Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (ab H. 28: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen) (1975, Jg. 7, H. 25-28)

Saite 
Seite 4 
an Aa 
lohnen im Stollwere! 
Neue Pläne für das Severinsviertel: 
Stollwerck wird umgebaut 
In aller Eile und Heimlichkeit (damit nur ja keiner spekulieren kann), 
hat die Verwaltung der Stadt Köln im letzten Jahr die vorbereitenden 
Untersuchungen nach Städtebauförderungsgesetz für das Stollwerck- 
Gelände durchgeführt. Die Bewohner der Annostraße wurden befragt, 
(die Stollwerck-Arbeiter hat man dabei "vergessen") ein Bericht wurde 
geschrieben, vom Regierungspräsidenten genehmigt und damit das Stoll- 
werck-Gelände zum Sanierungsgebiet erklärt. 
und was der Mensch mit viel Geld 
und Zeit sonst noch braucht, wer- 
den die alteingesessenen Händler 
und Wirte vertreiben. Mit anderen 
Worten: mit der Vertreibung der 
Leute, die das Leben im Viertel 
ausmachen,wi rd das Severinsvier- 
tel sterben 
fallt der Groschen, wenn er 
siehtwie die Baukosten in die 
Höhe gehen und wie Neubauwoh- 
nungen nicht mehr vermietet wer- 
den können, weil sie zu teuer 
sind. Der Gedanke, daß Fabri- 
ken, Speicher oder auch Kirchen 
eine neue Bestimmung erhalten 
können, ist nicht neu. In San 
Francisco wurde eine alte Kon- 
servenfabrik in ein Zentrum mit 
Kneipen, Straßen, Treppen, 
Arkaden und Balkonen umgebaut. 
In Kopenhagen werden alte 
Speicher zu Hotels umgebaut. 
Ebenso könnten die Stollwerck- 
Gebäude zum Wohnen, arbeiten 
und leben neu genutzt werden. 
Immerhin sind diese Gebäude 
zum großen Teil Neubauten. 
Der Abbruch von Stollwerck 
(Kosten zwischen 1,5 und 2 
Millionen) und Neubau auf diesem 
Gelände würden zu Mieten führen, 
die für die jetzigen Bewohner des 
Viertels untragbar wären. 
Ziel dieses ungewohnten Eifers 
der Verwaltung war, mit der Er- 
klärung zum Sanierungsgebiet 
der Stadt ein Vorkaufsrecht zur 
sichern und Städtebauförderungs- 
mittel also Geld vom Bund bean- 
tragen zu können. Diese Mittel 
sind vorgesehen, um finanzielle 
Hilfe bei der Umlegung von Be- 
trieben zu gewähren oder Grund- 
stücke zu kaufen, die für die Sa- 
nierung notwendig sind. 
Rüger will das Grundstück selbst 
bebauen, weil er dadurch weit 
mehr Profit herausholen kann. 
So ist Rüger bereits bei Oberstadt 
direktor Mohnen vorstellig gewor- 
den, um sich als "Sanierungsträ- 
ger" anzubieten. 
.„.es gibt zwar Gesetze... 
Bevor aber nun den wackeren 
Volksvertretern vor Verzweif- 
lung das Wasser in die Augen 
schießt und sie anfangen den 
bösen "Sachzwängen" die Schuld 
in die Schuhe zu schieben, soll- 
ten sie wenigstens die, wenn auch 
geringen, Möglichkeiten des 
Städtebauförderungsgesetzes 
ausschöpfen. Nach diesem, für 
das Stollwerck-Gelände gelten- 
den Gesetz muß die Stadt jetzt 
für dieses' Gebiet einen Bebau- 
wngplan aufstellen ($ 10). In dem 
Bebauungsplan, der vom Rat be- 
schlossen wird, kann sie verbind- 
lich festlegen, wie das Gelände 
genutzt wird, z.B. für: "Sozial- 
wohnungen, nichtstörendes Klein- 
gewerbe, Kindergärten, Schuler- 
weiterung". Sie kann bestimmen, 
daß die brauchbaren Gebäude nicht 
abgebrochen werden, sondern für 
die Schaffung kostengünstiger 
Wohnungen, soziale Einrichtungen 
und Gewerbeflächen erhalten wer- 
den. 
