Full text: ARCH+ : Studienhefte für Planungspraxis und Planungstheorie (ab H. 28: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen) (1975, Jg. 7, H. 25-28)

Oktober 1975 
KölnerVolksBlatt: 
Seite 5 
Mitte November ıst es soweit: die ersten Produktionsbereiche der Fe 
Stollwerck ziehen um nach Porz und die nächsten Arbeiter und Ange 
stellten fliegen auf die Straße, Das war ja der Haupt zweck der Um 
siedlung der alten Firma, die fast ein Jahrhundertlang Schokolade 
im Severinsviertel gekocht hatte: Belegschaft und Produktion wer- 
den rationalisiert, um mehr Profite zu machen. Ende September 
hat der Herr über Stollwerck, Hans Imhoff, dem noch eine Reihe . 
weiterer Betriebe der Süßwarenbranche gehören, 50 neue Entlas- 
sungen angekündigt. Der Betriebsrat hat zwar nicht zugestimmt, ab- 
?r was nützt das schon, Die Leute werden mit einem mageren Sozi- 
alplan abgefunden ( auf den der Betriebsrat Imhoff auch erst nach 
‘angem Hin und Her festnageln konnte ) und sitzen auf der Straße, 
Imhoff hat ja Erfahrung mit sowas, was vornehm "Freistellung" ge- 
nannt wird. So drückte er vom Frühjahr 1972, nachdem er das alte 
Familienunternehmen in die Hand bekam, bis zum Oktober 1974 von 
1808 auf knapp 900; und,seitdem nochmal um 20 % auf rund 700. Zu- 
gleich wurde.die Arbeitsleistung der verbliebenen Arbeiter und An- 
gestellten heraufgeschraubt. 
Aber das genügt Imhoff noch nich, Als das VolksBlatt im letzten 
November seine damals noch nicht öffentlich bekannten Pläne auf- 
deckte, behaupteten wir: er geht nur mit wenigen Hundert Leuten 
nach Porz. Genau so kommt es, Die jetzt anstehenden 50 neuen 
Entlassungen sind nicht die letzten. Am Ende bleiben nicht mehr als 
200 -400 Arbeitsplätze übrig. Unsere zweite Behauptung damals: 
wesentliche Produktionsbereiche werden ausgelagert, weil Imhoff 
anderswo profitabler produzieren lassen kann. So kommt es: die 
Grundmassenproduktion macht kün ftig Imhoffs berliner Firma Hilde 
brand und die Schokoladentafelherstellung geht in sn Werk nach 
Bullay. Imhoff verfolgt damit eine genau abgestimmte Strategie in 
seinem Süßwarenimperium. Nur die Zeche zahlt, wie so oft, der 
Arbeiter und Angestellte. Denn die Übriggebliebenen müssen jetzt 
mehr arbeiten und härter. Hauptsache die Kasse stimmt 
Wenn es nach dem Willen der Bürger geht, wird's bald sehr lebendig zwischen Bottmühl- 
und Stollwerck zugehı 
orten, Abständen, der Konstruk- 
tion und den Geschoßhöhen der 
Gebäude für eine Wohnnutzung 
geeignet ist. 
So könnten in den Oberge- 
schossen Wohnungen für große 
und kleine Familien, für junge 
und alte Leute, mit großen Bal- 
kons und Loggien entstehen, Ein 
Teil dieser Wohnungen könnte 
von denen benutzt werden, die 
vorübergehend ihre alte Wohnung 
wegen Modernisierungsmaßnahmen 
verlassen müssen. Auf den Dä- 
chern wären "Reihen-Einfamilien- 
häuser" mit Terrassen sowie 
Sonnendecks, Erholungsräume 
und Dachgärten für alle Bewohner 
und Besucher denkbar. (3,4) 
Das Erdgeschoß könnte für Lä- 
den, Praxen, Büros, Kneipen 
und anderes Kleingewerbe ge- 
nutzt werden. Hier könnten auch 
die Gemeinschaftsräume, Kinder- 
spielräume, Werkräume, Alten- 
Clubräume und Versammlungsräum 
für die Hausbewohner eingerichtet 
werden (6,7) Die Hallen könnten 
für Bürger- und Jugendzentrum, 
Stadtteilkantine, Sporträume und 
Ateliers, Schule und Kindergar- 
ten ausgebaut werden (9). Auch 
für nicht störendes Gewerbe wie 
z.B. Druckereien, gäbe es hier 
ideale Flächen. (10) Die Höfe 
könnten zu großen und kleinen 
Plätzen, verkehrsfreien Ein- 
kaufs-, Wohn- und Spielstraßen 
mit vielen Bäumen, Bänken und 
Brunnen umgestaltet werden (11). 
