norm durch Subventionierung zu effektivieren.
Entsprechend der neuen Grundrechtstheorie leitet
das Bundesverfassungsgericht im numerus clausus-Ur-
teil aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG i.V. mit dem allge-
meinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip
ein Recht ab auf Zulassung zum Hochschulstudium. Je
stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung
und kulturellen Förderung der Bürger zuwende, desto
mehr trete im Verhältnis von Bürger und Staat neben
das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheits-
sicherung vor dem Staat „die komplementäre Förderung
nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe an
staatlichen Leistungen“. „Das Freiheitsrecht wäre ohne
die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch nehmen
zu können, wertlos.”
Die grundrechtstheoretische Vorgabe des Urteils kul-
miniert in der Frage, ob in besonderen Fällen ein aus
den grundrechtlichen Wertentscheidungen und dem
Ausbildungsmonopol ableitbarer sozialstaatlicher Verfas-
sungsauftrag zur Bereitstellung ausreichender Ausbil-
dungskapazitäten in einen einklagbaren Individualan-
spruch des Bewerbers auf Schaffung von Studienplätzen
umschlagen könne. Bei „evidenter Verletzung jenes Ver-
fassungsauftrags”” wird ein derartiger Anspruch in Be-
tracht gezogen; aber obwohl zur Zeit der Entscheidung
nach Schätzungen etwa 70—80% aller Bewerber um einen
Studienplatz für Humanmedizin abgewiesen werden, konn-
te das Gericht keine evidente Verletzung des Verfassungs-
auftrags feststellen.
Das positive Anliegen der neuen Grundrechtslehre, die
von sozialreformerischem Geist getragene Effektivierung
der Grundrechte zur gerechten Verteilung von Lebens-
chancen, bleibt folgenlos, die für den Grundrechtsträger
negativen Folgen der Ummünzung des Freiheitsrechts in
ein Teilhaberecht unter Maßgabevorbehalt greifen voll
durch.
Die praktische Zurückhaltung des Bundesverfassungs-
gerichts ist trotz (oder gerade nach) der grundrechtstheo-
retischen Vorgabe dringend geboten. Der „Gefahr der
Beliebigkeit — begrenzt nur durch die Phantasie des jewei-
ligen Grundrechtsinterpreten 24)” — wäre Tür und Tor
geöffnet worden. So wäre auf den Gesetzgeber als Folge
der unvermeidlichen Anerkennung des Rechts auf die
Einrichtung neuer Krankenhaus- 25) bzw. Kindergarten-
plätze 26) die gerichtlich durchsetzbare Forderung nach
mehr Investitionen im medizinischen bzw. jugendpflege-
rischen Sektor zugekommen, beides natürlich zusätzlich
zu den erhöhten Investitionen im Hochschulbereich. Ent-
sprechende Forderungen an den Sozialen Wohnungsbau
zeichnen sich bereits ab 27).
Das Verblüffende an diesen Forderungen ist eigentlich,
daß ihre Verfechter, „progressive””, grundrechtspolitische
Ziele verfolgend, die als Aufgabe der Sozialpolitik durch-
aus zu begrüßen sind, durch die grundrechtliche MAbsi-
cherung konservative politische Forderungen als Grund-
rechtsgebote geradezu herausfordern. Im juristischen
Streit um die unternehmerische Mitbestimmung zeichnet
sich diese Tendenz bereits ab. Während „grundrechtlich
40
ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 27
legitimierte Mitbestimmungsforderungen“‘ der Arbeit-
nehmer 28) sich bereits zum „Grundrecht auf Mitbe-
stimmung‘ 29) verfestigt haben, beruft sich die Gegen-
meinung gerade auf das Eigentumsgrundrecht der Unter-
nehmer und Aktionäre, um ein verfassungsrechtliches
Verbot derartiger Forderungen festzustellen 30). H. We-
bers, aus der Interpretation zahlreicher Grundrechte ge-
wonnenes Postulat, das Grundgesetz gebiete die Förde-
rung des selbständigen, mittelständischen Unternehmer-
tums (= Personalgesellschaften) gegenüber den anony-
men Kapitalgesellschaften ist ein deutliches Beispiel 31).
Auch der zweite Einwand gegen die neue Grundrechts-
theorie läßt eine gewisse Kurzsichtigkeit ihrer Verfech-
ter erkennen. Es ist nicht Amt des politisch nicht verant-
wortlichen Richters, Grundrechte in originäre Leistungs-
anprüche umzumünzen. Er ursupiert damit die Rolle des
demokratisch gewählten Parlaments und trifft das Ver-
fassungsprinzip der Gewaltenteilung in seinem Kern. 32)
Däubler 36) nennt das Kind beim Namen mit seiner Hä-
berle zustimmenden Meinung, das Gerichtsverfahren er-
setze insoweit andere Formen der Mitbestimmung des
Bürgers über die staatliche Prioritätensetzung. Überra-
schend ist wiederum, daß ausgerechnet die Richter als
Vorhut „progressiver”” Grundrechtspolitik ausersehen
werden, obwohl in rechtssoziologischen Untersuchungen,
deren Autoren ein vergleichbar „progressives‘‘ Selbstver-
ständnis haben, wie die Verfechter der Teilhabelehre, die
Richter — ob zu Recht oder nicht, mag hier dahinstehen
— überwiegend als konservativ und autoritätsgläubig ein-
geschätzt werden.
Sätze wie „Über Leistungsrecht wird der Leistungs-
staat zum Grundrechtsstaat‘“ 37) — „Alle Grundrechte
sind Verfassungsziele, Grundrechtspflichten des Staa-
tes‘, „Leistungsstaat nach Maßgabe der Grundrechte ist
die Ausgangsthese”” 38) können nicht als falsch abgetan
werden; aber man kann über ihre Zweckmäßigkeit strei-
ten, und zwar gerade dann, wenn man die Verfassung
als historischen Kompromiß, aber offen für einen Wan-
del als Folge demokratischer-politischer Auseinander-
setzung, also als Prozeß versteht, insbesondere dann,
wenn man die Grenze zwischen Recht und Politik, zwi-
schen Verfassungsauslegung und Rechtspolitik nicht
ziehen kann, weil jede verfassungsgerichtliche Entschei-
dung als konstitutiver Verfassungsakt wegen der Aufgabe
des Verfassungsgerichts zur politischen Gestaltung eine
notwendig politische Entscheidung ist. Die hinter diesen
Sätzen stehende Verfassungstheorie macht zumindest
die Innenpolitik zur Vollziehung der Verfassung und
setzt sie so unter den besonderen Druck, im Fall des
nieht zeitigen oder anders als gewünschten Vollzugs als
Verfassungsverletzung gebranntmarkt zu werden 39).
Zwar kann auch nach herkömmlichem Verständnis we-
gen der Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung und
der Bindung des Verfassungsgebers an die Grundprinzi-
pien der Verfassung, alle Politik als Ausgestaltung dieses
Rahmens verstanden werden. Das Neuartige an der Hä-
berleschen Konzeption ist aber, daß sie „eine Stufe tiefer
schaltet”, indem sie die politisch brisante Auswahl zur