Helga Fassbinder
DER ARCHITEKT -
BERUFSBILD UND BERUFSREALITAT
Gastvortrag an der ETH Zürich im Juli 1972
I
Arbeitsfelder des Architekten in den vor-
kapitalistischen Produktionsweisen
Al
Herausbildung der spezifischen Architektentätigkeit
in der Frühphase des Kapitalismus
IN
Der Entwicklungsstand der Bauproduktion im
Frühkapitalismus als materielle Basis der selb-
ständigen Architektentätigkeit
IV
Die besonderen Bedingungen der Bauproduktion
gegenüber der spezifisch industriellen Produktion
Der Architekt als integrative Klammer der zer-
splitterten frühkapitalistischen Bauproduktion
VI
Die historischen Wurzeln der Gebrauchswertillusion
im Architektenbewußtsein
VE
Der Einbruch der Warenproduktion in den Tätigkeits-
bereich der Architekten und deren bewußtseinsmäß ige
Verarbeitung
VIII Die zunehmende Komplexität der Planungsaufgaben
im entwickelten Kapitalismus
IX
Konsequenzen für den Arbeitsbereich der Architekten
In der Studienberatung für Neuanfänger des Fachbereichs
‘Bauplanung und -fertigung‘ an der Technischen Universität
Berlin wurden im WS 71/72 die frischgebackenen Architek-
tur-Studenten nach ihrer Studienmotivation befragt. Die
bei weitem häufigste Antwort war: „weil man als Architekt
einen unahhängigen Beruf hat‘‘, dann auch: „weil man
gut verdient“, „weil man da etwas gesellschaftlich Nützli-
ches machen kann,“ sogar einige gestalterisch Motivierte
waren darunter.
Dieses Ergebnis soll hier nicht mit dem Glorienschein wis-
senschaftlicher Motivationsforschung umgeben werden,
doch scheint es mir symptomatisch für ein bestimmtes
Architekten-Image, das trotz offenkundiger Realitätsfer-
ne schwer auszurotten ist, selbst bei denjenigen, die in
ihrer Berufspraxis täglich entgegenstehende Erfahrungen
machen. Das heißt nicht, daß die gewandelte Berufssitua-
tion der Architekten, die mittlerweile zu 80 % als Lohn-
abhängige arbeiten, von diesen selber nicht registriert
und intellektuell verarbeitet würde. Kennzeichnend je-
doch als durchgängigste Reaktion auf Veränderungen
gegenüber der Vorkriegszeit und den 50er Jahren ist
eine starke Verunsicherung und eine partielle Anpassung
an die sich abzeichnende andersartige Nachfrage auf dem
Arbeitsmarkt, ohne daß das alte Architekten-Bild dabei
grundlegend infrage gestellt würde. Es wird vielmehr der
Versuch gemacht, das alte Selbstverständnis (nämlich als
„freischaffender Architekt‘“ mit der konkret nützlichen
Arbeit des Häuserbauens in der Vermittlung von Kon-
struktion, Ästhetik und Sozialengagement beschäftigt
zu sein) einfach auf diese neuen Tätigkeiten auszudeh-
nen — beispielhaft war dies bei der Konzeption des „Ge-
neralisten‘‘ der Fall.
Diese im Grunde reaktionäre Einstellung, die sich auf ein
hilfloses Reagieren auf die Veränderungsprozesse beschränkt,
hat nicht zuletzt ihre fatalen Auswirkungen auf die Archi-
tekten-Ausbildung. An Stelle grundlegender Analysen über
die heutige Arbeitssituation und die sich abzeichnenden
Veränderungen im Planungsprozeß wird an den Architek-
turabteilungen der Hochschulen die generationenalte Aus-
bildungskonzeption mit diversen, am Arbeitsmarkt gefrag-
ten Techniken neu ausstaffiert, deren wahlloses Angebot
bei den Studenten auf einem technologisch höheren Ni-
veau jene Halbbildung reproduziert, mit der der Architekt
vor 50 Jahren.im Bauproduktionsprozeß eine wichtige Pla-
nungs- und Koordinationsfunktion übernehmen konnte, die
jedoch heute, wenn sie Inhalt einer Ausbildung für die
nächsten 40 Berufsjahre sein soll, einen hoffnungslosen
Anachronismus darstellt. Wir möchten der unverantwort-
lichen naturwüchsigen Prolongation dieses Berufes zwei
Thesen entvegenstellen:
These I
Der Architekt, wie er gegenwärtig als Berufsbild noch weit-
gehend das Bewußtsein prägt und der Ausbildung der
Architekturabteilungen zugrunde liegt, ist historischer Aus-
druck einer bestimmten Stufe der Entwicklung der Pro-
duktivkräfte: Die Komplexität der Architektentätigkeit,
die aus einer Vielzahl heterogener Teilfunktionen zusam-