Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (ab H. 28: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen) (1975, Jg. 7, H. 25-28)

unter Voraussetzung dieser Deckungsgleichheit. Die 
schlechten Verhältnisse hier wären nur identisch mit den 
schlechten Verhältnissen der Form. Jedes Sublimat wäre 
nur Spiegelbild dessen, dem es zu entkommen versucht. 
Eine solche „Phantasie”” aber, die nur ans Tageslicht bringt. 
was überall schon ist, würde sich selbst überflüssig machen. 
Ästhetisches im transzendierenden Sinne als emanzipatives 
Versprechen, wäre zusammengeschmolzen auf die bloße 
Faktizität eines Dokuments. Der Aussagegehalt eines sol- 
chen ästhetischen, Form-Reflexergebnisses des Bestehen- 
den — wäre identisch mit bloßer Faktizität. Ein „Kunst- 
werk” gar — sofern von einer solchen Sache zu reden er- 
laubt ist — wäre dann tatsächlich nur noch eine „Sache”, 
berechenbares, gemachtes und zwangsläufig bloß nützliches 
Artefakt. 
So bleibt mir nichts anderes, — um mich nicht jeder 
Hoffnung zu berauben, — als festzustellen, daß sich die 
Phantasie einer Form daran erweist, nicht gänzlich in ihrer 
Bedingtheit aufzugehen, also nicht gänzlich Reflex des 
Bestehenden zu sein. Ein Zweckrationalismus der alle 
Architektur bereits zum Zeichen seiner Allgültigkeit ge- 
stempelt hat, sollte seine Kritiker nicht daran zweifeln las- 
sen, daß trotz dieser Herrschaft ein Formpotential vorhan- 
den ist, daß bloßen Zweckrationalismus gewiß nicht zu 
„überwinden”, aber doch aufzuheben und damit aus ihm 
herauszuweisen vermag. Zu fragen bleibt nur — und diese 
Frage ist mir wichtig — in welcher sinnlichen Fassung 
solche Form vorhanden ist, wo sie zu suchen oder wie sie 
zu wünschen wäre. Gewiß doch nicht die Trivialarchitektur 
kann hier eine Antwort geben. Ist sie nicht gerade das 
Gegenteil, ist Kitsch und Triviales nicht die phantasielose 
Bestätigung dessen, was immer schon galt und nicht gehol- 
fen hat, sogenanntes „herabgesunkenes Kulturgut”, zum 
Massenverbrauch versüßlicht und damit reaktionär? 
Halten wir uns deshalb zunächst an die „gute”” Form, 
an die durch. Herkommen und Moral bestätigte Form, et- 
wa an Mies van der Rohes glasklares, sauberes, funktionie- 
rendes Bürohochhaus von 1922, das eine Revolution im 
Bauen einleitete und endlich die pompösen Architektur- 
monumente der Gründerzeit außer Kraft setzte. Es war 
„schön”, im Augenblick schon, als es in Kohle fertig ge- 
zeichnet vor Augen stand und es war auch noch schön, 
als es zum ersten, zweiten und dritten Mal gebaut wurde. 
Eine neue Ästhetik stereometrischer Primarformen und 
eine Ästhetik rationaler Zweckmäßigkeit hatte die Pomp- 
architektur des 19. Jahrhunderts abgelöst und als nach dem 
Kriege Miesens Modell zum Allerweltsfunktionsbehälter wur: 
de, als man es endlos multiplizierte und als es jedem Bedarf 
und jeder Lebensregung förmlich übergestülpt und zum 
auskalkulierten Produkt der Bauwirtschaft wurde, hatte 
diese „gute, saubere und schöne‘ Form sich erwiesen als 
ein prominenter Faktor der Umweltzerstörung. Nicht an- 
ders die einst so poetischen Träume der Ville Contempo- 
raine von Le Corbusier, die heute als Miethaussilos die 
Trabantenstädte füllen. Eine Ästhetik, die auf die geome- 
trischen Voraussetzungen der Architektur rekurrierte, auf 
die primären Formen — und eine Ästhetik, die das Schöne 
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ARCH* 7. Jg. (1975) H. 27 
dem Zweck anzunähern versuchte, hatte im Feuer des Pr. 
testes außer Acht gelassen, daß Architektur möglicherweit 
noch andere Faktoren zu berücksichtigen haben könnte 
als es dieses nun alt gewordene Dogma des „Neuen Bauens 
propagierte. Welche anderen Faktoren? 