Mit Hilfe des "Baugebots", ($ 20 
Städtebauförderungsgesetzes) 
kann die Gemeinde verlangen, daß 
der Eigentümer "ein vorhandenes 
Gebäude oder eine sonstige bau- 
liche Anlage den Festsetzungen 
des Bebauungsplanes anpaßt", 
Kommt Rüger als Eigentümer des 
Grundstücks diesem Baugebot nich 
nach, weil eine solche an den 
Bedürfnissen der Bewohner orien- 
tierte Nutzung ihm zu wenig Profit 
bringt, dann muß er das Grund- 
stück an denjenigen verkaufen, 
der den Bebauungsplan durchfüh- 
ren will oder die Stadt muß ihn 
nach $ 20.3 enteignen, um den Be- 
bauungsplan durchzusetzen. 
Sollten die Verhandlungen mit 
Rüger über die Bebauung des 
Stollwerck-Geländes ebenso hin- 
ter verschlossenen Türen geführt 
werden, wie seinerzeit mit Im- 
hoff, so wird es allein der Ver- 
handlungsführung des Oberstadt- 
direktors zu verdanken sein, wenn 
auch Rüger zu seinem Profit kommt 
und die Stadt mal wieder in die 
Röhre guckt. 
Imhoff sahnt ab 
Für die Umlegung des Stoll- 
werck-Betriebs nach Porz (Volks- 
blatt berichtete im Dezember) hat 
Mehrheitsaktionär Imhoff dem Ober- 
stadtdirektor und Stollwerck-Klein 
aktionär Mohnen 10 Millionen Mark 
Förderungsmittel abgehandelt. Als 
Gegenleistung sollte Imhoff der 
Stadt das Grundstück verkaufen. 
Doch kurz bevor das Stollwerck- 
Gelände - die Stadt hätte dann 
das Verkaufsrecht gehabt - zum 
Sanierungsgebiet am 3, Oktober 
1974 erklärt wurde, verkaufte 
Imhoff, die 10 Millionen Umle- 
gungsmittel bereits in der Tasche, 
das Grundstück für knapp 49 Milli- 
onen an das Immobilienunternehmer 
Dr. Rüger. Rüger bietet 9 Milli- 
onen mehr als die Stadt für das 
Gelände zahlen wollte. Stoll- 
werckaktionäre - unter ihnen 
Oberstadtdirektor Mohnen - freuen 
sich: Die Täuschung der Stadt und 
der rasche Griff in die Stadtkasse 
sind bares Geld (als Dividende). 
Severinsviertel für die 
Reichen... 
Der Traum von "Sozialwohnungen 
nicht störenden Kleinbetrieben, 
Kindergärten, Schulerweiterung" 
(so zu lesen in einem Flugblatt 
der SPD Köln-Süd gegen die 
"Panikmacher") auf dem Stoll- 
werck-Gelände ist dann endgül- 
tig ausgeträumt, Billiger Er- 
atzwohnraum für diejenigen, ı 
Würde man die vorhandene 
Bausubstanz dagegen ausbauen, 
könnte man gemeinsam mit den 
zukünftigen Mietern Wohnungen 
planen, die ihren Wünschen und 
Geldbeuteln angepaßt sind - und 
nicht den Geldsäcken der Profit- 
macher. 
Rüger steigt ein 
Aber was der trickreiche Stoll- 
werck-Boß Imhoff kann, wenn es 
um den Profit geht, das kann Det- 
lev Renatus Rüger schon lange. 
Kaum hat er das Grundstück, 
schließt er mit einer gewissen 
Auto-Union in Saarbrücken, die 
über Schweizer Banken wieder 
mit Rüger verbunden ist, einen 
langfristigen Mietvertrag ab. Die 
Auto-Union sall fast eine 1/2 Mi 1li 
on Miete monatlich für die Gebäude 
zahlen, so behauptet Rüger. Woll- 
te die Stadt das durch den Ver- 
kauf an Rüger bereits 9 Millionen 
teurer gewordene Grundstück nun 
kaufen, müßte sie noch einmal ein 
paar Millionen an Entschädigungs- 
geldern für die Ablösung des Miet- 
vertrages draufzahlen. 
Aber Rüger hat das Grundstück 
nicht gekauft, um es für eim paar 
lumpige Entschädigungsmillionen 
wieder an die Stadt zu verkaufen. 
In Kopenhagen wurde ein La- 
gerhaus am Hafen in ein Hotel 
umgebaut. 
