ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 27
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Strukturkrisen, welche sich auch in partielle, zum Teil
wechselseitig verstärkende ideologische Krisen übersetz-
ten, wenn der ökonomisch-politische Prozeß selbst die
in der vorausgehenden Rekonstruktionsperiode verfer-
tigten oder verfestigten Legitimationsmuster infragestel-
len mußte. Mit dem Versprechen, diese partiellen Krisen
durch sektorale Reformen von oben kleinzuarbeiten und
weitergehende basisdemokratische oder gar sozialistische
Bewegungen aufzufangen oder zu isolieren, konnte die
SPD für einige Jahre so etwas wie eine neue staatstragen-
de Ideologie durchsetzen, eben die Reformideologie. Mit
der gegenwärtigen internationalen ökonomischen Krise
und der ziemlich allgemein erwarteten Periode einer län-
geren Stagnation wird jedoch die Tragfähigkeit dieser
Ideologie erschüttert. Was von den Reformplänen noch
übriggeblieben ist, bleibt durch Koalitionskompromisse
wohlpräpariert im Bundesrat hängen. Die ökonomische
Krise selbst gewinnt die Funktion, die partiellen ideolo-
gischen Krisen zu „lösen”, vor allem aufgrund ihrer de-
moralisierenden Wirkungen, z.T. aber auch durch eine
Verlangsamung der Strukturwandlungsprozesse, welche
ihrerseits Ausgangspunkt neuer Ideologiebildungen sind.
Die Krise erzeugt freilich auch politische Gefahren
für das gesellschaftliche Machtzentrum. Auch wenn die
‘bewußtseinsschärfende Kraft‘ der Krise nicht zum Aus-
gangspunkt einer Strategie gemacht werden kann, weil
Angst und individuelle Selbsrepression einer politischen
Identitätsherstellung entgegenwirken, so kann doch da-
von ausgegangen werden, daß die bindende Kraft der So-
zialpartnerschaftsideologie mehr und mehr bröckelt. Die
staatlichen Reaktionen gegen diese Gefahren erscheinen
jedoch als Spätreaktionen gegen verselbständigte politi-
sche Produkte der früheren ideologischen Krisen 22). Be-
rufsverbote, Unvereinbarkeitsbeschlüsse 23 ), die Vergat-
terung der Jusos erscheinen so nicht, als das was sie sind,
nämlich als die Ausgangsbasis einer Disziplinierung auto-
nomer basisdemokratischer Bewegungen 24),
Was bedeutet nun das zeitliche Zusammenfallen und
der sachliche Zusammenhang
— des Scheiterns der Reformen
— der materiellen Bedrohung und
— der politischen Repression
für eine linke Strategiebestimmung und deren Verände-
rung? Im Rahmen dieses Editorials und der politischen
Fachzeitschrift ARCH+ möchten und können wir auf
eine Frage in dieser Allgemeinheit keine Antwort versu-
chen. Was wir jedoch möchten, ist dies: daß die in ARCH+
geführte Diskussion sich zu solchen strategisch bedeutsa-
men Fragen der Linken vermittelt. Wir können nicht sa-
gen, ob Initiativen gegen die Berufsverbote, Antirepres-
sionskomitees den Anfang des Aufmerksamwerdens auf
eine veränderte Situation oder ein Auslagern und Ver-
drängen solcher politischer Fragen auf eine zusätzliche
„Aktivitäten“ darstellen. Sicher scheint uns allerdings,
daß der Widerstand gegen die politische Repression we-
der eine Sache der Linken allein sein kann, noch isoliert
werden! kann von der ökonomischen Repression, sich mit
dem politisch-sozialen Widerstand basisdemokratischer
Initiativen vermitteln muß. Dies kann in ARCH+ jedoch
erst diskutiert werden, wenn sich entsprechende Wider-
standsformen, die auch den Bereich Architektur und
Stadtplanung betreffen, herausgebildet haben. Auf der
anderen Seite aber können wir feststellen, daß eine aus-
schließliche „gewerkschaftliche Orientierung“ ganz ge-
wiß keine Antwort auf die zunehmende politische Re-
pression darstellen kann: Wer sich dieser Situation auf
die Linie eines durch die Gewerkschaften organisierten
Abwehrkampfs zurückzieht, verurteilt sich selbst zur
Ohnmacht gegenüber der politischen Repression, welche
von der Gewerkschaftsührung mitgetragen wird. Er be-
zieht eine Frontstellung quer zum realen Verlauf der
Frontlinie, welche quer durch die Gewerkschaften und
die SPD verläuft und nicht etwa zwischen den Gewerk-
schaften als Massenorganisation der Arbeiter einerseits
und den Unternehmern und den bürgerlichen Parteien
andererseits.
2. Ideologische Krisen und Auswirkungen der ökono-
mischen Krise im Architektur- und Stadtplanungs-
bereich. (Einige Bemerkungen).
Auch im Bereich der Architektur und der Planung
haben vor allem die stagnativen Tendenzen (die politi-
sche Repression wirkt hier nur latent) die Situation ge-
genüber der vor Jahren gründlich verändert.
Beginnen wir mit dem Stadtplanungsbereich, weil die-
ser in den späten 60er Jahren der Ausgangspunkt einer
ideologischen Krise des Gesamtbereichs war: die Gewalt-
tätigkeiten des städtischen Strukturwandels (Kahlschlag-
Sanierungen, aus dem Boden gesampfte Neubauviertel
usw.) waren von einer Berufsideologie, welche sich auf
die ‘Bedürfnisbefriedigung anderer‘ beruft, nicht mehr
zu rechtfertigen. — In der Folge der stagnativen Tenden-
zen mildern sich diese Gewaltätigkeiten erheblich. Mo-
dernisierung tritt tendenziell an die Stelle der Kahl-
schlagsanierung. Im Unterschied zu vorher kann nun die
neue Planerideologie der „erhaltenden Stadterneuerung‘‘
(und auf nichts anderes liefen ja die Forderungen der
Stadtteilinitiativen hinaus!) im Gleichschritt mit der öko-
nomischen Entwicklung argumentieren und deren Kon-
sequenzen als Realisierung planerischer Konzeptionen
ausgeben: „Erhaltende Stadterneuerung‘‘ als deus ex
machina, als planerische Lösung aller bisherigen Proble-
me. Die ideologische Krise der Stadtplanung scheint da-
mit vorerst gelöst, nicht weil wirklich umfassend moder-
nisiert wird, sondern weil fast nichts mehr getan wird:
„Erhaltende Stadterneuerung‘ enthält das Versprechen,
daß für die Klassen-Ghettos der Städte „etwas geschieht“
nichts Verheerendes, nichts Umwälzendes, keine eigent-
liche Veränderung, fast gar nichts — in Wirklichkeit für
die Masse solcher Viertel überhaupt nichts.
Wo allerdings wirklich modernisiert wird, ergeben
sich nach allen Erfahrungen weit bessere Ansatzpunkte
zur Bildung von Mieterselbstorganisationen als in Vier-
teln, welche von Kahlschlagsanierung bedroht sind. —
Wir werden uns also darauf einzustellen haben, daß ge-