Full text: ARCH+ : Studienhefte für architekturbezogene Umweltforschung und -planung (1970, Jg. 3, H. 9-11)

daß der Chef der Stadtplanungsbehörde, entgegen einer 
Absprache mit den Studenten, für jede Station ein Tref- 
fen der Beteiligten mit ausgewählten Experten arrangierte 
um einen allgemeinen Konsensus über den "besten" Plan 
herbeizuführen. Die Bewohner fühlten sich durch das 
Sachwissen der Experten frustriert und enthielten sich der 
Diskussion. Damit argumentierten die Experten in einer 
scheindemokratischen Veranstaltung wieder "unter sich". 
Das Ziel sollte jedoch die Aufdeckung des Dissensus 
sein; der Konsensus sollte nicht unter den Experten voll- 
zogen werden, sondern aufgrund ausführlicher und öffent- 
licher Diskussionen aller Beteiligten. Der Diskurs fand 
jedoch auf einer von Fachleuten eingenommenen und 
begrenzten Ebene statt, und daher standen die entschei- 
dungsbefugten Politiker einer schon von Experten berei- 
nigten Lösungsmannigfaltigkeit, bzw. einer Lösung 
gegenüber . 
Dieser Vorgang muß einer technokratischen Planung 
revisionistisch erscheinen, da der gescheiterte Integra- 
tionsversuch der Betroffenen als "Freizeitplaner" die 
Möglichkeit potentieller Konflikte erhöht und damit 
"yvermeidbare Reibungsverluste" schafft. 
Die advozierende Planung muß als Produkt eines libe- 
ralkapitalistischen Sozialreformismus’ an den "objekti- 
ven" Grenzen der die bestehenden Herrschaftsstrukturen 
des Kapitalismus stabilisierenden Sachgesetzlichkeit 
scheitern, die K. Pfromm in seinem Aufsatz "Advozie- 
rende Planung" (ARCH+ 8) als den "Rahmen der herr- 
schenden Toleranzgrenzen" anerkennt. Die advozierende 
Planung weist sich daher - wie in Teil C exemplarisch 
nachgewiesen werden soll - als eine sublime Herrschafts- 
technik aus, die systemgefährdende Konflikte durch 
frühzeitige Integration der traditionell unterprivilegier- 
ten Teile der Stadtbevölkerung vermeiden hilft und 
damit deren bestehende Klassenlage verschleiert. 
K. Pfromm spricht es offen aus: 
"Die Stadtplaner müssen in einer direkten Abhängigkeit 
von den durch ihre Planung Betroffenen stehen. Eine 
Möglichkeit wäre die Auftragserteilung durch ein über 
öffentliche Finanzen verfügendes Bürgerkommitee, das 
mit dem Recht zum Auftragsentzug ausgestattet ist." 
Die Abhängigkeit der Planer von einem über öffentliche 
Finanzen verfügenden Bürgerkommitee (ein weiterer 
Ableger des kapitalistischen Parlamentarismus) macht 
deutlich, welche Interessen der Planer auch weiterhin 
zu vertreten hat, 
Unter den "konstituierenden Prinzipien" der advozie- 
renden Planung bemüht sich Pfromm ferner, auch solchen 
Planern diese neue Sozialtechnik anzudienen, die den 
Absprung von der "patrozinierenden Planung" - die noch 
an der Überwindung positivistisch wertfreier Planungs- 
methoden zu knacken hat - zu einer operablen techno- 
kratischen Planungstechnik noch nicht geschafft haben: 
"Gleitet die Führung in die Hände der Bürger, so können 
auch Programme, die auf Initiative der Planung begon- 
nen wurden, noch den vollen sachlichen Vorteil der 
Partizipation erreichen (49). " 
Teil C 
DAS RITTELSCHE PLANUNGSMODELL ALS 
GRUNDLAGE DER "NUTZERBETEILIGUNG" 
AM PLANUNGSPROZESS 
Einführung 
Dieser Teil der Arbeit setzt sich mit einem von Rittel 
während seines Seminars im SS 1969 an der Uni Stuttgart 
vorgestellten Planungsmodell auseinander, und zwar mit 
der Frage, ob dieses Modell einen Ansatz zur Demokra- 
tisierung des Planungsprozesses darstellt oder nicht. Dabei 
schien mir zunächst ein entscheidender Vorteil des Rit- 
telschen Verfahrens auf der Hand zu liegen: 
Die "neuere Planungsdiskussion sieht zwar das Problem 
der Zielfunktion... aber meist eben.nur unter dem 
Wertungsaspekt; sie schlägt deshalb vor, die Wertungen 
etwa des ’ Großteils der Bevölkerung” , der ’parlamen- 
tarischen Mehrheit’, der Regierung’ oder einer ande- 
ren als entscheidend’ angesehenen ’ Wertungsinstanz’ 
festzustellen und in geeigneter Form in die Zielfunktion 
aufzunehmen" (50). Diese gesellschaftlichen Instanzen 
müssen jedoch ihre Wertungen und Zielsetzungen ohne 
Kenntnis des Planungsverfahrens abgeben, so daß sie die 
Folgen ihrer Entscheidungen und möglicherweise deren 
Modifizierung aufgrund kestimmter Planungstechniken 
nicht in ihre Überlegungen einbeziehen können. 
Rittel versucht nun, den derart abgeschnittenen Reali- 
tätskontakt der Planung dadurch wieder herzustellen, 
indem er ein Modell ausarbeitet, mit dessen Hilfe er die 
von den Planungsmaßnahmen betroffenen Gruppen und 
Individuen aktiv am Planungsprozeß beteiligt, und zwar 
derart, daß über geeignete Methoden zur Festlegung des 
Planungskontextes, zur Erzeugung von alternativen Lö- 
sungsmöglichkeiten sowie zur Beurteilung und Bewertung 
alternativer Lösungen, als Vorbereitung der endgültigen 
Entscheidung der gesamte Planungsablauf transparent und 
intersubjektiv eindeutig kommunizierbar gemacht werden 
soll. Damit scheint ein Ansatz zur Demokratisierung des 
Planungsprozesses über das von Rittel vorgeschlagene 
Planungsmodell geleistet zu werden. 
Rittel (51) unterscheidet "Wissen" als Grundlage der 
Entscheidungen in: 
1) faktisches Wissen oder Sachwissen 
("das, was für jemanden der Fall ist") "Sachwissen ist 
das Wissen über Sachverhalte. ( Gestern fiel der Dow- 
Jones-Index um 3,4 Punkte’, ’ Kraft ist Masse mal Be- 
schleunigung’ .) Sachwissen kann situationsspezifisch 
sein oder eine allgemeine Regel beinhalten (52). " 
2) deontisches Wissen 
("das, was für jemanden der Fall sein soll") 
3) erklärendes Wissen 
("etwas ist der Fall, weil ... "/ eine ’ Unterabteilung‘ 
der erkl. W. ist kausales Wissen: "warum etwas der Fall 
ist ...") 
4) instrumentelles Wissen 
("wann immer das und das der Fall ist und das und das 
erreicht werden soll, ist die und die Aktion angebracht") 
"Instrumentelles Wissen verknüpft Sachverhalte mit 
Handlungsanweisungen im Hinblick auf die Erreichung 
von Zielen. Es besteht aus Rezepten, Heuvristiken, 
ARCH+ 3 (1970) H. 9
	        
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