unter Voraussetzung dieser Deckungsgleichheit. Die
schlechten Verhältnisse hier wären nur identisch mit den
schlechten Verhältnissen der Form. Jedes Sublimat wäre
nur Spiegelbild dessen, dem es zu entkommen versucht.
Eine solche „Phantasie”” aber, die nur ans Tageslicht bringt.
was überall schon ist, würde sich selbst überflüssig machen.
Ästhetisches im transzendierenden Sinne als emanzipatives
Versprechen, wäre zusammengeschmolzen auf die bloße
Faktizität eines Dokuments. Der Aussagegehalt eines sol-
chen ästhetischen, Form-Reflexergebnisses des Bestehen-
den — wäre identisch mit bloßer Faktizität. Ein „Kunst-
werk” gar — sofern von einer solchen Sache zu reden er-
laubt ist — wäre dann tatsächlich nur noch eine „Sache”,
berechenbares, gemachtes und zwangsläufig bloß nützliches
Artefakt.
So bleibt mir nichts anderes, — um mich nicht jeder
Hoffnung zu berauben, — als festzustellen, daß sich die
Phantasie einer Form daran erweist, nicht gänzlich in ihrer
Bedingtheit aufzugehen, also nicht gänzlich Reflex des
Bestehenden zu sein. Ein Zweckrationalismus der alle
Architektur bereits zum Zeichen seiner Allgültigkeit ge-
stempelt hat, sollte seine Kritiker nicht daran zweifeln las-
sen, daß trotz dieser Herrschaft ein Formpotential vorhan-
den ist, daß bloßen Zweckrationalismus gewiß nicht zu
„überwinden”, aber doch aufzuheben und damit aus ihm
herauszuweisen vermag. Zu fragen bleibt nur — und diese
Frage ist mir wichtig — in welcher sinnlichen Fassung
solche Form vorhanden ist, wo sie zu suchen oder wie sie
zu wünschen wäre. Gewiß doch nicht die Trivialarchitektur
kann hier eine Antwort geben. Ist sie nicht gerade das
Gegenteil, ist Kitsch und Triviales nicht die phantasielose
Bestätigung dessen, was immer schon galt und nicht gehol-
fen hat, sogenanntes „herabgesunkenes Kulturgut”, zum
Massenverbrauch versüßlicht und damit reaktionär?
Halten wir uns deshalb zunächst an die „gute”” Form,
an die durch. Herkommen und Moral bestätigte Form, et-
wa an Mies van der Rohes glasklares, sauberes, funktionie-
rendes Bürohochhaus von 1922, das eine Revolution im
Bauen einleitete und endlich die pompösen Architektur-
monumente der Gründerzeit außer Kraft setzte. Es war
„schön”, im Augenblick schon, als es in Kohle fertig ge-
zeichnet vor Augen stand und es war auch noch schön,
als es zum ersten, zweiten und dritten Mal gebaut wurde.
Eine neue Ästhetik stereometrischer Primarformen und
eine Ästhetik rationaler Zweckmäßigkeit hatte die Pomp-
architektur des 19. Jahrhunderts abgelöst und als nach dem
Kriege Miesens Modell zum Allerweltsfunktionsbehälter wur:
de, als man es endlos multiplizierte und als es jedem Bedarf
und jeder Lebensregung förmlich übergestülpt und zum
auskalkulierten Produkt der Bauwirtschaft wurde, hatte
diese „gute, saubere und schöne‘ Form sich erwiesen als
ein prominenter Faktor der Umweltzerstörung. Nicht an-
ders die einst so poetischen Träume der Ville Contempo-
raine von Le Corbusier, die heute als Miethaussilos die
Trabantenstädte füllen. Eine Ästhetik, die auf die geome-
trischen Voraussetzungen der Architektur rekurrierte, auf
die primären Formen — und eine Ästhetik, die das Schöne
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ARCH* 7. Jg. (1975) H. 27
dem Zweck anzunähern versuchte, hatte im Feuer des Pr.
testes außer Acht gelassen, daß Architektur möglicherweit
noch andere Faktoren zu berücksichtigen haben könnte
als es dieses nun alt gewordene Dogma des „Neuen Bauens
propagierte. Welche anderen Faktoren?
War das Spektrum bereichert worden mit der Erfindu ı
des „Brutalismus”, jenes „neuen Stils”, mit dem die Arc
tekten auf die allzu glatte Wand, auf den allzu leicht
schwebenden Quader, auf die gläserne Haut der curtain- }
wall antworteten? Bestand nicht die Antwort, die ein
Paul Rudolph oder seine deutschen Nachahmer gaben, wi
derum in „guter, sauberer” Form, seriös genug, um dem |
bloßen Funktionieren sich zu entheben und kreativ genug!
um nicht trivial zu sein? War dies nicht die formale Um-
kehr alles dessen, was formal eben noch Gültigkeit bean-
spruchte?
Anstelle der glatten, leicht gespannten Wand traten
erklüftete Betonschluchten, an die Stelle schwebender
Leichtigkeit trat neue Solidität und materielle Schwere.
Neue Monumente! Selbstbewußte Kunststücke im Gefolgä
des genialen Betongießers Le Corbusier, jenes letzten
Künstlergenies, der architektornische Form noch so ver- |
stand wie Michelangelo — und darin gerade möglicherwei-
se antiquiert war? Auch der Brutalismus hat die anderen
Faktoren, von denen wir vermuten, daß sie existieren
müssen, nicht ins Spiel gebracht, da sich doch durch Paul
Rudolph und durch alle anderen Nachfolger Le Corbusier
die Gestalt der Städte nicht zum Besseren änderte. Wel-
che anderen Faktoren sind es?
Könnte der Weg gewiesen werden am Gängelband jen |
Eklektizisten, die zwar zu den seriösen Architekten noch
immer gerechnet werden, jedoch die Sauberkeitsmoral
des Funktionalismus ebensowenig enthielten wie die neu
en Vorschriften des Betonstils, der ganze Bauwerke zu
skulpturalen Gebirgen werden läßt und kraft des Material
ausdrucks trotz allem „seriös””, „aufrichtig”” bleibt? Ekle
tizismus heißt in unserem Zusammenhang, architektoni-
schen Ausdruck ein wenig präziser festzulegen als es der
„Ausdruck” bloßer Primärformen und bloßer Betonskul;
turen vermag. Festlegung des Ausdrucks bedeutet zusätz
licher Inhaltsbezug, bedeutet Charakterisierung bis hin |
zu der Steigerungsform, deutliche Signale zu senden und
damit Ausdruck nahezu verbalisierbar zu machen, also
mitzuteilen, um was für einen Bau es sich handelt: „Sprei
chende Architektur”!
Eine funktionalisierte Architektur — der Geschichte |
gegenüber weitgehend bezugslos — hat auf solche Charak-
terisierung verzichtet. Eine brutalistische Architektur )
hat Ausdruck gewonnen, indem sie sich auf den Schwere}
ausdruck des Steins erneut beruft. Und hier liegen die .
Möglichkeiten jener Eklektizisten wie Philipp Johnson,
der das Bielefelder Museum der Familie Oetker zu einem!
Monument werden ließ, das bei aller kubischen Moderni--
tät den Geschichtsbezug sucht, um als Monument ver-
ständlich zu sein, also durch Beschwörung alter Mittel
der Architektur, durch den Ausdruck des Tragens und
Lastens. Gewicht. Würde, Macht zu veranschaulichen.