Oktober 1975
KölnerVolksBlatt:
Seite 5
Mitte November ıst es soweit: die ersten Produktionsbereiche der Fe
Stollwerck ziehen um nach Porz und die nächsten Arbeiter und Ange
stellten fliegen auf die Straße, Das war ja der Haupt zweck der Um
siedlung der alten Firma, die fast ein Jahrhundertlang Schokolade
im Severinsviertel gekocht hatte: Belegschaft und Produktion wer-
den rationalisiert, um mehr Profite zu machen. Ende September
hat der Herr über Stollwerck, Hans Imhoff, dem noch eine Reihe .
weiterer Betriebe der Süßwarenbranche gehören, 50 neue Entlas-
sungen angekündigt. Der Betriebsrat hat zwar nicht zugestimmt, ab-
?r was nützt das schon, Die Leute werden mit einem mageren Sozi-
alplan abgefunden ( auf den der Betriebsrat Imhoff auch erst nach
‘angem Hin und Her festnageln konnte ) und sitzen auf der Straße,
Imhoff hat ja Erfahrung mit sowas, was vornehm "Freistellung" ge-
nannt wird. So drückte er vom Frühjahr 1972, nachdem er das alte
Familienunternehmen in die Hand bekam, bis zum Oktober 1974 von
1808 auf knapp 900; und,seitdem nochmal um 20 % auf rund 700. Zu-
gleich wurde.die Arbeitsleistung der verbliebenen Arbeiter und An-
gestellten heraufgeschraubt.
Aber das genügt Imhoff noch nich, Als das VolksBlatt im letzten
November seine damals noch nicht öffentlich bekannten Pläne auf-
deckte, behaupteten wir: er geht nur mit wenigen Hundert Leuten
nach Porz. Genau so kommt es, Die jetzt anstehenden 50 neuen
Entlassungen sind nicht die letzten. Am Ende bleiben nicht mehr als
200 -400 Arbeitsplätze übrig. Unsere zweite Behauptung damals:
wesentliche Produktionsbereiche werden ausgelagert, weil Imhoff
anderswo profitabler produzieren lassen kann. So kommt es: die
Grundmassenproduktion macht kün ftig Imhoffs berliner Firma Hilde
brand und die Schokoladentafelherstellung geht in sn Werk nach
Bullay. Imhoff verfolgt damit eine genau abgestimmte Strategie in
seinem Süßwarenimperium. Nur die Zeche zahlt, wie so oft, der
Arbeiter und Angestellte. Denn die Übriggebliebenen müssen jetzt
mehr arbeiten und härter. Hauptsache die Kasse stimmt
Wenn es nach dem Willen der Bürger geht, wird's bald sehr lebendig zwischen Bottmühl-
und Stollwerck zugehı
orten, Abständen, der Konstruk-
tion und den Geschoßhöhen der
Gebäude für eine Wohnnutzung
geeignet ist.
So könnten in den Oberge-
schossen Wohnungen für große
und kleine Familien, für junge
und alte Leute, mit großen Bal-
kons und Loggien entstehen, Ein
Teil dieser Wohnungen könnte
von denen benutzt werden, die
vorübergehend ihre alte Wohnung
wegen Modernisierungsmaßnahmen
verlassen müssen. Auf den Dä-
chern wären "Reihen-Einfamilien-
häuser" mit Terrassen sowie
Sonnendecks, Erholungsräume
und Dachgärten für alle Bewohner
und Besucher denkbar. (3,4)
Das Erdgeschoß könnte für Lä-
den, Praxen, Büros, Kneipen
und anderes Kleingewerbe ge-
nutzt werden. Hier könnten auch
die Gemeinschaftsräume, Kinder-
spielräume, Werkräume, Alten-
Clubräume und Versammlungsräum
für die Hausbewohner eingerichtet
werden (6,7) Die Hallen könnten
für Bürger- und Jugendzentrum,
Stadtteilkantine, Sporträume und
Ateliers, Schule und Kindergar-
ten ausgebaut werden (9). Auch
für nicht störendes Gewerbe wie
z.B. Druckereien, gäbe es hier
ideale Flächen. (10) Die Höfe
könnten zu großen und kleinen
Plätzen, verkehrsfreien Ein-
kaufs-, Wohn- und Spielstraßen
mit vielen Bäumen, Bänken und
Brunnen umgestaltet werden (11).
Dies sind nur einige der vielen
Möglichkeiten.
wohnern selbst bestimmt werden.
