Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (ab H. 28: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen) (1975, Jg. 7, H. 25-28)

ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 25 
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dem Lande in bürgerlich-kapitalistische und damit auch die 
Einführung der neuen, bürgerlichen Form des Grundeigen- 
tums, den privaten, freien, uneingeschränkten Grundbesitz 
zur Folge. 
Dieter Radicke 
DER BERLINER BEBAUUNGSPLAN VON 
1862 UND DIE ENTWICKLUNG DES 
WEDDING — ZUM VERHÄLTNIS VON 
OBRIGKEITSPLANUNG ZU PRIVATEM 
GRUNDEIGENTUM |! 
Ernst Heinrich hat in seinem Aufsatz ‘Der Hobrechtplan’ 2 
entgegen der bis dahin vorliegenden Literatur den Verdacht 
geäußert, daß weniger der Bebauungsplan von 1862 die Ber- 
liner Wohnverhältnisse der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts 
verursacht habe, als vielmehr „eine damals allgemein verbrei- 
tete Auffassung von Eigentum und Privatwirtschaft . . . ihn 
in ihrem Sinn ausgenutzt hat.” 3 Dieser Ansatz, daß Woh- 
nungsnot und Wohnungselend eines großen Teils der städti- 
schen Bevölkerung sich mehr bürgerlicher Boden- und Bau- 
politik und des hinter ihr drängenden Profitinteresses der 
entstehenden bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ver- 
dankt als dem staatlichen Diktat eines Bebauungsplanes, 
soll hier in der Darstellung des Zusammenhangs von Obrig- 
keitsplanung und privatem Grundeigentum weiter verfolgt 
und am Beispiel der Entwicklung des Stadtteils Wedding 
veranschaulicht werden. 
„Vom Mittelalter bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts hat 
die Anlage und Erweiterung einer Stadt, die Schaffung der 
Existenzgrundlage für die städtische Bevölkerung, als eine 
im eminentesten Sinne öffentlich-rechtliche Angelegenheit 
und deshalb auch stets als Aufgabe der städtischen oder 
staatlichen Gewalt gegolten; erst dem 19. Jahrhundert blieb 
es vorbehalten, die Schaffung der Existenzgrundlage der 
ganzen Bevölkerung der privaten Spekulation zu überant- 
worten.” 4 Bauherr der Städte in der ihr eigenen Form der 
privaten Spekulation wurde die Bourgeoisie in Preußen 
erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sie die öko- 
nomische Macht errungen hatte. Notwendig vorausgegangen 
war dem in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts die Privati- 
sierung von Grund und Boden, deren Ergebnis, die freie un- 
eingeschränkte Verfügung über das Grundeigentum, der 
Bourgeoisie gewissermaßen in den Schoß gefallen war. 
Denn der Prozeß der Ablösung der feudalen Eigentumsver- 
hältnisse war eigentlich auf dem Lande erfolgt. 
Die Entwicklung des privaten Grundeigentums 
Die Preußische Agrarreform, das Kernstück der Stein-Har- 
denberg’-schen Reformen, deren ausgesprochenes Ziel die 
Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität war, hatte 
die Umwandlung der feudalen Produktionsverhältnisse auf 
Die Durchsetzung der neuen Form des Grundeigentums 
scheint sich im Berliner Umland in zwei Phasen vollzogen zu 
haben. Während der ersten Phase, die die städtischen Grund- 
eigentümer unmittelbar der Agrarreform 5 verdanken, wurde 
der Boden durch die Ablösungs- und Separationsverfahren 
aus seinen herrschaftlichen sowie aus seinen genossenschaft- 
lichen Bindungen herausgelöst. „Das Resultat des ganzen 
Prozesses war, soweit das mangelhafte statistische Material 
eine Beurteilung zuläßt, auch in der Umgebung von Berlin 
ähnlich wie überall in Preußen: eine Vergrößerung des Areals 
der Rittergüter, die Schaffung eines nicht sehr zahlreichen, 
aber ziemlich begüterten Bauernstandes, die völlige Aufteilung 
des ländlichen Gemeindeeigentums und eine starke Verringe- 
rung der kleinen lassitischen Grundbesitzer, die sich großen- 
teils in landlose Tagelöhner verwandelten.” © 
Diese Phase der Umwandlung des feudalen Grundeigentums 
in seine neue Form hatte vor allem die Zusammenfassung des 
Bodens zu großen landwirtschaftlichen Produktionsstätten 
(Gutsbesitz und größere Bauernstellen) zur Folge. 
Die zweite Phase der Durchsetzung des privaten Grundeigen- 
tums erfolgte mit dem Gesetz vom 2. März 1850 7, das das 
preußische Bürgertum gewiß der Revolution von 1848 ver- 
dankt. Mit diesem Gesetz wurden die letzten grundherrlichen 
Abhängigkeiten, die Erbpacht- und die Erbzinsverhältnisse, 
aufgehoben und in die neue Form des privaten Grundeigen- 
tums umgewandelt. 
Für die Verteilung von Grund und Boden in der Umgebung 
Berlins unter den neuen Eigentumsverhältnissen ergab sich 
aus der frühen Phase der Ablösung des feudalen Eigentums 
eine weitflächige Arrondierung des Bodens zugunsten ver- 
hältnismäßig weniger Eigentümer; hingegen aus der zweiten 
Phase eine weitgehende Aufteilung und Verteilung des 
Bodens unter viele neue Privateigentümer. 
Nach 1850 war somit in der Umgebung Berlins nahezu der 
gesamte Boden, dessen landwirtschaftliche Nutzung vorerst 
noch überwog, in privater Hand. 
Der so gebildete Gürtel privatisierten Grund und Bodens 
rings um Berlin begann die Entwicklung der Stadt zu be- 
stimmen, als die bauliche Nutzung des Bodens eingeleitet 
und das Interesse der Grundeigentümer an der Steigerung 
des Bodenprofits durch Häuserbau mit der baulichen Er- 
weiterung der Stadt in großem Ausmaß realisiert wurde. 
Der Bebauungsplan von 1862 
Im Jahre 1858 ergriff der preußische Staat die Initiative, 
einen Gesamtbebauungsplan für die Umgebungen Berlins 
zum Zweck künftiger baulicher Erweiterung der Stadt 
aufstellen zu lassen.
	        

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