Dies sind nur einige der vielen 
Möglichkeiten. 
wohnern selbst bestimmt werden. 
Damit das aber möglich wird, muß 
man sich zusammenschließen: Die 
Bewohner des Severinsviertels 
sowie alle, die daran interessiert 
sind, daß der Stollwerck-Komplex 
für jedermann erschwinglich ge- 
nutzt wird. Vor allem aber die, 
die sich am Ausbau beteiligen 
wollen, um dort zu wohnen oder 
zu arbeiten, 
Erfolg, wenn überhaupt, kann 
eine solche Initiative nur haben, 
wenn sie sich auf eine breite 
Basis stützen kann. Ende Okto- 
ber ist deshalb eine erste öffent- 
liche Versammlung im Viertel ge- 
plant. Wer mehr wissen möchte, 
füllt die beiliegende Postkarte 
aus oder ruft einfach an: 
Bürgerinitiative Südliche 
Altstadt, 2 Köln 1 
Ubierring 61 a 
Tel. 316925/ 321057 
Wie die Stadt und die Firma Ingesta ihre Interessen gESL 
Die Kölner mögen das Severinsviertel, seineBewohner hängen dran. tete in Walsum, Ergebais: Ein Kar- 
"Hier sind die Leute offen und kontaktfreudig. Hier bist Du nie allein, stadt-Bau. Ingesta gutachtete in 
Du bist Mitglied in einer großen Familie", sagt ein Alteingesessener, Rheinhausen, Ergebnis: Ein Kar- 
Das soll bald anders werden: Wie Köln überhaupt, sosoll auch das st adt-Bau, Zur Zeit gutachtet In- 
Severinsviertel nicht dafür dasein, daß man sich kennt, sich wohl fühlt gesta unter anderem in Godesberg 
einander hilft, miteinander arbeitet. Es soll Teil einer Stadt sein, Und im Severinsviertel. Ungefähr 
die in erster Linie Geld bringt. Hier soll es nicht menschlich, son- jeder zweite Auftrag befaßt sich 
dern rentabel zugehen. Das sind die Pläne einer Minderheit, die recht mit Untersuchungen solcher Art. 
viel Macht und Einfluß hat - solange die Kölner das zulassen. Wer wird hier "saniert"? 
Daß ein solches Institut kein Inte- 
resse an einer intensiven Öffent- 
lichkeitsarbeit hat und die Mitbe- 
stimmungswünsche der Bevölke- 
rung nicht gerade fördert, kann 
man behaupten, ohne Profet zu 
sein. 
die dort Beschäftigten sollen mög- 
lichst frühzeitig informiert werden 
Dies gilt sowohl während der vor- 
bereitenden Un tersuchung, der 
Erstellung des Sozialplans, als 
auch der Frage der Neugestaltung, 
Nach den Vorstellungen der Köl- 
ner Verwaltung soll dieser Beirat 
nur "beratend mitwirken” können. 
Dies kann durch Empfehlungen und 
Anregungen an Rat und Verwaltung 
sowie durch Anhörung geschehen," 
Somit bleibt dem Beirat keine Ent- 
Scheidungsmöglichkeit. Sie ist dem 
Stadtrat vorbehalten 
Was die Stadt sagt 
Man freut sich, wenn man hört und 
liest, was die Stadt sagt: "Die 
Stadt"- gemeint sind ihre Bürger- 
meister, Ratsherren, Verwaltungs: 
spitzen, - will, daß das Severins- 
viertel seine historische Eigenart, 
seinen gewachsenen Charakter be- 
halten soll , daß nichts ohne die 
Zustimmung der Bürger geschehen 
wird, Deshalb findet eine Befragung 
der Bürger statt, um sich nach de- 
ren Wünschen zu erkundigen, So 
bekommt man den Eindruck, daß die 
Sache der Stadt die Sache ihrer 
Bürger ist, Aber wie so oft: Zwi- 
schen dem, was einer sagt und dem 
was einer eigentlich will, klafft 
nicht selten ein Unterschied, 
Was die Stadt will 
Die Stadt steckt in einer Finanz- 
misere. Das wissen wir, Das sagt 
sie selbst. Also will die Stadt 
sparen - und neue Geldquellen an- 
zapfen. Beides ist gleichzeitig 
möglich. Man lässt im Severins- 
viertel - so wie es zum Beispiel in 
Nippes Stück für Stück geschieht - 
möglichst viel Handel und Gewerbe 
ansiedeln, zum Beispiel teuren 
Einzelhandel und Kaufhäuser mit 
viel Umsatz, Das kostet die Stadt 
ınicht viel, bringt aber Steuern ein 
Soll im Viertel viel und teuer ver- 
kauft werden (die Stadt nennt das 
"Steigerung der wirtschaftlichen 
Aktivität), so müssen dort Leute 
wohnen, die viel und teuer kaufen 
können. 
