Einleitung
Eberhard von Einem
Helga Fassbinder
Georg Lang
Frank Rinkleff
DIE ENTWICKLUNG VON DER
SOZIALKRITISCHEN
BODENREFORMBEWEGUNG ZUR
REFORMISTISCHEN BODENPOLITIK
EINLEITUNG
Erste Angriffe gegen das kapitalistische
Grundeigentum aus naturrechtlichen
Vorstellungen
I
Die Weiterentwicklung der Reform gedanken;
ihre wissenschaftliche Begründung durch die
Ökonomie
IH
Die Bodenreformgedanken im Zeichen der
bedrohlich entwickelten Widersprüche
des Kapitalismus
IV
Die radikale kleinbürgerliche Bodenrefor-
merei auf dem Weg in die Utopie
Die Kleinbürgerreform als Hebelarm und
Motor der Sozialpolitik
VI
Die wissenschaftliche Grundlegung der
Bodenpolitik in der Nationalökonomie
In Gesellschaften, die auf den Boden als einziges oder
hauptsächliches Produktionsmittel angewiesen sind, mani-
festiert sich im Bodenbesitz die Machtstruktur dieser Ge-
sellschaft. Deshalb muß auch jeder, der die Machtstruktur
zur Gleichheit aller Menschen nivellieren oder wenigstens
jedem sein unabhängiges Auskommen sichern will, zum
Bodenreformer werden, und aus dem gleichen Grund
wird er im allgemeinen scheitern. So erging es den Prophe-
ten des alten Testaments kaum besser als den Idealisten
der römischen Republik (Gaius und Tiberius Gracchus)
und den großen Utopisten der Neuzeit (Morus).
Sobald das Grundeigentum nicht mehr die Basis der gesell-
schaftlichen Macht bildet, erscheinen sowohl die realen
Beweggründe wie die idealistischen Züge der Bodenreform
in einem anderen Licht. Sind mit der Entfaltung bürger -
licher Produktionsweise die älteren Formen des Grund-
eigentums (feudales und Gemeineigentum) in kapitali-
stisches Grundeigentum übergegangen, dann hat der Grund-
besitz seine ehemals beherrschende Stellung in Produktion
und Gesellschaft verloren. Das kapitalistische Grundeigen-
tum bildet weder das entscheidende Agens noch den zen-
tralen Widerspruch der kapitalistischen Prduktion; gerade
deshalb wird es aber ein Ärgernis ganz besonderer Art
und Gegenstand ebenso besonderer Abwehrmaßnahmen.
Als Hemmnis ungehinderter Kapitalverwertung steht das
Grundeigentum im Widerspruch zur bürgerlichen Wirklich-
keit und der ihr entsprechenden Theorie. Als Eigentum
aus Besitz, nicht aus Erwerb, steht es im Widerspruch zum
bürgerlichen Ideal und der entsprechenden Ideologie. Die
Entfaltung bürgerlicher Produktion wird den ersten Wider-
spruch verschärfen, die gleichzeitige Entfaltung des Wider-
spruchs ven Ideal und Wirklichkeit wird das Grundeigen-
tum zum naheliegenden Ansatzpunkt sozialreformerischen
Denkens machen. Denn dieses Denken fließt aus dem Glau-
ben an die Identität von Ideal und Wirklichkeit und kann,
falls sich der Glaube nicht bewahrheitet, als Ursache nur
ein Faktum finden, das beiden gleichermaßen widerspricht.
Je mehr dieses Denken im weiteren seine ideologische Be-
fangenheit überwindet, um so näher muß cs dem eigent-
lichen Widerspruch des Kapitalverhältnisses kommen und
und ihn schließlich erklären. Je mehr es aber seiner Befan-
genheit verhaftet bleibt, um so hartnäckiger muß es an
der Institution des Grundeigentums als dem Hauptübel
festhalten.
Die Bodenreform wird auf diese Weise zur Domäne und
letzten Zufluchtsstätte des kleinbürgerlichen Sozialismus,
während sie stets auch ein Programmpunkt der Bourgeoisie
bleibt. Ka:ım eine andere Spielart kleinbürgerlicher Welt-
verbesserei besitzt daher so viel Realitätsgehalt und prak-
tische Verwertbarkeit wie die Bodenreform; nirgends sonst
scheint die bürgerliche Ideologie ihre Funktion besser er-
füllt zu haben als auf dem Territorium des privaten Grund-
besitzes.
Die folgende kleine Ideengeschichte der Bodenreformge-
danken und der Reformbewegung will diesen Nachweis füh-
A