Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (ab H. 28: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen) (1975, Jg. 7, H. 25-28)

ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 27 
EEE 
Strukturkrisen, welche sich auch in partielle, zum Teil 
wechselseitig verstärkende ideologische Krisen übersetz- 
ten, wenn der ökonomisch-politische Prozeß selbst die 
in der vorausgehenden Rekonstruktionsperiode verfer- 
tigten oder verfestigten Legitimationsmuster infragestel- 
len mußte. Mit dem Versprechen, diese partiellen Krisen 
durch sektorale Reformen von oben kleinzuarbeiten und 
weitergehende basisdemokratische oder gar sozialistische 
Bewegungen aufzufangen oder zu isolieren, konnte die 
SPD für einige Jahre so etwas wie eine neue staatstragen- 
de Ideologie durchsetzen, eben die Reformideologie. Mit 
der gegenwärtigen internationalen ökonomischen Krise 
und der ziemlich allgemein erwarteten Periode einer län- 
geren Stagnation wird jedoch die Tragfähigkeit dieser 
Ideologie erschüttert. Was von den Reformplänen noch 
übriggeblieben ist, bleibt durch Koalitionskompromisse 
wohlpräpariert im Bundesrat hängen. Die ökonomische 
Krise selbst gewinnt die Funktion, die partiellen ideolo- 
gischen Krisen zu „lösen”, vor allem aufgrund ihrer de- 
moralisierenden Wirkungen, z.T. aber auch durch eine 
Verlangsamung der Strukturwandlungsprozesse, welche 
ihrerseits Ausgangspunkt neuer Ideologiebildungen sind. 
Die Krise erzeugt freilich auch politische Gefahren 
für das gesellschaftliche Machtzentrum. Auch wenn die 
‘bewußtseinsschärfende Kraft‘ der Krise nicht zum Aus- 
gangspunkt einer Strategie gemacht werden kann, weil 
Angst und individuelle Selbsrepression einer politischen 
Identitätsherstellung entgegenwirken, so kann doch da- 
von ausgegangen werden, daß die bindende Kraft der So- 
zialpartnerschaftsideologie mehr und mehr bröckelt. Die 
staatlichen Reaktionen gegen diese Gefahren erscheinen 
jedoch als Spätreaktionen gegen verselbständigte politi- 
sche Produkte der früheren ideologischen Krisen 22). Be- 
rufsverbote, Unvereinbarkeitsbeschlüsse 23 ), die Vergat- 
terung der Jusos erscheinen so nicht, als das was sie sind, 
nämlich als die Ausgangsbasis einer Disziplinierung auto- 
nomer basisdemokratischer Bewegungen 24), 
Was bedeutet nun das zeitliche Zusammenfallen und 
der sachliche Zusammenhang 
— des Scheiterns der Reformen 
— der materiellen Bedrohung und 
— der politischen Repression 
für eine linke Strategiebestimmung und deren Verände- 
rung? Im Rahmen dieses Editorials und der politischen 
Fachzeitschrift ARCH+ möchten und können wir auf 
eine Frage in dieser Allgemeinheit keine Antwort versu- 
chen. Was wir jedoch möchten, ist dies: daß die in ARCH+ 
geführte Diskussion sich zu solchen strategisch bedeutsa- 
men Fragen der Linken vermittelt. Wir können nicht sa- 
gen, ob Initiativen gegen die Berufsverbote, Antirepres- 
sionskomitees den Anfang des Aufmerksamwerdens auf 
eine veränderte Situation oder ein Auslagern und Ver- 
drängen solcher politischer Fragen auf eine zusätzliche 
„Aktivitäten“ darstellen. Sicher scheint uns allerdings, 
daß der Widerstand gegen die politische Repression we- 
der eine Sache der Linken allein sein kann, noch isoliert 
werden! kann von der ökonomischen Repression, sich mit 
dem politisch-sozialen Widerstand basisdemokratischer 
Initiativen vermitteln muß. Dies kann in ARCH+ jedoch 
erst diskutiert werden, wenn sich entsprechende Wider- 
standsformen, die auch den Bereich Architektur und 
Stadtplanung betreffen, herausgebildet haben. Auf der 
anderen Seite aber können wir feststellen, daß eine aus- 
schließliche „gewerkschaftliche Orientierung“ ganz ge- 
wiß keine Antwort auf die zunehmende politische Re- 
pression darstellen kann: Wer sich dieser Situation auf 
die Linie eines durch die Gewerkschaften organisierten 
Abwehrkampfs zurückzieht, verurteilt sich selbst zur 
Ohnmacht gegenüber der politischen Repression, welche 
von der Gewerkschaftsührung mitgetragen wird. Er be- 
zieht eine Frontstellung quer zum realen Verlauf der 
Frontlinie, welche quer durch die Gewerkschaften und 
die SPD verläuft und nicht etwa zwischen den Gewerk- 
schaften als Massenorganisation der Arbeiter einerseits 
und den Unternehmern und den bürgerlichen Parteien 
andererseits. 
2. Ideologische Krisen und Auswirkungen der ökono- 
mischen Krise im Architektur- und Stadtplanungs- 
bereich. (Einige Bemerkungen). 
Auch im Bereich der Architektur und der Planung 
haben vor allem die stagnativen Tendenzen (die politi- 
sche Repression wirkt hier nur latent) die Situation ge- 
genüber der vor Jahren gründlich verändert. 
Beginnen wir mit dem Stadtplanungsbereich, weil die- 
ser in den späten 60er Jahren der Ausgangspunkt einer 
ideologischen Krise des Gesamtbereichs war: die Gewalt- 
tätigkeiten des städtischen Strukturwandels (Kahlschlag- 
Sanierungen, aus dem Boden gesampfte Neubauviertel 
usw.) waren von einer Berufsideologie, welche sich auf 
die ‘Bedürfnisbefriedigung anderer‘ beruft, nicht mehr 
zu rechtfertigen. — In der Folge der stagnativen Tenden- 
zen mildern sich diese Gewaltätigkeiten erheblich. Mo- 
dernisierung tritt tendenziell an die Stelle der Kahl- 
schlagsanierung. Im Unterschied zu vorher kann nun die 
neue Planerideologie der „erhaltenden Stadterneuerung‘‘ 
(und auf nichts anderes liefen ja die Forderungen der 
Stadtteilinitiativen hinaus!) im Gleichschritt mit der öko- 
nomischen Entwicklung argumentieren und deren Kon- 
sequenzen als Realisierung planerischer Konzeptionen 
ausgeben: „Erhaltende Stadterneuerung‘‘ als deus ex 
machina, als planerische Lösung aller bisherigen Proble- 
me. Die ideologische Krise der Stadtplanung scheint da- 
mit vorerst gelöst, nicht weil wirklich umfassend moder- 
nisiert wird, sondern weil fast nichts mehr getan wird: 
„Erhaltende Stadterneuerung‘ enthält das Versprechen, 
daß für die Klassen-Ghettos der Städte „etwas geschieht“ 
nichts Verheerendes, nichts Umwälzendes, keine eigent- 
liche Veränderung, fast gar nichts — in Wirklichkeit für 
die Masse solcher Viertel überhaupt nichts. 
Wo allerdings wirklich modernisiert wird, ergeben 
sich nach allen Erfahrungen weit bessere Ansatzpunkte 
zur Bildung von Mieterselbstorganisationen als in Vier- 
teln, welche von Kahlschlagsanierung bedroht sind. — 
Wir werden uns also darauf einzustellen haben, daß ge-
	        

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