Die jetzigen Bewohner kommen 
dafür nur zu einem geringen Teil 
infrage. Deshalb müssen kaufkräf. 
tige Bewohner angelockt werden, 
Will man die anlocken, muß der 
"Wohn- und Freizeitwert" gestei- 
gert werden. Um dies zu errei- 
chen, muß viel gebaut werden. 
Wird viel gebaut, kommt das der 
städtischen Baugesellschaft GAG 
und der Kölner Bauindustrie zu- 
gute. Über Steuern hat die Stadt- 
kasse Anteil an all solchem Hande) 
und Wandel. Höhere Steuereinnah- 
men bringen der Stadt mehr finan- 
ziellen Spielraum für Prestige- 
Vorhaben. 
In solchen Plänen und Spekulatio 
nen scheinen die Bewohner des Se- 
verinsviertels keine entscheidende 
Rolle zu spielen, Was macht man 
mit ihnen, wenn ihre Anwesenheit 
die Pläne stören. Um darüber und 
über einiges andere Aufschluß zu 
bekommen, beginnt in diesem Mo- 
nat die Befragung der Bewohner, 
Dafür hat die Stadt einen Partner 
gesucht und gefunden : die Firma 
Ingesta 
Was die Ingesta sagt 
Der Leiter der Ingesta-Befragung 
im Severinsviertel warnt in einem 
Aufsatz in der Zeitschrift "Der 
Städtetag" (Nr 8/75) davor, daß 
durch Sanierung die Bewohner 
ihre vertraute räumliche und sozi- 
ale Umgebung verlieren, Will also 
die.Ingesta erhalten, was der ober 
zitierte Mann aus dem Severins- 
viertel so lobt: "Hier bist Du nie 
allein... "? Aber auch bei der In- 
gesta ist zwischen dem, was sie 
sagt, und dem was sie will, ein 
nicht zu übersehender Unterschier 
Um genaueres zu erfahren, hat 
VolksBlatt sich bemüht, Näheres 
über Ingesta und den Hintergrund 
der Gesellschaft zu erkunden. 
. . 
Die Bürger können es 
verhindern 
An diesem Punkt wehren sich die 
Betroffenen. Sie organisieren ihre 
Interessen, Doch beginnen hier 
auch die Schwierigkeiten, Wie kann 
man als Einzelner die Bedürfnisse 
und Forderungen eines ganzen 
Viertels kennenlernen? Dazu müs- 
sen sich erst mal die Bewohner 
eines Wohnblocks zusammensetzen 
und gemeinsam die Mängel in ihren 
Wohnungen und Häusern zusammen- 
tragen, Aus diesen Mängeln müßten 
dann die Forderungen an die Sanie- 
rung hervorgehen. In welche Woh- 
nungen eine Toilette oder ein Bad 
soll, wo neue Fenster eingebaut 
werden müssen, welche Wohnungen 
stärkere elektrische Leitungen 
brauchen, Aber auch Fragen wie: 
Ist zu viel Verkehr in der StraL. 
Sind für Kinder genügend Bolz- 
und Spielplätze vorhanden? Machen 
in den Innenhöfen die Firmen zu 
viel Lärm oder Dreck? Kann man 
aus einem Innenhof einen Spielplatz 
mit Bäumen und Wiese machen, wenr 
die Hofmauern und Zäune abgeris- 
sen werden? 
Die Bewohner eines Blocks, aber 
auch die Händler und Firmen und 
deren Arbeiter könnten gemeinsam 
einen eigenen Sanierungsplan auf- 
stellen wie jetzt einer fürs Stoll- 
werckgelände vorliegt. In den ein- 
zelnen Blocks könnten die Bewohne: 
eigene Sanierurgsräte bilden, Man 
könnte so die für die Bewohner not- 
wendigen und erschwinglichen Er- 
neuerungen selbst planen. Die Block 
räte könnten sich gegenseitig unter- 
stützen, Planungen absprechen und 
eines Tages sogar gemeinsam in 
die Tat umsetzen. 