‚.. aber auf die 
Volksvertreter ist kein 
Verlaß 
Leider beweist die bisherige 
Praxis der Sanierung, daß die 
Bedürfnisse der Bewohner über- 
haupt niemanden interessieren, 
wichtig scheint lediglich, wieviel 
Profit die Kölner Klüngel-Promi- 
nenz aus der Sanierung des Stoll- 
werck-Geländes herausschlagen 
kann. Das bedeutet, daß die Be- 
wohner des Severinsviertels und 
die an einer dem Viertel gerechten 
Nutzung des Stollwerck-Geländes 
interessierten Gruppen die Sache 
selbst in die Hand nehmen müssen. 
Billige Wohnungen durch 
Selbsthilfe 
Um die Mietkosten niedrig zu hal- 
ten, wäre denkbar, daß die Woh- 
nungen nur bis zu einem gewissen 
Grad ausgebaut würden (Trennwän- 
de, Fenster, Installationsanschlüs: 
se). Die Mieter - im Viertel woh- 
nen sehr viele Arbeiter und Hand- 
werker können Restausbau je nach 
Anspruch und Möglichkeiten selbst 
durchführen. Die eingebrachte 
Arbeitsleistung wird von der Mie- 
te abgezogen; beim Auszug könn- 
ten Einrichtungen, die man selbst 
installiert hat , abgegolten werden 
Wenn man das Ganze genossen- 
In San Franzisko wurde eine 
Konservenfabrik in ein Zentrum 
mit Straßen, Arkaden, Geschäf- 
ten und Restaurants umgebaut. 
die aus ihren Altbauwohnungen 
ausziehen müssen, aber im an- 
gestammten Viertel bleiben wol- 
ten, wird es im Dr. Rüger-Wohn- 
Park nicht geben. Die Luxus- 
Apartmenthäuser mit "repräsen- 
tativer Eingangshalle mit Club- 
garnituren, mit Schwimmbad, 
Sauna, Solarium’ und Party-Raum 
im 31. Geschoß" mit Blick auf den 
Yachthafen werden zahlungskräf- 
tigen Eigentümermund Mietern 
vorbehalten bleiben, die sich 
in ihren Einfamilienbungalows 
im Grünen langweilen und es 
chie finden, sich im Severins- 
viertel eine Zweitwohnung zu 
leisten 
Als Anstoß zur Bildung einer 
solchen Initiative hat die Kölner 
Architektengruppe dt 8 ein Schau- 
bild von einer Nutzung des 
Stollwerck-Komplexes gezeich- 
net, die sich an den Bedürfnissen 
und Möglichkeiten der Bewohner 
orientieren soll. Ausgangspunkt 
der Überlegung ist,die zum großeı 
Teil intakten Gebäude nicht abzu- 
reißen, sondern durch entspre- 
chenden Ausbau neu nutzbar zu 
machen. Der Abbruch solcher 
Gebäude, vor allem wenn sie 
gewerblich genutzt würden, war 
für Verwaltung und Planer bis- 
her die einzig denkbare Losung, 
um neues Bauland zu schaffen, 
Doch bei dem einen öder anderen 
oIKSBlatt: 
5 Köln ı 
Hohenzollernring 97 
Telefon 52 97 94 
.. die Bewohner können 
die Koffer packen... 
Aber nicht genug.damit. Die hoher 
Mieten im Rüger-Wohn-Park werder 
ihren Einfluß auf die sogenannte 
Vergleichsmiete im Viertel haben: 
Ardere Hausbesitzer bekommen so 
die Möglichkeit, ganz legal ihre 
Mieten anzuheben, Die alten Mieter 
werden auf die Dauer ausziehen 
müssen, um finanzstarkeren Mie- 
tern Platz zu machen. Ebenso wird 
der Mietpreis für Gewerbe- und Ge 
schaftsflächen ansteigen. Kleine 
Betriebe, die wenig Platz haben, 
in Hinterhöfen oder’in mehreren 
Stockwerken übereinander arbei- 
ten müssen , können Mieterhöhunger 
nicht auffangen, Die Wünsche der 
neuen Bewohner beeinflussen das 
Warenaängebot: Tante-Emma- Läden 
werden diese Kunden kaum zufrie- 
denstellen können, Boutiquen, De- 
likateßgeschäfte, teure Restaurants 
Kine Zeitung in Köln, 
die über Bürgerinitia- 
tiven, Stadtteilgruppen, 
Mieterräte, Kinderläden, 
Frauengruppen, Jugend- 
zentren, Gastarbeiter- 
vertretungen, Betriebs- 
und Gewerkschaftsgrup- 
pen, Jugend- und Schü- 
lergruppen und viele meh] 
berichtet und über ihre 
Interessen informiert, 
Ich abonniere Volks- 
blatt für 12 DM jährlich 
(12 Ausgaben im Jahr). 
