Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

Im Unterschied zur Industriewerbung ist das Ziel pla- 
nungsbehördlicher Werbekampagnen nicht die materiale 
Verkäuflichkeit von Produkten, sondern vielmehr die 
(meist nachträgliche) Legitimierung von Planungsent- 
scheidungen durch die Öffentlichkeit. Die Erfüllung des 
Planerwunsches nach gesellschaftlichem placet mit Hilfe 
persuasiver Werbekampagnen kann nur undemokratisch er- 
folgen; denn Werbung reduziert auf Signale, "die weniger 
Reflexion als Handeln hervorrufen" (29). 
Der Hinweis von Haseloff, daß die Persuasionswirkung 
aufgrund der "hochkomplexen psychologischen und so- 
zialen Bedingungen" der Empfänger sehr begrenzt sei 
und daß die Lösung von Kommunikations- und Persuasions- 
aufgaben "... mit Hilfe der psychologisch-pragmatischen 
Semantik. . .nicht Manipulation (ist), sondern Vorbe- 
dingung der Kontrollierbarkeit des Kommunikators durch 
den Kommunikanten" (30), erweist sich als Scheinargu- 
ment: indem nämlich im gleichen Zusammenhang (Aufsatz) 
darauf hingewiesen wird, daß die effektivsten Persua- 
sionsinstrumente (z.B. Film) zugleich auch die teuersten 
sind, bleiben diese an die herrschenden ökonomischen 
Machtmonopole gebunden. 
1.5 Psychologische Aspekte zur Öffentlichkeit 
Wenn der Hinweis auf moderne Persuasionstechniken 
schon das Problem der Manipulierbarkeit gesellschaftli- 
cher Bedürfnisse anriß, so erfährt das "technokratische 
Modell" unter dem Aspekt der psychologisch steuerbaren 
"Entpolitisierung des Bewußtseins" eine besondere Bri- 
sanz: 
Horn weist darauf hin, daß durch eine zunehmende 
Bürokratisierung die verwalteten Individuen in "verding- 
lichte Abhängigkeit" geraten, daß deren "praktisches 
Erkenntnisinteresse" einfriere. 
Der Anpassungsvorgang an die "Technifizierung der so- 
zialen Bedingungen" führe zum ichfremden Handeln 
(31). 
Diese "passive Anpassung" (32) kann in einer entpoliti- 
sierten Gesellschaft mit Hilfe der wissenschaftlichen 
Erforschung der Möglichkeiten der Verhaltenskontrollen 
und -manipulationen in zunehmendem Maße gesteuert 
werden, wobei ",.. das Verhalten der Psyche, Unbe- 
wußtem und Unterbewußtsein erfolgreich erschlossen 
wird und die Ergebnisse für kommerzielle und politische 
Zwecke ausgewertet werden" (33); - und zwar in der Art, 
daß nur solche Bedürfnisse geweckt (manipuliert) werden, 
die nach Maßgabe der bestehenden ökonomischen und 
politischen Verhältnisse auch technisch befriedigbar 
sind. 
Es sei hier darauf hingewiesen, daß dieser Umstand vor 
allem im Bereich der Architektur und Stadtplanung be- 
deutsam ist: Der Grad der Identifizierung der 
Nutzer mit dem der Nutzung dienenden Objekt der 
gebauten Umwelt beschreibt den Erfolg einer Planung. So 
ist das Ziel jeder Planungsmaßnahme und deren Materia- 
lisierung die größtmögliche Identifikation Nutzer-Ob- 
jekt, freilich nur im Rahmen optimaler Profitmaximierung 
Mitscherlich hat darauf hingewiesen, welche nevurotisie- 
renden Folgen die repressive Gleichsetzung von "Be- 
darfsdeckung" und "Bedürfnisbefriedigung" auf das 
Selbstverständnis der Verplanten vor allem im Sozialen 
Wohnungsbau schon erkennen läßt (34), wenn auch seine 
liberalen Lösunasversuche (siehe G. Kohlmaier in diesem 
ARCH+ 3 (1970) H. 9 
Heft) durchaus systemstabilisierende Funktion erlangen 
können. 
