Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

zunehmenden Autonomieverlust des Individuums im fort- 
schreitenden Prozeß gesellschaftlicher Arbeitsteilung 
geführt. Deligation und Arbeitsteilung ermöglichen eine 
zunehmende Verselbständigung des Planungsapparates, 
des "Systems zweckrationalen Handelns", das gleichwohl 
der Legitimation durch die Öffentlichkeit, durch den 
"institutionellen Rahmen", durch das "System kommuni- 
kativen Handelns" bedarf. 
Unter zweckrationalem Handeln versteht Habermas 
"rationale Wahl" und "instrumentales Handeln", das 
sich nach technischen Regeln auf der Grundlage empi 
rischen Wissens vollzieht. 
Unter kommunikativem Handeln versteht er 
".. ‚andererseits eine symbolisch vermittelte Interaktion 
Sie richtet sich nach obligatorisch geltenden Nor- 
men, die reziproke Verhaltenserwartungen definieren 
und mindestens von zwei handelnden Subjekten verstan- 
den und anerkannt werden müssen. Gesellschaftliche 
Normen sind durch Sanktionen bekräftigt. Ihr Sinn ob- 
jektiviert sich in umgangssprachlicher Kommunikation 
(1 ): " 
1.1 Die Verselbständigung des soziotechnischen Sub- 
systems zweckrationalen Handelns 
- Zum Verhältnis von Wissenschaft (Technik) und 
Planung - 
1. Nach der Habermas’ schen Definition zweckrationa- 
len Handelns erfüllt sich dies im wesentlichen in zwei 
Elementartätigkeiten, nämlich in der Auswahl angemes- 
sener Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele (instrumen- 
tales Handeln) und in der Bewertung möglicher Verhal- 
tensalternativen (strategisches Handeln). Strategisches 
Handeln bedeutet "rationale Wahl". "Rationalisierung" 
im System zweckrationalen Handelns meint die "Steige- 
rung der Produktivkräfte" und die "Ausdehnung techni- 
scher Verfügungsgewalt". Instrumentales Handeln und 
rationale Wahl (= Entscheidung nach Maßgabe gewich- 
teter Entscheidungskriterien) kennzeichnen die Rationa- 
lisierung des Planungsprozesses aufgrund der "alternie- 
renden Elementartätigkeiten" (2), nämlich der Erzeu- 
gung und Reduktion von Varietät (3). 
Erzeugung von Varietät bedeutet, daß eine Vielzahl 
alternativer Lösungsmöglichkeiten definierter Planungs- 
probleme bereitgestellt werden als Mittel, bekannte 
oder neue (unbekannte) Ziele zu erreichen. Reduktion 
von Varietät bezeichnet die rationale Wahl der Mittel, 
deren Bewertung und Auswahl hinsichtlich ihres 
"optimalen" Einsatzes zur Erreichung bestimmter Ziele- 
Dieser kurze Anriß soll zunächst nur den Rationalitäts- 
begriff der Planung als einen zweckrationalen (Zweck- 
Mittel-Relation) ausweisen. Wenn nämlich im folgenden 
von der Verselbständigung des Systems zweckrationalen 
Handelns die Rede ist, soll "Rationalität" und "Rationa- 
lisierung" vor dem Hintergrund eines noch zu spezifizie- 
renden Planunasbeariffs sichtbar werden - 
Diese Verselbständigung ist gekennzeichnet durch ein 
historisch verändertes Verhältnis von Wissenschaft und 
Technik einerseits, nämlich durch den zunehmend in- 
strumentalen Charakter der (Natur-)Wissenschaften:, 
indem diese technisch verwertbares Wissen produzieren, 
und zum anderen durch eine fortschreitende Verwissen- 
schaftlichung der Politik, deren "unabweisbare Folge 
‚..die Politisierung der Wissenschaften (ist)" (4). 
2. Aus der Vielzahl der Definitionen des Begriffs "Pla- 
nung" seien einige herausgegriffen: 
a) "Nach Marx unterscheidet sich der Mensch von den 
übrigen Naturwesen dadurch, daß er das Ergebnis 
seiner Tätigkeiten im Kopfe vorwegnimmt, also seine 
Tätigkeiten plant (5)." (Abendroth) 
b) "Planung ist der methodisch durchgeführte Entschei- 
dungsprozeß zur Vorbereitung von äußeren Handlun- 
gen (6)." (Schnelle) 
c) "Planung (wird) als Mittel zur Entscheidungsvorberei- 
tung gesehen (7)." (Vente) 
Es ist nun von besonderer Bedeutung, ob Planung (nur) 
als Mittel zur Vorbereitung von Entscheidungen verstan- 
den wird, oder ob die Auswahl möglicher Alternativen 
und die Entscheidung über deren Verwirklichung 
(Implementation) selbst als Gegenstand der Planung be- 
griffen wird: 
4) "Planung umfaßt neben der Entscheidung auch noch 
die Organisation von Maßnahmen zur Durchführung 
eines gefällten Entschlusses, d.h., daß sich Planung 
nicht nur mit der Wahl zwischen alternativen Mög- 
lichkeiten von zukünftigem Handeln beschäftigt, 
sondern diese auch formuliert, aufstellt und nach der 
Entscheidung die Maßnahme zu Implementation steuert 
(8). " (Dietze) 
Wenn der Definition (d) ein neuer Wissenschaftsbegriff 
zugrunde liegen muß, indem nämlich der Entscheidungs- 
vorgang selbst zum wissenschaftlichen Objekt wird, so 
kann doch der Definition (c) ein positivistischer Wissen- 
schaftsbegriff unterstellt werden. "Der positivistisch 
allein zugelassene ist einer rationalen Erörterung. .. 
(praktischer) Fragen nicht mächtig. Theorien, die gleich- 
wohl Lösungen anbieten, können nach diesen Maßstäben 
des Dogmatismus’ überführt werden." Rationalisierung 
bleibt auf die reine erfahrungswissenschaftliche, "wert- 
neutrale" Vermittlung von Techniken beschränkt gegen- 
über der irrationalen Wahl sogenannter Wertsysteme . 
"Der Preis für die Ökonomie der Mittelwahl ist ein frei- 
gesetzter Dezisionismus in der Wahl der obersten Ziele 
(9). "' 
Wenn Planung rationales Handeln bedeutet, ist wissen- 
schaftliche Planung im positivistischen Sinne undenkbar, 
da ",..Rationalität des Verhaltens ein Wert (ist), den 
wir durch Entscheidung akzeptieren oder ablehnen (10)"; 
- es sei denn, Planen sei ohne Entscheiden möglich, wie 
Chr. Alexander glaubt, der "den Entwurfsvorgang" so 
definiert, "daß die Richtigkeit oder Falschheit eines 
Obiektes eine Frage der Fakten ist" (11). 
In seinem Aufsatz, "Zur wissenschaftlichen und politi- 
schen Bedeutung der Entscheidungstheorie", hat Rittel 
einen Wissenschaftsbegriff entworfen, der auf einen 
"apodiktischen Objektivitätsanspruch verzichtet". 
"Die Wissenschaft vom Handeln, insbesondere vom 
zweckrationalen Handeln. . . ist gleichzeitig: 
- deduktiv (wie die Mathematik), indem sie aus axioma- 
tischen Systemen Folgerungen ableitet und Modelle für 
Handlunastypen konstruiert; 
induktiv (wie die Physik), indem sie empirische Befunde 
über Verhaltensweisen zu Hypothesen verarbeitet, 
ARCH+ 3 (1970) H. 9
	        

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