Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

läßt diese oft an der hier geforderten Arbeitsweise ver- 
zweifeln (19). " 
Die Resignation vor Erkenntnisfragen (Sinnfragen) wird 
damit aus dem Bewußtsein gestrichen. Unter dem aus 
den bestehenden Herrschaftsverhältnissen destillierten 
"Handlungszwang" werden "Leistung", "Stabilität" und 
"technischer Fortschritt" als gesellschaftliche 
Werte verinnerlicht und erlangen normative 
Eigengesetzlichkeit; sie werden einer allgemeinen und 
öffentlichen Kommunikation als indiskutabel entzogen. 
Mit dem Verweis der Ideologiekritik auf den historischen 
Mißbrauch manipulierter Wertsetzungen kann ein techno- 
kratischer Apparat, können Planer und Politiker in ihrem 
Selbstverständnis jede politische Entscheidung mit dem 
Hinweis auf Sachzwänge legitimieren. Denn Sachzwänge 
sind einer hinterfragenden Kontrolle durch die Bürger 
eines Staates schwer zugänglich. Der Leistungsbegriff 
gilt dann als Synonym für Fortschritt, und zwar für einen 
autonomen technisch-wissenschaftlichen Fortschritt, der 
den ihm unterlegten herrschaftsimmanenten Leistungsbe- 
griff zunehmend verdeckt: 
"Die immanente Gesetzlichkeit dieses Fortschrittes 
scheint die Sachzwänge zu produzieren, denen eine 
funktionalen Bedürfnissen gehorchende Politik folgen 
muß. Wenn sich dieser Schein aber wirksam festgesetzt 
hat, dann kann der propagandistische Hinweis auf die 
Rolle von Technik und Wissenschaft erklären und legi- 
timieren, warum in modernen Gesellschaften ein demo- 
kratischer Willensbildungsprozeß über praktische Fragen 
seine Funktionen verlieren und durch plebiszitäre Ent- 
scheidungen über alternative Führungsgarnituren des 
Verwaltungspersonals ersetzt werden muß (20). " 
Vor diesem Hintergrund erhält der Glaube Alexanders 
an die normative Kraft des Faktischen seine besondere 
Brisanz. (Er sei deshalb noch einmal zitiert): Der Ent- 
wurfsvorgang wird so definiert, daß "die Richtigkeit 
oder Falschheit eines Objekts eine Frage der Fakten, 
nicht der Wertung ist" . 
Wenn sich der Fortschritt von Wissenschaft und Technik 
derart verselbständigt, dann wird er gemäß den Exploi- 
tationsbedürfnissen der herrschenden Klasse auf die 
Zielrichtung seiner "immanenten Gesetzlichkeit" kana- 
lisiert. Dann kann ein technokratischer Verwaltungs- 
apparat als "Konfliktvermeidungsmaschine" die Regelung 
und Steuerung gesellschaftlicher Prozesse usurpieren und 
die Stabilität der bestehenden Verhältnisse "sichern". 
"Das Modell, nach dem eine planmäßige Rekonstruktion 
der Gesellschaft sich vollziehen soll, ist der Systemfor- 
schung entnommen. Es ist im Prinzip möglich, einzelne 
Unternehmungen und Organisationen, aber auch politi- 
sche oder wirtschaftliche Teilsysteme und Gesellschafts- 
systeme im ganzen nach dem Muster selbstgeregelter 
Systeme aufzufassen und zu analysieren. ...Wenn man 
dieser Intention einer instinktanalogen Selbststabilisie- 
rung gesellschaftlicher Systeme folgt, ergibt sich die 
eigentümliche Perspektive, daß die Struktur des einen 
der beiden Handlungstypen, nämlich der Funktionskreis 
zweckrationalen Handelns, nicht nur gegenüber dem 
institutionellen Zusammenhang ein Übergewicht erhält, 
sondern kommunikatives Handeln nach und nach als 
solches absorbiert. ... Der Mensch kann nicht nur, soweit 
er homo faber ist, zum ersten Mal vollständig sich 
selbst objektivieren und den in seinen Produkten ver- 
selbständigten Leistungen gegenübertreten, er kann, als 
homo fabricatus, seinen technischen Anlagen auch 
selber integriert werden, wenn es gelingt, die Struktur 
zweckrationalen Handelns auf die Ebene der Gesellschaft 
abzubilden (21). " 
Habermas unterschlägt allerdings in dieser Darstellung 
den klassenspezifischen Integrationswillen der Herrschen- 
den! 
