in der Nachkriegszeit 
- Gesellschaftspolitik, Rüstung und Befriedung - 
Die Preisstopverordnungen von 1936 markieren den 
Zeitpunkt, zu dem die Wirtschaft voll unter die poli- 
tischen Ziele des NS untergeordnet ist. Mit dem all- 
gemeinen Preisstop, also auch für Mieten, Baulei- 
stungen und Grundstücke, muß folgerichtig die Woh- 
nungszwangswirtschaft, die nach der Wirtschaftskrise 
zur Förderung der Privatinitiative gelockert worden 
war, wieder verschärft werden. Konjunkturpolitische 
Erwägungen im Zusammenhang mit Wohnungsbau konn- 
ten nun zurückstehen, die Rüstung sorgte für die Aus- 
lastung der Wirtschaft. Es war im Gegenteil notwendig, 
staatliche Aufwendungen für den Wohnungsbau zu 
drosseln. Der bei Preisstop und Zwangswirtschaft 
aber zur Vermeidung sozialpolitischer Fehlschläge 
notwendige Neubau mußte also wesentlich privater 
Initiative überlassen bleiben. Um den Widerspruch zu 
den beschnittenen Gewinnmöglichkeiten und der einge- 
schränkten Verfügungsgewalt lösen zu können, waren 
zwei Wege denkbar: Einmal die Senkung der Kosten 
der Ware Wohnung, d.h. weitgehend die Senkung des 
Wohnungsstandards, zum anderen der Bau von Eigen- 
tumshäusern auf dem Lande. Die Verbindung beider 
Wege fand die besten Voraussetzungen wirtschaftlicher, 
ideologischer und politischer Art vor. Daß dieses Kon- 
zept jedoch tatsächlich zu Neubauzahlen wie in der 
prosperierenden Hauszinssteuerära führt, hat vor- 
wiegend politisch-ideologische Gründe. Die reforme- 
rischen Forderungen der unmittelbaren Nachkriegs- 
zeit, d.h. die Forderung nach dem eigenen Haus auf 
eigener Scholle - 1920 eine wirtschaftlich weitgehend 
utopische Forderung -, fallen zusammen mit den In- 
teressen des faschistischen Staates, der damit auch 
die ökonomischen Grundlagen schafft, Dank ideologi- 
schen Drucks gelingt die Mobilisierung von Eigenka- 
pital und Eigenleistung, die Verknüpfung mit dem 
Grund und Boden wird erstmals zur Realität, Die Kul- 
mination aller NS-Vorstellungen zum Wohnungsbau 
ergeben sich im Konzept der "Neuen Stadt'' (vgl. Gott- 
fried Feder, Die neue Stadt, 1939). Vorerst verhindert 
jedoch die Kriegswirtschaft die Verwirklichung. Nen- 
nenswerte staatliche Initiative im Wohnungsbau hat 
allein ihr zu dienen, immer mehr ist Wohnungsbau der 
Funktionsfähigkeit der Rüstungsindustrie direkt unter- 
worfen. 
ARCH+ 3 (1970) H. 11
	        
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