STOLLWERCK IN ZAHLEN 
- 70 % der Gebäude wurden zwi- 
schen 1950 und 1960 gebaut. 
- etwa 400 Wohnungen mit durch- 
schnittlich 100 qm kann man in + 
auf den Gebäuden schaffen, 
- für Gewerbe und öffentliche Ein 
richtungen blieben 23000 qm, 
- für Freiflächen auf Höfen + Ge- 
bäuden ständen 30000 qm bereit. 
- in einer Tiefgarage an der Bay- 
enstraße können etwa 800 Pkw. 
| untergebracht werden. 
Oktober 1975 
schaftlich organisiert, ist es 
gewährleistet, die Mietpreisent- 
wicklung und die Nutzung selbst 
zu kontrollierer 
Arbeit für kleine Betriebe 
Die Durchführung eines solchen 
abgestuften Ausbauprozesses, der 
die Bedürfnisse und finanziellen 
Möglichkeiten der Mieter berück- 
sichtigt, ist für Großunternehmen 
unrentabel. Für die Handwerks- 
betriebe im Viertel dagegen wür- 
de ausreichend Arbeit geschaffen, 
Sie müßten sich zu Ausbaukolon- 
nen zusammenschließen, um so 
einen rationellen, zeitlich gut 
abgestimmten und damit preis- 
günstigen Ausbau durchzuführen. 
Mieter planen selbst 
Bedürfnisgerechte Wohnungen 
kann man nur schaffen, wenn die 
Mieter selbst entscheiden, wie 
ihre Wohnungen aussehen sollen. 
Für die Beteiligung der Mieter an 
der Planung bietet der Stollwerck 
Komplex ideale Voraussetzungen. 
Die Hülle ist bereits vorhanden 
und daher kann sich der Einzelne 
eine Füllung viel leichter vorstel- 
len. Wohnungsmöglichkeiten könn- 
ten ausprobiert werden, indem sie 
modellhaft in kleinen Maßstab in 
einem der Gebäude aufgebaut und 
verändert werden. Die zukünfti- 
gen Mieter würden auch über die 
Erschließung, die Gemeinschafts- 
fMächen im Haus und die Nutzung 
der Hofflächen entscheiden können 
Die Beteiligung hilft so nicht nur 
Fehlplanungen zu vermeiden, 
sondern bewirkt auch ein Verant- 
wortungsgefühl der Beteiligten 
für das. was sie mitgeplant haben. 
Beispiel Hamburg 
In dem Neubaugebiet Hamburg- 
Steilshoop hat eine Mieterge- 
meinschaft zusammen mit dem 
Architekten 35 verschiedene 
Wohnungen in 6 Wohnetagen ge- 
plant. Ursprünglich waren 75 
herkömmliche Sozialwohnungen 
vorgesehen. Die Mieter machten 
daraus.17 Gemeinschaftswoh- 
nungen urd 18 Normalwohnungen 
Anstelle von 75 Küchen wurden 
durch gemeinschaftliche Benut- 
zung nur 39 Küchen benötigt. 
Die eingesparte Fläche wurde 
für Gemeinschaftsräume und 
Kindergärten verwendet. 
Was aus Stollwerck alles 
gemacht werden kann 
Um eine Vorstellung davon zu 
vermitteln, was man mit dem 
Stollwerckgebäude alles machen 
kann, hat die Architektengruppe 
ein Plakat angefertigt, das in 
der Südstadt geklebt wird. 
Es ist als Anregung zur Diskussi- 
on gedacht und nicht etwa als 
fertiger Entwurf. Einmal soll 
darauf hingewiesen werden, daß 
es sich beim Stollwerck-Komplex 
um wertvolle Bausubstanz han- 
delt, die man nicht einfach ver- 
schleudern darf. Zum anderen 
soll gezeigt werden, daß die 
gesamte Anlage von den Stand-
	        
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