War das Spektrum bereichert worden mit der Erfindu ı 
des „Brutalismus”, jenes „neuen Stils”, mit dem die Arc 
tekten auf die allzu glatte Wand, auf den allzu leicht 
schwebenden Quader, auf die gläserne Haut der curtain- } 
wall antworteten? Bestand nicht die Antwort, die ein 
Paul Rudolph oder seine deutschen Nachahmer gaben, wi 
derum in „guter, sauberer” Form, seriös genug, um dem | 
bloßen Funktionieren sich zu entheben und kreativ genug! 
um nicht trivial zu sein? War dies nicht die formale Um- 
kehr alles dessen, was formal eben noch Gültigkeit bean- 
spruchte? 
Anstelle der glatten, leicht gespannten Wand traten 
erklüftete Betonschluchten, an die Stelle schwebender 
Leichtigkeit trat neue Solidität und materielle Schwere. 
Neue Monumente! Selbstbewußte Kunststücke im Gefolgä 
des genialen Betongießers Le Corbusier, jenes letzten 
Künstlergenies, der architektornische Form noch so ver- | 
stand wie Michelangelo — und darin gerade möglicherwei- 
se antiquiert war? Auch der Brutalismus hat die anderen 
Faktoren, von denen wir vermuten, daß sie existieren 
müssen, nicht ins Spiel gebracht, da sich doch durch Paul 
Rudolph und durch alle anderen Nachfolger Le Corbusier 
die Gestalt der Städte nicht zum Besseren änderte. Wel- 
che anderen Faktoren sind es? 
Könnte der Weg gewiesen werden am Gängelband jen | 
Eklektizisten, die zwar zu den seriösen Architekten noch 
immer gerechnet werden, jedoch die Sauberkeitsmoral 
des Funktionalismus ebensowenig enthielten wie die neu 
en Vorschriften des Betonstils, der ganze Bauwerke zu 
skulpturalen Gebirgen werden läßt und kraft des Material 
ausdrucks trotz allem „seriös””, „aufrichtig”” bleibt? Ekle 
tizismus heißt in unserem Zusammenhang, architektoni- 
schen Ausdruck ein wenig präziser festzulegen als es der 
„Ausdruck” bloßer Primärformen und bloßer Betonskul; 
turen vermag. Festlegung des Ausdrucks bedeutet zusätz 
licher Inhaltsbezug, bedeutet Charakterisierung bis hin | 
zu der Steigerungsform, deutliche Signale zu senden und 
damit Ausdruck nahezu verbalisierbar zu machen, also 
mitzuteilen, um was für einen Bau es sich handelt: „Sprei 
chende Architektur”! 
Eine funktionalisierte Architektur — der Geschichte | 
gegenüber weitgehend bezugslos — hat auf solche Charak- 
terisierung verzichtet. Eine brutalistische Architektur ) 
hat Ausdruck gewonnen, indem sie sich auf den Schwere} 
ausdruck des Steins erneut beruft. Und hier liegen die . 
Möglichkeiten jener Eklektizisten wie Philipp Johnson, 
der das Bielefelder Museum der Familie Oetker zu einem! 
Monument werden ließ, das bei aller kubischen Moderni-- 
tät den Geschichtsbezug sucht, um als Monument ver- 
ständlich zu sein, also durch Beschwörung alter Mittel 
der Architektur, durch den Ausdruck des Tragens und 
Lastens. Gewicht. Würde, Macht zu veranschaulichen.
	        

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