Immerhin wären die Blockräte ja 
im Viertel die gro“e Mehrheit, Ei- 
ne Mehrheit, die die Zerstörung 
des Severinsviertels verhindern 
kann, Das übrige Köln könnte da- 
raus lernen 
vr- 
Interessengemeinschafl 
bilden 
Was endgültig aus Stollwerck 
gemacht wird, muß von den Be- 
Was die Ingesta will 
Dieses Institut wurde 1961 unter 
dem Namen "Institut Gewerbebetri: 
be im Städtebau" g“gründet, Trä- 
ger ist ein Verein, dessen Grün - 
dungsmitglieder die Dachverbände 
dieser Betriebe waren, Also zum 
Beispiel der Deutsche Industrie 
und Handelstag, die Hauptgemein- 
Schaft des deutschen Einzelhandel: 
er Bundesverband des deutschen 
Groß- und Außenhandels, der Haus 
und Grundbesitzerverein, 1972 
wurde das Institut umgetauft und er 
hielt den Namen "Ingesta - Institut 
für Gebietsplanung und Stadtent- 
wicklung." Die Abkürzung ist die 
gleiche geblieben, -was wichtiger 
ist, die Interessen auch. Dies 
zeigt ein Blick in das Kölner Ver- 
einsregister unter der Nr. 6723, 
wo als Vorstand von Ingesta ange- 
geben sind: ein Herr Kolbenschlag 
vom deutschen Handwerkskammer- 
tag, ein Herr Schmitz, Vorstands- 
mitglied von Karstadt, jemand vom 
Einzelhandel und vom Industrie und 
Handelstag - wahrlich eine ehren- 
werte Ge ellschaft, 
Ziel des Vereins ist laut Satzung 
"an der Lösung von Problemstel- 
lungen der Gebietsplanung und 
Stadtentwicklung mitzuwirken," 
Das soll zum Beispiel dadurch ge- 
schehen, daß Ingesta "durch Grund 
lagenforschung für Gebiets- und 
Stadtentwicklung den rationellen 
Einsatz privatwirtschaftlicher In- 
vestitionen fördert." Auf Deutsch 
heißt das: Ingesta erstellt mit Steu 
ergeldern Gutachten, z.B. über 
die Kaufkraft bestimmter Gebiete, 
Daran verdienen tun in erster Li- 
nie Kaufhäuser und Supermärkte, 
die kostenlos eine Marktforschung 
ins Haus kriegen, Beispiel: Der 
Karstadt-Konzern, Ingesta gutach- 
Auch das Severinsviertel ist im 
Stadtentwicklungsplan als B-Zen- 
trum vorgesehen - das heißt: es 
soll vorrangig ein Viertel der Ge- 
werbebetriebe und zum Einkaufen 
werden, Um den Ausbau "rationell" 
lenken zu können, muß man über die 
Kaufkraft im Viertel Bescheid wis- 
sen. Dazu erfragt die Ingesta das 
Einkommen der Bewohner 
Stoll-Werk vorher und nachher 
Beide sind scharf auf eins . 
Beide wollen Geld machen und 
machen lassen, Vor diesem Hinter- 
grund sind auch die Fragen der ko 
menden Voruntersuchung im Vierte! 
zu sehen: Was stört Sie be- 
sonders an der Wohnung {Frage 24 
- Wenn Sie wohnen bleiben möch- 
ten, warum? (Frage 27) - Welche 
Einrichtungen für die Allgemein- 
heit fehlen im Severinsviertel? 
(Frage 30) - Wie oft treffen Sie sic 
mit Freunden? (40), Sie entpuppen 
sich als pure Augenwi scheri, Denr 
die Ziele der Sanierung stehen für 
die Stadt schon lange fest. 
Damit ist die Befragung auch ein 
untaugliches Mittel, die eigenen In- 
teressen vertreten zu können, Ob- 
wohl manch einer der Befragten ' 
dies zuerst glauben wird. 
Ebenso mißtrauisch sollte man 
dem Sanierüngsbeirat gegenüber- 
Stehen, der vor einigen Wochen ge- 
bildet wurde, Nach dem Städtebau- 
förderungsgesetz sollen die Be- 
troffenen durch ihn Gelegenheit er- 
halten, bei der Vorbereitung und 
Durchführung der Sanierungsmaß- 
nahmen mitzuwirken, Die Bewoh- 
ner, aber auch die Betriebe und 
Jörn Janssen / Michael Ratz 
Bodenpolitik und Boden- 
rechtsreform In der BRD 
Kritik und demokratische 
Alternativen 
Hefte zu politischen Gegenwarts- 
Tragen 9, 48 Seiten, DM 3,-- 
Eine Untersuchung der herrschen: 
den Bodenpolitik und der recht- 
lichen Ansätze für die Interessen- 
vertretung der Betroffenen. 
Pahl-Rugenstein Verlag 
5 Köln 51 - Vorgebirgstr. 115 
Telefon (0221) 36 25 01
	        
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