Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (ab H. 28: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen) (1975, Jg. 7, H. 25-28)

Brake/Fassbinder/Petzinger 
Architekten gegenüber den Interessen der Bürgerinitiative 
Von diesen Problemen aber ist im Editorial nicht die Re- 
de; ebenfalls wird nicht herausgearbeitet, daß die politi- 
sierende Funktion einer Kooperation überhaupt nur da- 
rin gesehen werden kann, daß die Architekten ihr spe- 
zifisches fachliches Wissen zwar für alternative Pläne 
einsetzen, jedoch nicht, um allein sie zu realisieren, son- 
dern mehr als „konkrete Utopien“‘ in dem Sinne, daß da- 
mit Material für einen Prozeß vorhanden ist, der allen am 
Konflikt Beteiligten zur Vermittlung von Einsichten in 
die ökonomischen und politischen Zusammenhänge und 
in die Notwendigkeit und Möglichkeiten ihrer Verände- 
rung verhilft. 
Das Konzept der Kooperation muß darüberhinaus von 
den Einschränkungen ausgehen, die ihm allein schon 
durch die Auftraggeber und deren Interessen auferlegt 
werden. Von diesen Voraussetzungen kann aber erst in 
dem Maße abgesehen werden, wie deren Aufhebung ex- 
plizites Ziel der Entfaltung sozialistischer Politik selbst 
wird. Wie die Autoren nun auch sagen, fehlt aber in der 
BRD genau die soziale Basis, die dieses Konzept z.B. in 
Teilen Italiens in den Produktions-Genossenschaften 
hat, die gerade die Bereiche z.B. der Finanzierung, der 
Produktion und der Verwaltung von Wohnungen bereits 
als Organisationen der werktätigen Bevölkerung selbst 
betreiben. Dem bloßen Apell, daß es eben erforderlich 
sei, „eine vergleichbare soziale Basis zu schaffen‘‘ /S.8/, 
wäre jedoch der unerläßliche Hinweis auf die politische 
Substanz gerade dieser sozialen Basis in Italien hinzuzu- 
fügen: Initiativen in den Teilbereichen etwa der land- 
wirtschaftlichen Produktion, der Wohnungsversorgung 
etc. sind nicht zu trennen von der politischen Arbeit ih- 
rer Mitglieder in der sozialistischen bzw. kommunisti- 
schen Partei und in den Gewerkschaften. Damit steht 
die basisdemokratische Arbeit einschließlich ihrer Koope- 
ration mit weiteren Bereichen genau in einem politischen 
Kontext, der ihr die wesentlichen Perspektiven einer Po- 
litisierung auch erst vermitteln kann. 
Gegenüber der durchaus verbreiteten Konzeption, 
wie sie u.a. im Editorial vertreten wird, die sich für poli- 
tische Arbeit ergeben, wenn sie von der adäquaten so- 
zialen Basis absieht, d.h. vom Zusammenhang der Ent- 
wicklung einer klaren politischen Perspektive angesichts 
von Einstellungen, die aus ökonomischen Gründen (s.o) 
notwendigerweise erst einmal nur höchst allgemein anti- 
kapitalistisch sind. Wird nun nicht energisch genug auf 
diese soziale Basis hingewirkt, so stellt sich die Frage, ob 
denn realistisch angenommen werden kann, daß sich so- 
zialistische Politik als Perspektive einer Politisierung von 
Architekten und Planern tatsächlich im Rahmen einer 
Kooperation mit klassenanalytisch unspezifischen Bür- 
gerinitiativen, d.h. „von selbst‘“ ergeben kann? Diese 
Möglichkeit bleibt ja allein denkbar, solange die bestehen- 
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den Ansätze organisierter Arbeiterbewegung in der BRD 
in diesem Zusammenhang ganz einfach als irrelevant ab- 
getan werden, indem sie zugunsten einer — in ihrem po- 
litischen Potential eben überhaupt nicht ausgewiesenen 
— Basisbewegung abgewertet wird: „Hier und jetzt eine 
Interessenvertretung im ‘Reproduktionsbereich‘ allein 
durch die Gewerkschaften zu postulieren, würde auf 
eine bloß formal-organisatorische Vereinheitlichung der 
Interessenvertretung zielen, welche real hinter das von 
basisdemokratischen Initiativen erreichte politische Ni- 
veau zurückfallen müßte. /S. 4/ Genau hiernach sollen 
also dem historischen Stand von Klassenbewußtsein und 
der entsprechend organisierten Arbeiterbewegung die po- 
litische Einsichten entgegengehalten werden, zu der Intel- 
lektuelle zwar fähig sind, die aber — der Gewerkschafts- 
arbeit aufgesetzt — deren Basis, die immer auf der jewei- 
ligen Entwicklungsstufe nur vereinheitlichte ist, zu zer- 
stören droht. 
Was aber bedeutet das dann letztlich, handelt es sich 
doch um ein Konzept der Politisierung speziell derjeni- 
gen Architekten und Planer, die noch nicht lohnabhän- 
gig arbeiten? Die Einsicht in die Konsequenzen bleibt 
im Editorial dadurch verwehrt, daß eben auf eine klas- 
senanalytische Bestimmung dieses Potentials der sozia- 
len Bewegung verzichtet wird: sie als Kleinproduzen- 
ten, befangen im Prozeß der einfachen Warenzirkula- 
tion zu erkennen, würde ja erst erklären können, wa- 
rum sie genau dazu neigen, einerseits die Produkte ihrer 
Arbeit als den Angelpunkt der „politischen Identitäts- 
findung“ zu begreifen, und andererseits in besonderer 
Weise dem Schein von Freiheit und Gleichheit anheim- 
zufallen, worin sie die Durchsetzung ihrer ökonomischen 
Interessen gut aufgehoben wähnen und woraus sich ihr 
politisches Interesse gegenüber den Produktionsverhält- 
nissen als kapitalistischen und in der politischen Form 
der bürgerlichen Demokratie nährt. Und damit würde 
dann auch die Grenze noch einmal ganz deutlich werden, 
welche die Strategie des Anknüpfens an den Arbeitsin- 
halten für den Prozeß der Herausbildung von Klassenbe- 
wußtsein eben beinhalten kann. Zwar resultieren auch 
für diese Zwischenschichten die Möglichkeiten des sozi- 
alistischen Kampfes aus ihrem Widerspruch zum, d.h. 
der drohenden Subsumtion ihrer Tätigkeit unter das Ka- 
pital; jedoch an der Erhaltung ihrer besonderen Lebens- 
umstände (etwa der Selbstverwirklichung) orientiert, 
reicht dieses Engagement „von selbst‘ eben auch nur so- 
weit, wie genau dies noch garantiert erscheint. Das zeigen 
z.B. die Aktionen holländischer Binnerschiffer, franzö- 
sischer Weinbauern, der Ärzte in Chile, von Bauern in 
der BRD. Ohne eine spezifische Bündnispolitik können 
aus potentiellen Bündnispartnern für den Aufbau des So- 
zialismus auch seine Totengräber werden. 
BEI UMZUG NEUE ADRESSE ANGEBEN !—
	        
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