als kontinuierliche Stärkung der Macht der Arbeiter-
klasse abzulesen - in dialektischem Zusammenhang des
Anwachsens der industriellen Produktion und dem Er-
starken der Diktatur des Proletariats. In den folgenden
Jahren aber zeigt sich, daß das Anwachsen der Produk-
tivkräfte nicht unter allen Umständen und auch nicht
allein durch die Verstaatlichung der Industrien mit der
Stärkung des Proletariats einhergehen muß. Der füh-
rende Einfluß der UdSSR ist der Hauptfaktor für das
Zurückdrängen der Macht der Arbeiterklasse zugunsten
ökonomischer Ziele. Die DDR wird auf den Weg der
unter Chruschtschow in der SU durchgesetzten Wirt-
schaftsmethoden gezogen, was letztlich mit der Stärkung
der fortbestehenden bürgerlichen Kräfte in der DDR
einhergeht.
Diese zunächst sehr allgemeinen Aussagen sind der
Behandlung der strukturell-materiellen Seite des so-
zialistischen Aufbaus vorauszuschicken, um die poli-
tische Bedeutung der Grundfragen des materiellen Auf-
baus im folgenden bei allen ökonomisch-technischen
Fragen nicht aus dem Auge zu verlieren.
A.2 Die vom Kapitalismus übernommenen strukturel-
len Voraussetzungen
Die ungleiche räumliche Strukturentwicklung des Mono-
polkapitalismus hatte zur Konzentration der bedeutend-
sten Anlagen der Schwerindustrie im Westen Deutsch-
lands geführt. Die mitteldeutschen Industriegebiete
Sachsen, Thüringen und der größere Teil von Sachsen-
Anhalt waren mit dem rheinisch-westfälischen Industrie-
gebiet vielfach verbunden. Diese relativ dezentral durch-
industrialisierten Gebiete waren dicht besiedelt im Ge-
gensatz zu dem agrarischen Mecklenburg und dem
größeren Teil Brandenburgs. Die Entwicklungsunter-
schiede der einzelnen Gebiete untereinander wie die
Unterbrechung der ehemals starken wirtschaftlichen
Verflechtungen des gesamtdeutschen Wirtschaftsraumes
waren also wesentliche strukturelle Grundlagen (2).
Bestimmend war weiterhin, 1. daß der landwirtschaft-
liche Pro-Kopf-Ertrag auf dem Gebiet der DDR vor
dem Krieg im wesentlichen nicht höher war als auf dem
Gebiet der BRD und beide zunächst auf Agrarimporte
angewiesen blieben (3), 2. daß die industriellen Schwer-
punktgebiete, wo die Landwirtschaft immer einen be-
achtlichen Anteil an der Produktion behielt, am Ende
des Krieges eine relativ dezentrale Struktur - bedingt
durch vorsorgliche Produktionsverlagerungen, Zerstö-
rungen und Demontage - aufwiesen.
So war mit der Gründung der DDR 1949 ein für die in-
dustrialisierten Länder Europas untypisches Staatsge-
bilde entstanden. Die strukturelle Gliederung
begünstigte das Prinzip einer gleichmá-
Bigen und komplexen Entwicklung des
Staatsgebietes.
Die grundlegenden Aufgaben waren 1. das Herstellen
sinnvoller Produktionszusammenhänge durch den Auf-
bau ergänzender Industrien, 2. die Selbstversorgung
mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen durch Hebung
der Produktivkräfte auf dem Lande.
Der gleichmäßigen Entwicklung der DDR stellten sich
aber Imponderabilien entgegen. Gleichfalls eine Erb-
schaft des Kapitalismus - nämlich Folgen des imperia-
10
listischen Krieges - waren die Flüchtlingsströme der
ländlichen Bevölkerung des Ostens von 1939-46. Sie
ergossen sich nicht allein wegen ihrer Herkunft in die
westlichen ländlichen Nachbargebiete: bestimmend war
die Existenz, wenn auch beschränkten Wohnraums (der
in den größeren Städten den Bomben zum Opfer gefal-
len war). So nahm in den nördlichen Bezirken und in
Thüringen die Landbevölkerung bedeutend zu, während
die Stadtbevólkerung generell abnahm (4). Diese ca.
4,5 Mill. Umsiedler waren zu 65 % keine Bauern. Sie
rekrutierten sich zum großen Teil aus ländlichen Städ-
ten und waren handwerksmüBig qualifizierte Arbeits-
kräfte wie Instrumentenmacher, Glasschleifer oder
Spitzenklóppler (5). Diese Dezentralisierung von Ar-
beitskräften und -plätzen entsprach nicht der Vertei-
Jung der infrastrukturellen Voraussetzungen - ein Ge-
sichtspunkt, der sich im folgenden als bedeutungsschwer
herausstellen wird.
A.3 Der Aufbau einer nationalen Wirtschaft
Dem wirtschaftlichen Torso fehlte vor allem eine eigene
Grundstoffindustrie. Wegen der Unbedeutenheit der
Bodenschätze auf dem Gebiet der DDR konnte nicht der
Weg der nationalen Selbstversorgung eingeschlagen
werden, was die Notwendigkeit zur austauschfähigen
Überproduktion in den verarbeitenden Zweigen mit sich
brachte. Die ausnutzbaren geologischen Vorkommen
lagen in den schon bestehenden Industriegebieten, so
daB ein Teil der kriegsbedingten Arbeitsplatzverluste
durch den Bergbau ersetzt wurde (6).
Die südlichen Industriebezirke verfügten über qualifi-
zierte Arbeitskräfte - insbesondere des Maschinen-
und Fahrzeugbaus. Während dessen konzentrierte sich
der Anteil der nicht industriell vorgebildeten Arbeits-
kräfte nun noch stärker im Norden. So war der Aufbau
der nationalen Wirtschaft von Anbeginn durch den for-
cierten Wieder- und Neuaufbau der Großindustrie in
den südlichen Bezirken Halle, Erfurt, Suhl und Karl-
Marx-Stadt geprägt. Die nördlichen Bezirke blieben
bis auf Rostock und Schwerin Agrarbezirke mit relati-
vem Bevölkerungsüberschuß.
Die Umverteilung der Arbeitskräfte war nur mit einem
Wohnraumbeschaffungsprogramm zu lösen, das durch
die Konzentration aller Mittel auf die Schwerindustrie
hintan geriet. Die Umverteilung von Arbeitsplätzen zu
den Arbeitskräften hin hätte in dieser alle Kräfte be-
anspruchenden ersten Aufbauphase eine zusätzliche
Belastung gebracht: die Heranbildung der ländlichen
Bevölkerung zu qualifizierten Arbeitern, die ihre ganze
Kraft zum Aufbau des Sozialismus einsetzen würden.
Dieser Schritt konnte aber nicht gewaltsam gemacht
werden - und nicht in dem Tempo, in dem die Produk-
tivkräfte entwickelt werden sollten. Hier liegt die
eigentliche Notwendigkeit der Bindung an die entwickel-
ten Teile der Arbeiterklasse begründet (7).
Der Aufbau einer "demokratischen Friedens-
wirtschaft" (1945-50) geschieht auf der Grundlage
einer antifaschistisch-demokratischen Staatsordnung,
in der konsequent die großen Monopole enteignet und
Kleineigentumsverhältnisse auf dem Wege der Boden-
reform auf dem Lande hergestellt werden. Ersteres ist
die Grundlage für den Wirtschaftsplan von 1948 und
dessen Hauptaufgaben: Aufbau der Grundstoffindustrie,
ARCH+ 15 (1971-3)