ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 26
politische und technische Praxis den angeblichen Sach-
zwängen des Systems zu entziehen und sie als Sache der
Mobilisierung der Bevölkerung in der Vermittlung von
weitgehend kontrollierbaren politischen Trägern zu kon-
zipieren und durchzusetzen. Hier in diesem Kontext wur-
den in Bologna im Verlauf der 60er Jahre planerische
Maßnahmen getroffen und Planungsinstrumente geschaf-
fen, die die planungspolitischen Prinzipien der Blockie-
rung kapitalistischer Entwicklung und der öffentlich-de-
mokratischen Kontrolle der Planung zur Realisierung
verhelfen sollten und die die instrumentelle wie politi-
sche Basis für die aus zahlreichen Veröffentlichungen
auch in der BRD bekannte Planungspraxis der 70er Jah-
re darstellen. Beschränkung des Bevölkerungswachstums
der Kommune auf maximal 580.000 Ew. 8) die Festle-
gung der. g der urbanisierbaren Bodenfläche in kommunalen
und interkommunalen Plänen 9) die Herabsetzung der
gesetzlich fixierten Verdichtungsindices auch für die be-
reits bestehenden oder schon geplanten Wohngebiete 10),
der vorsorgliche Aufkauf von Bodenflächen und Gebäu-
den unter extensiver Anwendung der Enteignungsgesetze,
die Ausweisung des größten Teils des städtischen Gebie-
tes für die öffentliche Nutzung und damit die Bindung
der in Bologna bedeutenden historischen Bausubstanz
und grünen Zone (Hügelgebiet) für gemeinschaftliche
Dienstleistungen und Einrichtungen kollektiver Konsums-
formen 11), die Erhaltung der Typologie der Quartiere
der Peripherie, Schutzpläne für die Landwirtschaft, die
Erstellung von großangelegten Plänen im Bereich des so-
zialen Wohnungsbaues 12), die Bildung eines interkom-
munalen. Planungsverbandes (‚‚Comprensorio”) 13) — all
dies waren Maßnahmen, die die Stadtplanung zum gros-
sen Teil, meist jedoch nur in technischer Hinsicht, unter
die öffentliche Kontrolle der Kommune hätten stellen
können. Die Verwirklichung jedoch einer Planungspoli-
tik im Rahmen des Nicht-Wachstums — Verteilung des
notwendigen Wachstums im sekundären und tertiären
Sektor auf das Umland, Umkehrung des quantitativen
baulichen Wachstums in ein qualitatives (z.B. durch Auf-
wertung der bestehenden Bausubstanz nicht nur im histo-
rischen Zentrum, sondern auch in den Quartieren der Pe-
ripherie durch Förderung der Einrichtungen für soziale
Dienstleistungen als zentrale Struktur des städtischen
Gefüges) — um damit auch zu einer gesellschaftspoliti-
schen Kontrolle zu gelangen, verlangte Maßnahmen ande-
rer Natur: eine neue gesetzliche Ordnung, wo der „Wert
von Grund und Boden durch kein anderes Kriterium be-
stimmt wird als durch die von der menschlichen Arbeit
produzierten Werte”, wo der „Primat der Arbeit über
das Kapital”, die „Trennung von Bau- und Eigentums-
recht” usw. 14) anerkannt wird; hier konnten die „Kri-
terien einer technokratischen von oben bestimmten Pla-
nung” 15) nicht weiterhelfen, sondern die Auseinander-
setzung mit den Zwängen des Systems mußten von der
stadtplanerischen an die politische Ebene verlagert wer-
den; die heutige noch entwicklungsbedürftige politische
Basis demokratischer Planung und Verwaltung in Bolog-
na — die Quartiersräte mit ihren Partizipationsinstrumen-
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ten (Versammlungen, offene Kommissionen, Zonrenräte,
Fabrikräte usw.) und die alle ökonomischen Bereiche um-
fassende genossenschaftliche Bewegung, die eine Allianz
antimonopolistischer Kräfte darstellen — ist das Ergebnis
von langjährigen Kampferfahrungen im kommunalen Pla-
nungsbereich, die der Piano RG von 1972 in der Einsicht
zusammenfaßt, daß „die Kontrolle über die Nutzung und
die Verwendung des Territoriums ein sehr aktuelles Feld
des Klassenkampfes ist”, das sich wohl nicht autonom
entfaltet, sondern konkret an den Stand des Kampfes auf
nationaler Ebene anknüpfen soll. 16)
“Der Durchbruch in die internationale Planungsdiskus-
sion gelang Bologna Anfang der 70er Jahre allein durch
einen, damals noch in Vorbereitung und erst 1973 ver-
abschiedeten sektoralen und kleinangelegten Plan — den
„PEEP-Centro Storico” 17) — dessen städtebaulicher
Wert vor allem in zwei Punkten exemplarisch hervortrat:
die ökonomische wie architektonische Operationalisie-
rung der Idee der „erweiterten Erhaltung” 18) und die
Verkoppelung eines denkmappflegerischen Erhaltungs-
plans mit einem Sanierungsplan im Rahmen des kom-
munalen Programms für den sozialen Wohnungsbau. Die
auffälligsten Grenzen des Plans liegen darin, daß er nur
ein Fünftel des historischen Zenträums erfaßt. Dies hat
zu einer verkürzten Perzeption der Stadtplanung in Bo-
logna geführt, die Anlaß geworden ist einerseits zu illu-
sorischen Übertragungserwartungen eines „beispielhaf-
ten” Sanierungsmodells und andererseits zu skeptischen
Urteilen, die die sektoralen Grenzen des Plans „aufdeck-
ten” bzw. dessen Realisierungschancen in den Möglich-
keiten des Systems mit Recht verneinen. Erst in letzter
Zeit ist entdeckt worden, daß die instrumentelle und
konzeptionelle Matrix des Plans mindestens der „Piano
per il Centro Storico” von 1969 und der „Piano Regola-
tore Generale” von 1970—72 sind 19); ebenso, daß die
politische Matrix des Plans und der Bologneser Stadt-
planung überhaupt nicht direkt in der politischen Struk-
tur des Systems, sondern in einem neuen, zum Teil be-
reits institutionell gesicherten Zusammenhang der poli-
tischen und gesellschaftlichen Kräfte 20) verankert war.
Die hier hergestellte Verquickung von Planung und Poli-
tik gilt es noch zu rekonstruieren.
Das Ziel dieses Artikels ist nicht, einen weiteren Bei-
trag zu den besonders in der ersten Phase der Perzep-
tion zahlreichen Beschreibungen des Bologneser Sa-
nierungsexperimentes zu liefern; Ziel ist, in Anlehnung
an die letzten Bemühungen, auch das politische Phäno-
men „Bologna” zur Sprache zu bringen und Bologna
als einen Versuch darzustellen, Politik und Stadtplanung
in einer neuartigen Weise in Verbindung zu bringen. Bo-
logna soll als Beispiel alternativer Politik verstanden wer-
den, auf deren Basis neue, mit den äußeren Bedingungen
wechselnde Planungs-, Modelle” aufgestellt werden kön-
nen, deren Realisierungschancen dann nicht mehr im
Lichte der immanenten Möglichkeiten des Systems, son-
dern im Lichte der vollzogenen Veränderungen im kom-
munalen politischen Kontext diskutiert werden müssen.
Hierin und nicht so sehr in dem spezifischen Sanierungs-