die Bedürfnis- und Nutzungsvorstellungen des Bauherrn
in bestimmte räumliche und formale Strukturen und
technische Konstruktionen umzusetzen und darüber hin-
aus die Realisierung der Planung im Produktionsprozeß
zu organisieren. Seine Selbständigkeit gegenüber dem Bau-
herrn wie auch gegenüber dem Baugewerbe ergab sich da-
bei aus der mangelnden Konzentration der Bauproduktion.
Weder waren die Bauprojekte des kapitalistischen Auftrag-
gebers groß genug, um den Architekten ganz in seinen
Dienst zu stellen — der Bauherr begnügte sich vielmehr da-
mit, die Tätigkeit des Architekten für begrenzte Zeit und
beschränkte Aufgaben in Anspruch zu nehmen und ihn da-
für zu bezahlen — noch war andererseits der Konzentrations
grad des Baugewerbes groß genug, um den Architekten mit
seiner Planungs- und Konstruktionsfunktion in den kombi-
nierten Arbeitskörper der Bauproduktion zu inkorperieren
und damit unter das Kommando der Bauunternehmer zu
stellen. Der Architekt wurde also zu einer komplexen
Mischung von Restfunktionen, die zwar für den Gesamtar-
beitsprozeß nötig waren, jedoch infolge des geringen Um-
fangs der Produktion nicht in gesonderte Arbeiten aufge-
teilt werden konnten — dies mußte einer späteren Perio-
de größerer Kapitalkonzentration und weiter fortgeschritte-
ner Arbeitsteilung vorbehalten bleiben.
Die historischen Wurzeln der Gebrauchswert-
illusionen im Architektenbewußtsein
Um jedoch den prägenden Momenten des Architektenbil-
des auf die Spur zu kommen, ist es notwendig, weitere
Differenzierungen in der Analyse der Bauproduktion einzu-
führen. Wir haben bislang die Funktion des Gebäudes bei
der Untersuchung seines Herstellungsprozesses außer acht
gelassen. Hier nun ergibt sich für die eben beschriebene
Periode des frühen Kapitalismus als entscheidenen Unter-
schied zur heutigen Situation, daß diejenigen Gebäude,
für deren Errichtung man Architekten in Anspruch nahm
ausschließlich dem Konsum oder der Selbstdarstellung des
oder der Bauherren dienten: Bauaufgaben waren Gemeinde-
bauten und Kirchen für die gesamte Bürgerschaft, reprä-
sentative Wohnbauten für die kapitalistischen Bauherren
und ihre Familien, erst in einer späteren Periode repräsen-
tative Fabrikbauten. Der Massenwohnungsbau blieb lange
Zeit außerhalb des Gesichtskreises der Architekten — für
die Elendsquartiere der Arbeiter in der Industrialisierung
bedurfte es auch keines gestalterischen und bautechnischen
Aufwandes. Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
lehnte der Berliner Architekten-Verein empört die Einladung
zu einem Wettbewerb für Arbeitersiedlungsbau ab, da dies
keine würdige Bauaufgabe darstelle. 4)
Der Umstand, in der Regel zum unmittelbaren eigenen Ge-
brauch des Auftraggebers zu planen, also an der Produk-
tion von Gebrauchswerten mitzuarbeiten und nicht an
der Herstellung einer Ware für einen anonymen Markt,
hat folgenreiche Auswirkungen auf das Selbstverständnis
4) s. Werner Hegemann: Das Steinerne Berlin, Geschichte der
größten Mietskasernenstadt der Welt, Berlin 1930, S. 294.
des Architekten. Wir wollen dies an der Gegenüberstellung
mit der Arbeit eines Ingenieurs in der Massenproduktion
klarmachen:
Der Architekt übernimmt von der stofflichen Seite des
Produktionsprozesses her die Aufgabe eines Konstrukteurs
des Produkts vergleichbar etwa dem Fahrzeugkonstrukteur
in der Automobilproduktion. Von diesem Konstruktions-
ingenieur jedoch unterscheiden ihn mehrere wesentliche
Momente: der Architekt entwirft ein Produkt für einen
ihm bekannten Auftraggeber mit dessen besonderen
Wünschen. Seine Arbeit hat, solange der Bauherr nicht
für den Markt baut, sondern zur Befriedigung seiner eige-
nen Bedürfnisse, konkret nützlichen Charakter und steht
zum Konkurrenzkampf der Kapitalisten und der Ausbeu-
tung der Arbeiterklasse nur in höchst vermittelter Bezie-
hung.
Im Gegensatz zum Architekten entwirft der Fahrzeugkon-
strukteur nicht für die Bedürfnisse eines ihm bekannten
späteren Nutzers, sondern entwickelt Produkte für einen
anonymen Markt, die nur in sehr verallgemeinerter Form
die Bedürfnisse der Käufer aufnehmen. Dem Fahrzeug-
ingenieur ist durchaus klar, daß seine Arbeitskraft vom
Kapitalisten in einem Produktionsprozeß angewendet wird,
dessen Ergebnisse als Waren auf den Markt geworfen wer-
den, um dort möglichst schnell zu möglichst hohen Preisen
verkauft zu werden; daß er also die Bezahlung seiner Ar-
beitskraft dem Verwertungsinteresse des Kapitalisten ver-
dankt,der nicht etwa mit Autos die Menschheit beglücken
will, sondern möglichst hohe Stückzahlen mit möglichst
hohem Profit verkaufen will. Ihm ist mehr oder weniger
bewußt, daß der Gebrauchswert der Produkte, an deren
Herstellung er mitarbeitet, nur Träger des Tauschwertes
ist, der Gebrauchswert also nur Mittel zu dem Zweck
ist, das Produkt zu verkaufen mit dem Ziel einer möglichst
hohen Verwertung des eingesetzten Kapitals.
Der Architekt hingegen kann, solange er für einen Auf-
traggeber zu dessen persönlichem Konsum plant, mit
Fug und Recht der Ansicht sein, lediglich dem Wohl
des späteren Nutzers zu dienen, dessen Wohnbedürfnis z.B.
er befriedigt. Hier in der Gebrauchswertproduktion liegt
die Wurzel des humanistischen Anspruchs des Architek-
ten, ebenso wie in in seiner selbständigen Stellung die
Wurzel seines Individualismus liegt.
Doch ein weiteres Bedürfnis, das der Kapitalist an sein
Haus knüpft, zieht schon die Linie zu der harten Realität
der kapitalistischen Akkumulation, jedoch in einer so
schönen Verkleidung, daß der Architekt hinter ihr un-
möglich den Ansatz seiner Instrumentalisierung für die
Kapitalinteressen erkennen konnte: die Repräsentation
des Kapitalisten mittels seines Wohnhauses gegenüber
der Gesellschaft. Die Baugeschichte kennt erlesene Bei-
spiele wie etwa das Palais des Eisenbahnkönigs Dr.
Stronsberg oder die Villa des Berliner Maschinenfabri-
kanten Borsig. 5) „In der Repräsentation ist der be-
stimmende Zweck des Unternehmens. der Profit. ver-
5) Das Palais des Dr. Stronsberg wurde 1867 — 68 von August
Orth in Berlin (Wilhelm-Str. 70) gebaut und kostete die sagen-