Halfmann/Zillich
Jaspar Halfmann/Clod Zillich
UNKRAUT VERGEHT NICHT
Modelle kreativer Selbsthilfe
Theorie-Material
Utopische Landschaft
Modelle für Gartensiedlungen am Beispiel des
Siedlungsbereiches Quickborn-Lübars/Berlin
2.1 Einleitung
2.2 Zur Chronologie des Projektes
2.3 Zusammenarbeit mit dem Siedlerverein Quickborn
2.3 Das Modell „Parksiedlung‘
2.41 Unterstützte Selbsthilfe
2.42 Selbstdarstellung der Siedler
2.43 Passagenkonzept
2.5 Die Wettbewerbsentscheidung
2.6 Das Quickborn-Modell
2.7 Die Studie
3. Straßenaktion Lübbenerstraße
Experiment zur Aneignung eines öffentlichen
Strassenraumes durch seine Bewohner
3.1 Der Ort
3.2 Das Thema
3.3 Die Ziele
3.4 Der konkrete Ausgangspunkt
3.5 Die Aktion
3.6 Auswertung und Perspektive
ha
Die folgenden Beiträge sind im Rahmen des Projektes HEI-
MAT KAPUTT -— Kreative Formen der Selbsthilfe zur Verbesse-
rung städtischen Wohnmilieus — (Halfmann, Wontroba, Zillich)
entstanden, das aus Anlaß des 25-jährigen Bestehens der Berliner
Festwochen und als Beitrag der Festwochen und des Künstlerhau-
ses Bethanien zum europäischen Denkmalschutzjahr in Form ei-
ner Ausstellung mit Aktionen im Stadtgebiet und einem Colloqui-
um der Öffentlichkeit vorgestellt worden ist.
Aktionsfelder waren drei typische Konfliktmilieus:
— ein altstädtisches Viertel (Straßenaktion — Lübbenerstr., Kreuz-
berg
ein Neubauviertel (Kommunikative Kinder- und Jugendein-
richtung „Wagenhurg‘ im Märkischen Viertel)
Stadtrandbereiche (Siedlungsgebiet Quickborn/Lübars und
Neuplanungsbereich Düppel-Nord/Sozialplanungsbude)
Die theoretischen Texte versuchen ein Kompendium
von Aspekten zum Verständnis des Projektansatzes dar-
zustellen. Eine fundierte, abgesicherte theoretische Arbeit
kann nicht Gegenstand dieses Projektes sein; es versucht
exemplarisch, in einem durch Theorie nicht abgesicherten
Gebiet zu experimentieren.
1. Theorie-Material
Zum europäischen Denkmalschutzjahr 1975:
In die allgemeine Manipulation sanktionierter Kultur-
güter ist das vermeintlich Unverschandelte unterdessen
einverleibt; auch bedeutende ältere Gebilde wurden durch
Rettung zerstört. Sie weigern sich der Restauration dessen,
' was sie einmal waren. Objektiv, nıcht erst im reflektieren-
den Bewußtsein lösen kraft ihrer eigenen Dynamik wech-
selnde Schichten von ihnen sich ab. Das jedoch stiftet eine
Tradition, der allein noch zu folgen wäre. Ihr Kriterium
x ist correspondance. Sie wirft, als neu Hervortretendes,
Licht aufs Gegenwärtige und empfängt vom Gegenwärti-
gen ihr Licht. Solche correspondance ist keine der Einfüh-
lung und unmittelbaren Verwandtschaft, sondern bedarf
der Distanz. Schlechter Traditionalismus scheidet vom
9Wahrheitsmoment der Tradition sich dadurch, daß er Di-
stanzen herabgesetzt, frevelnd nach Unwiederbringlichem
greift, während es beredt wird allein im Bewußtsein der
Unwiederbringlichkeit.
Theodor W. Adorno: Über Tradition, in: Ohne Leitbild
Frankfurt 1967
Der Prozeß Architektur hört nicht auf, indem ein Gebäu-
de fertiggestellt ist, er begreift Vergangenes und Zukünfti-
ges im Material seiner Sprache: Sedimentierte Geschichte,
deren Elemente konvulsivisch immer zu Neuem wieder auf-
getrieben werden im „Produktionsversuch menschlicher
Heimat“ (Bloch).
Der zwanghaften Vorstellung der Reinigung der Archi-
tektur von ihrer Vermischung mit malerischen, skulptur:
alen oder literarischen Bereichen, einem der erklärten
Ziele des Funktionalismus, gesellt sich die totale Ignoranz
gegenüber improvisierten, stillosen, spielerischen, unmittel-
baren Elementen von Architektur und damit den Interes-
sen der Benutzer.
Doch Architektur ist ein Medium — wie andere Medien
unbegrenzter Veränderungen des Ausdrucks fähig. Was
wir seit einiger Zeit erleben, ist die Wiederkehr des Ver-
drängten. Ins Blickfeld der Theorie gerät eine andere archi-
tektonische Praxis. Deren Extreme sind einerseits Disney-
land und Las Vegas, eine kommerzielle Architektur po-
pulärer Zeichen und Symbole und andererseits die squat-
ter-settlements, die illegalen Elendssiedlungen der 3.
Welt, eine Architektur, die unmittelbar von den Benut-
zern aus sozialer Not improvisiert wird.
Das Feld dieser Beispiele scheint weit gespannt und
ohne Bezug zu unseren Problemen.
Dennoch haben wir Zonen in unseren Städten, in de-
nen Aspekte von Disneyland und solche der squatter-
settlement unmittelbar miteinander verbunden als eine
kreative Einheit erscheinen: die Gartensiedlungen. In ih-
nen finden alle von der funktionalistischen Ideologie ver-
bannten Tendenzen ihren populären Ausdruck.
Nach selbstbewußter Maßgabe der unmittelbaren Interes-
sen der Bewohner wird hier stillos, oder in:allen Stilen
improvisiert und eine heitere Ignoranz gegen die Dogmen
der modernen Architektur praktiziert.
Die theorielose Subjektivität benutzt das Medium
Architektur uneingeschränkt: ornamentale, malerische,
plastische, symbolische Elemente fügen sich selbstver-
ständlich zueinander, als habe es die Verbote nie gege-
ben.
Was nun ist der strukturelle Hintergrund dieser Wieder-
kehr des Verdrängten; gegen welche Gesetze verstieß der
Funktionalismus, daß dies nun Alles gegen ihn sich erhebt?