Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (ab H. 28: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen) (1975, Jg. 7, H. 25-28)

Halfmann/Zillich 
Ein wichtiger Grund dafür ist sicher die Tendenz der voll- 
kommenen Ablösung vom Hintergrund aller Spielarten 
populärer Architektur, die immer die Basis architektoni- 
scher Sprache bildete. 
Ihre traditionalle Variante ist die Vernaculäre— oder 
Volksarchitektur, die noch bis in die Frühzeit der industrie- 
ellen Ära hinein 90% des Gebauten umfaßte (so noch heu- 
te in vielen Teilen der 3. Welt). 
Ihr Kennzeichen war die kollektive Evolution traditio- 
neller Typen oder Muster, die konstant reproduziert wur- 
den. Die Industrialisierung verdrängte diesen Typus, je- 
doch nicht das Bedürfnis nach unmittelbarem Ausdruck 
durch das Medium Architektur, nach Selbstbestimmung 
des Lebensraumes. 
Es entstand als kompensatorische Gegenbewegung 
gegen die Großstadt die Bewegung der Schrebergärtner 
und mit ihnen eine neue spontane,improvisierte Archi- 
tektur. 
In ihr überleben noch wesentliche Elemente der ver- 
naculären Architektur wie z.B. der Selbstbau auf der Ba- 
sis gegenseitiger Hilfe und das Motiv des Schmückens. 
Im Gegensatz zu der traditionalen ist jedoch die neue 
Kollektivität entsprechend der Auflösung verbindlicher 
Symbolbezüge gekennzeichnet durch einen Verfall tra- 
dierter Formen zugunsten eines großen Repertoirs von 
individuell interpretierten Elementen aus Märchen, 
Spielzeugwelt, Naturromantik, kommerzieller Clich&es 
und Konsumgadgets. Ein wesentliches Motiv ist das der 
Miniatur. So werden vor den Häusern dieselben noch- 
mal als kleine Häuser aufgebaut, als verkleinerte Model- 
le, es gibt Schlösser, Zwerge, Tiere — die Welt als Mini- 
atur, als Mikrokosmos. Die Techniken, die verwandt 
werden sind einmal das Recycling, das Prinzip der Wie- 
derverwertung von vorgefundenem Material oder Ele- 
menten (wie in den squatter-settlements): Fenster, Orna- 
mente, Balken — auch neues geshichtsloses Material — 
meistens aber Bruchstücke, fossile Zeugen der Geschich- 
te eines Individuums oder der Gesellschaft. 
Und zweitens das Prinzip des ‚,Cadavre Exquis“, das 
experimentielle, collageartige Zusammenfügen beliebi- 
ger Elemente, Proportionen, Bedeutungen — die alten 
Bedeutungen der Dinge werden transformiert im neuen 
Kontext. So entsteht oft ein Widerspruch zwischen der 
Geschichte der verwandten Elemente und der Intention 
des Projektes. Die eigentümlich faszinierenden Effekte, 
die derartiges Experimentieren zeitigt, wurden von den 
Surrealisten in den Begriff des hasard objectiv, des ob- 
jektiven Zufalls, gefaßt. Diese subversive, „wilde“ Archi- 
tektur und die Landschaft, mit der sie sich verbindet, 
scheint nach anderen Regeln zu wachsen, als denen der 
funktionalistischen Rationalität — und sie funktioniert 
besser als diese. Die kommunikative Struktur solcher Ge- 
biete ist vollkommen intakt, es herrscht ein solidarisches 
Klima gegenseitiger Hilfe und der Idendifikation mit 
dem Lebensraum, es existiert eine relative expressive Frei- 
heit, ein direkter Bezug zur Natur, Kinder und alte Men- 
schen, die in der funktionalistischen Welt als Störfakto- 
ren gewertet werden, leben hier gemäß dem spezifischen 
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Charakter ihrer Altersphase ein sich ergänzendes Leben, 
in ihrem Milieu. 
Wie können wir diese Welt der subversiven Architektur 
begreifen, was macht sie so verschieden vom Haupttrend 
zunserer Zivilisation? 
LeEvy-Strauss hat in seinem Buch „Das wilde Denken“ 
für die spezifische Art dieser Tätigkeit und dieses Den- 
kens (mit Bezug auf einen Patriarchen der subversiven 
Architektur, den Facteur Cheval) den Begriff „la logique 
du bricoleur“, die Logik des Bastlers, eingeführt (Claude 
Levy-Strauss: Das wilde Denken, Frankfurt 1968). 
Er vergleicht dieses Denken mit dem wilden Denken 
in totemistischen Gesellschaften und findet dieselbe 
Struktur einer archaischen Logik, die sich vom wissen- 
schaftlichen-rationalen Denken fundamental unterschei- 
det. Unter dem dünnen Firnis gesellschaftlich sanktio- 
nierter Logik finden wir das archaische Denken des 
Bricoleurs, das den Anfang und die Basis unseres Denkens 
bildet. Die Produkte der Bricolage, der Bastelei, seien sie 
mentaler oder konkreter Natur, sind durchdrungen vom 
Bewußtsein ihrer Unfertigkeit, der Wiederverwendbar- 
keit ihrer Elemente in anderem Kontext . So haben sie 
nicht Teil am Trauma des Verlusts, das die Welt techni- 
scher Rationalität prägt. Was in dieser verdrängt wird,
	        

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