Die programmatische Formulierung einer Woh-
nungspolitik: Staatsaufgabe im Interesse des Mono-
polkapitals
Das Neubauverbot von 1940, das das Ende praktischer
NS-Wohnungspolitik bedeutet, bedeutet zugleich aber
den Beginn einer verstärkten Arbeit an programma-
tischen Entwürfen für die Zeit nach dem Krieg. Die
Bedeutung dieser Arbeiten, dem '"Erlaß des Führers
zur Vorbereitung des deutschen Wohnungsbaus nach
dem Kriege'' (1940) (in: Ullrich Conrads, Programme
und Manifeste zur Architektur, 1964) dem Gemein-
nützigkeitsgesetz (1940) und der Arbeiten des "Reichs-
kommisariats für den Sozialen Wohnungsbau'' liegen
darin, daß sie faktisch die Grundlagen der Wohnungs-
politik nach dem Krieg darstellen, Im Führererlaß
zum Wohnungsbau wird zum ersten Mal vom Staat ein
umfassendes Programm erstellt, dessen Verwirkli-
chung seine absolute Dominanz im Wohnungswesen
bedeutet. Dennoch ist explizit darauf hingewiesen, daß
die kapitalistische Wirtschaft letztlich verantwortlich
sein soll: "Bei der Finanzierung sind, soweit mög-
lich, die Einrichtungen der Wirtschaft heranzuziehen''
(Anna Teut, Architektur im Dritten Reich, Berlin-
Frankfurt 196 ). Gemeinnützige Wohnungsunterneh-
men, nach dem WGG kapitalistisch organisiert, sol-
len Träger des Wohnungsbaus sein. Rahmenbedingun-
gen zur Förderung des Wohnungsbaus werden in dem
Erlaß angegeben, die Forderung nach Detaillierung,
in Artikel X ("Die auf dem Gebiete des Wohnungsbaus
geltenden Vorschriften werden im Sinne dieses Erlas-
ses durch ein Gesetz über den neuen deutschen Woh-
nungsbau für das gesamte Reich vereinheitlicht und
vereinfacht'') erhoben, wird exakt erst 1950 mit dem
1. Wohnungsbaugesetz der Bundesregierung erfüllt.
Gegenüber dem Konzept der "neuen Stadt'' bezog die-
ses Programm, die "aufgelockerte Stadt'' (vgl. Göde-
ritz, Rainert, Hofmann, Die aufgelockerte Stadt), die
bestehende Wirklichkeit mit ein; die Großstadt, selbst
mit Hochhäusern, wurde akzeptiert, wenn sie nur auf-
zulockern ist und den ideologisch-politischen Zielen
dienen kann: der Verwurzelung besonders der kinder-
reichen Familien. Nur ein Problem war in allen Pro-
grammen ungenügend angesprochen und einbezogen:
daß nach dem Krieg nun tatsächlich eine Wohnungsnot
herrschte, die staatliche Intervention in einem Aus-
maße erforderte, das vorher nicht absehbar war. Der
Gefahr, die darin für jeden Versuch einer Restaurie-
rung des liberalen Kapitalismus lag, wurde schon
1946 von den Alliierten begegnet: Das Kontrollrats-
gesetz Nr. 18 (Wohnungsgesetz) verfügt staatliche
Verwaltung und Verteilung des vorhandenen Wohn-
raums durch kommunale Wohnungsämter. Damit wur-
de die Wohnungszwangswirtschaft auf der Basis des
Preisstops von 1936 in vollem Umfange weitergeführt
und vervollständigt.