Die fortgeschrittenste Stufe des technokratischen Modells 
und zugleich die fortgeschrittenste Stufe ideologiekri- 
tischen Fatalismus’ ist dann die Darstellung der totalen 
Systematisierung gesellschaftlicher Zustände. Wertungen 
werden "neutralen" Instrumenten überlassen, die selbst- 
tätig neue Zielsetzungen aus den bestehenden Verhält- 
nissen extrapolieren und diese als Sollwerte für die 
Steuerung und Regelung gesellschaftlicher Prozesse 
etablieren und variieren. Die Utopie einer technokrati- 
schen Herrschaft sei noch mit dem Hinweis auf eine zu- 
nehmende Perfektionierung der Techniken der Verhaltens- 
kontrollen, der genetischen Steuerung und der Anwendung 
und Wirkung never Drogen vervollständigt. 
Diese Darstellung sollte dazu dienen, den ungeheuer er- 
weiterten Bereich technischer Verfügungsgewalt abzu- 
stecken und möglicherweise eine Sensibilität wachzuru- 
fen für die Forderung nach einer Demokratisierung des 
Planungsprozesses. 
Bevor ich jedoch näher eingehe auf das, was Demokrati- 
sierung bedeutet bzw. Bedeuten soll, werde ich noch 
einige Aspekte zur Erläuterung des "Systems kommuni- 
kativen Handelns" anhand der politischen Funktion der 
Öffentlichkeit im sozialen Rechtsstaat der Bundesrepublik 
aufzeigen. 
1.3 Zum "pragmatischen Modell" 
An dieser Stelle sei noch kurz auf das "pragmatische 
Modell" der Gesellschaft eingegangen, das sich zwischen 
den oben erwähnten dezisionistischen und technokrati- 
schen Modellen als ein die politischen Landschaften 
westlicher Demokratien kennzeichnendes etabliert hat 
Rapaport weist darauf hin, daß der ideologiekritische 
Pragmatiker behaupte, "Politik habe nach den Regeln 
eines Marktes zu verfahren, wo die Wählerstimmen die 
Rolle des Geldes spielen; was du mit ihnen kaufst: 
Arbeitsplätze, Verträge, Subventionen, Gesetze, Kan- 
didaten nach eigener Wahl, das ist das, was Politik dir 
verschafft" (22). 
Der Pragmatismus geht von der Hypothese aus: "Verstän- 
digung ist möglich", die sich als richtig erweist, wenn, 
wie Rapaport ironisch feststellt, "...eine genügend 
große Anzahl einflußreicher Leute an sie glaubt". 
Denn ohne Garantie sozialer Chancengleichheit werden 
Konflikte zugunsten derjenigen gelöst, die im "pragma- 
tischen Modell" das bessere Argument, und das heißt im 
Lichte (wertneutraler) Ideologiekritik: die Macht haben. 
Für Habermas und Rittel ist das pragmatische Modell als 
einziges geeignet, so etwas wie Öffentlichkeit wieder- 
herzustellen, denn der "...rückgekoppelte Kommunika- 
tionsprozeß" zwischen Sachverständigen und politischen 
Instanzen "ist an dem festgemacht, was Dewey die 
value beliefs nannte, eben an einem historisch be- 
stimmten Vorverständnis des in konkreter Lage praktisch 
Notwendigen. Dieses Vorverständnis ist nur hermeneu- 
tisch aufzuklärendes Bewußtsein, das sich im Miteinan- 
ARCH+ 3 (1970) H. 9
	        

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