Ein wesentliches Identifizierungsmerkmal einer Gesell- 
schaft oder einer bestimmten Gruppe ist das gemeinsame 
"Ich-Ideal", wie z.B. in der christlichen Gemeinde, 
nach Freud "einer Gruppe von Menschen, die eine 
Idealfigur-Christus an die Stelle ihres Ich-Ideals gesetzt 
haben, für die sich aus dieser gleichartigen Einsetzung 
einer Leitfigur die bindende Gemeinsamkeit ergibt" (35) 
Auch Marcuse weist darauf hin, daß in der modernen 
Industriegesellschaft die Steuerung und Kontrolle der 
Psyche die "Aussöhnung" des einzelnen mit der ihm von 
der Gesellschaft aufgezwungenen Lebensform zum Ziel 
hat. Diese Aussöhnung erfordert zusätzliche Repression, 
zusätzlich zu der Repression, der das Individuum auch 
im Prozeß der aktiven Anpassung ausgesetzt sei. Daher 
müsse, so Marcuse, eine "libidinöse Vermittlung der 
Ware erreicht werden, die das Individuum kaufen oder 
verkaufen soll, der Dienstleistungen, die es benutzen oder 
erbringen soll, der Kandidaten, die es wählen soll - 
eine zwingende Notwendigkeit, denn von der ununter- 
brochenen Produktion und Konsumierung dieser Waren 
hängt die Existenz der Gesellschaft ab. Mit anderen 
Worten: die sozialen und politischen Bedürfnisse müssen 
sich in individuelle triebmäßige Bedürfnisse verwandeln 
(36)."' 
Für die Bedürfnisbefriedigung in der fortgeschritten indu- 
striellen Gesellschaft ist nach Horn eine äußerst geringe 
Unlusttoleranz im Verhalten der Konsumenten charakteri- 
stisch. Angst und Unsicherheit seien die Gründe, warum 
die Subjekte politische Apatie, die Unterwerfung unter 
eine technische Verwaltung der Reflexion über politische 
Alternativlösungen vorziehen, "wozu größere, mit Unlust 
verbundene synthetische Ichleistungen" - im Sinne der 
aktiven Anpassung - "notwendig wären" (37). 
2. Die Demokratisierung des Planungspro- 
zesses 
Warum Demokratisierung? Wenn man einem Verfechter 
des technokratischen Modells mit dem oben dargestellten 
Hinweis auf die Eigengesetzlichkeit einer utopischen 
"Konfliktvermeidungsmaschine" nicht von vornherein 
Zynismus unterstellt, dann ist es sinnvoll, die Notwen- 
digkeit einer Demokratisierung antithetisch zu entwik- 
keln. 
Dabei entsteht scheinbar das Dilemma, gegen eine wert- 
freie (oder wertneutrale) wissenschaftliche Theorie wert- 
setzend - und damit auf einer anderen Ebene, nämlich 
auf der der ideologischen Spekulation - zu argumentieren. 
Wenn im "technokratischen Modell" "die Entscheidung 
praktischer Fragen als eine Wahl in Situationen der Un- 
sicherheit" (Habermas) rationalisiert wird, und zwar mit 
Hilfe optimaler Optimierungsstrategien und Steuerungs- 
vorschriften, so liegen doch den vermeintlichen Sach- 
zwängen verinnerlichte Wertsetzungen und Normen 
zugrunde; zumal jede "rationale" Planung selbst aus einer 
Folge von Entscheidungen besteht, deren Rationalisierung 
im einzelnen nicht für notwendig bzw. für zu aufwendig 
erachtet wird. Wenn keine wertneutrale Handlungswis- 
senschaft denkbar ist, kann gegen das "technokratische 
Modell" sehr wohl auf der Ebene der ideologischen 
Spekulation araumentiert werden. 
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