Die materiellen Voraussetzungen der Wohnungspolitik:
Die Lage nach dem Zweiten Weltkrieg
Im Entwurf zum 1. Wohnungsbaugesetz wurde der
Wohnungsbedarf angegeben, von dem zukünftige Pla-
nung auszugehen habe. Für das Gebiet der BRD sind
das 4,5 Mill. Wohnungen (nach: O. Löbke, Die Sub-
ventionierung des Wohnungsbaus, 1951). Die auch
nach 1949 noch steigenden Einwohnerzahlen - insbe-
sondere durch Flüchtlinge und Aussiedler - ergeben
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im Vergleich zum Ersten Weltkrieg einen erheblich
größeren Bedarf an neuen Wohnungen. Hatte das ma-
terielle Ausmaß der Wohnungsfrage zwar eine völlig
neue Dimension, so war sie doch nicht von wirklich
systemgefährdender Natur. Die ''Schuldigen'' der
Misere, die Nazis, waren auszumachen und zu be-
zeichnen, Kapital und Eigentum waren es nicht, im
Gegenteil, es hätte nie eine Wohnungsnot gegeben,
hätten sie nur ungestört agieren können. Die ideologi-
sche Basis der Wohnungspolitik war mit der Restau-
ration der Marktwirtschaft eindeutig gegeben. Den-
noch wurde die Hauptkritik an der nach 1948 einsetzen-
den staatlichen Wohnungsbaupolitik später deren an-
gebliche '"Konzeptionslosigkeit''. "Das eine Leitbild
(das zentral-planwirtschaftliche) nicht realisieren zu
wollen, das andere (das marktwirtschaftliche) aus so-
zialen Gründen nicht realisieren zu können - in dieser
Ambivalenz, in dieser Unmöglichkeit einer grundsätz-
lichen Entscheidung lag letztlich der tiefere Grund
unserer bisher unzulänglichen Wohnungswirtschaft.''
{Rudolf Eberstadt, Handbuch des Wohnungswesens und
der Wohnungsfrage, 1920) In dieser nachträglichen
Beurteilung wird unterstellt, daß in der Wohnungspoli-
tik derartige Alternativen zur Diskussion gestanden
hätten. Der scheinbare Wunsch nach einem klaren
Konzept stellt sich meistens als Klage darüber heraus,
daß auf dem Wege zur Liberalisierung zu zögernd
vorangeschritten werde. Zwei wesentliche Dinge wer-
den dabei unterschlagen. Einmal der Einfluß der Be-
satzungsmächte, die die Wahl eines anderen als des
marktwirtschaftlichen Systems wohl kaum zugelassen
hätten, zum anderen das Anknüpfen an wesentliche
wohnungspolitische Maßnahmen aus der Zeit vor und
im Krieg. In dieser Zeit hatte sich jene ''Ambivalenz''
darauf reduziert, das marktwirtschaftliche Leitbild
durchführen zu wollen, es aber nicht zu können, ohne
den Widerstand der Betroffenen in Kauf zu nehmen,
Ziel wohnungspolitischer Maßnahmen war es eher,
diesen Widerstand zu brechen.
4. Soziale Marktwirtschaft und sozialer Wohnungsbau:
[Ideologie und Wirklichkeit in Wirtschaft und Wohnungs-
wesen
_ Die Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus und
seine ideologischen Begründungen -
Wenn man soziale Marktwirtschaft als theoretische
Hülse der neoliberalen Schule, d.h. eines Rückfalls
hinter die bürgerliche Ökonomie der Zwischenkriegs-
zeit (Keynes) in den Liberalismus der Zeit vor 1914
betrachtet, so entspricht dem die Propagierung des
freien Wohnungsmarktes, wie er bis 1913 bestanden
habe.
Soziale Marktwirtschaft wird propagiert als dritter
Weg zwischen monopolistischem Spätkapitalismus und
sowjetischer Planwirtschaft. In der Praxis wird je-
doch jeder Eingriff in die Wirtschaft negativ beurteilt,
so daß das wesentliche Aushängeschild der '"sozialen''
Eigenschaft der Marktwirtschaft die Fürsorge für
Randgruppen jeder Art wird. In der Wohnungswirt-
schaft heißt das, daß neben der selbstverständlichen
Eigenwirtschaftlichkeit nur mehr die Fürsorge für
jene Randgruppen bleibt, d.h. praktisch die Mietbe1-
hilfe, die damit auch den negativen Aspekt jeden Ein-
yriffs enthalten, in ihrer Art also der Armenfürsorge
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