Damit das aber möglich wird, muß
man sich zusammenschließen: Die
Bewohner des Severinsviertels
sowie alle, die daran interessiert
sind, daß der Stollwerck-Komplex
für jedermann erschwinglich ge-
nutzt wird. Vor allem aber die,
die sich am Ausbau beteiligen
wollen, um dort zu wohnen oder
zu arbeiten,
Erfolg, wenn überhaupt, kann
eine solche Initiative nur haben,
wenn sie sich auf eine breite
Basis stützen kann. Ende Okto-
ber ist deshalb eine erste öffent-
liche Versammlung im Viertel ge-
plant. Wer mehr wissen möchte,
füllt die beiliegende Postkarte
aus oder ruft einfach an:
Bürgerinitiative Südliche
Altstadt, 2 Köln 1
Ubierring 61 a
Tel. 316925/ 321057
Wie die Stadt und die Firma Ingesta ihre Interessen gESL
Die Kölner mögen das Severinsviertel, seineBewohner hängen dran. tete in Walsum, Ergebais: Ein Kar-
"Hier sind die Leute offen und kontaktfreudig. Hier bist Du nie allein, stadt-Bau. Ingesta gutachtete in
Du bist Mitglied in einer großen Familie", sagt ein Alteingesessener, Rheinhausen, Ergebnis: Ein Kar-
Das soll bald anders werden: Wie Köln überhaupt, sosoll auch das st adt-Bau, Zur Zeit gutachtet In-
Severinsviertel nicht dafür dasein, daß man sich kennt, sich wohl fühlt gesta unter anderem in Godesberg
einander hilft, miteinander arbeitet. Es soll Teil einer Stadt sein, Und im Severinsviertel. Ungefähr
die in erster Linie Geld bringt. Hier soll es nicht menschlich, son- jeder zweite Auftrag befaßt sich
dern rentabel zugehen. Das sind die Pläne einer Minderheit, die recht mit Untersuchungen solcher Art.
viel Macht und Einfluß hat - solange die Kölner das zulassen. Wer wird hier "saniert"?
Daß ein solches Institut kein Inte-
resse an einer intensiven Öffent-
lichkeitsarbeit hat und die Mitbe-
stimmungswünsche der Bevölke-
rung nicht gerade fördert, kann
man behaupten, ohne Profet zu
sein.
die dort Beschäftigten sollen mög-
lichst frühzeitig informiert werden
Dies gilt sowohl während der vor-
bereitenden Un tersuchung, der
Erstellung des Sozialplans, als
auch der Frage der Neugestaltung,
Nach den Vorstellungen der Köl-
ner Verwaltung soll dieser Beirat
nur "beratend mitwirken” können.
Dies kann durch Empfehlungen und
Anregungen an Rat und Verwaltung
sowie durch Anhörung geschehen,"
Somit bleibt dem Beirat keine Ent-
Scheidungsmöglichkeit. Sie ist dem
Stadtrat vorbehalten
Was die Stadt sagt
Man freut sich, wenn man hört und
liest, was die Stadt sagt: "Die
Stadt"- gemeint sind ihre Bürger-
meister, Ratsherren, Verwaltungs:
spitzen, - will, daß das Severins-
viertel seine historische Eigenart,
seinen gewachsenen Charakter be-
halten soll , daß nichts ohne die
Zustimmung der Bürger geschehen
wird, Deshalb findet eine Befragung
der Bürger statt, um sich nach de-
ren Wünschen zu erkundigen, So
bekommt man den Eindruck, daß die
Sache der Stadt die Sache ihrer
Bürger ist, Aber wie so oft: Zwi-
schen dem, was einer sagt und dem
was einer eigentlich will, klafft
nicht selten ein Unterschied,
Was die Stadt will
Die Stadt steckt in einer Finanz-
misere. Das wissen wir, Das sagt
sie selbst. Also will die Stadt
sparen - und neue Geldquellen an-
zapfen. Beides ist gleichzeitig
möglich. Man lässt im Severins-
viertel - so wie es zum Beispiel in
Nippes Stück für Stück geschieht -
möglichst viel Handel und Gewerbe
ansiedeln, zum Beispiel teuren
Einzelhandel und Kaufhäuser mit
viel Umsatz, Das kostet die Stadt
ınicht viel, bringt aber Steuern ein
Soll im Viertel viel und teuer ver-
kauft werden (die Stadt nennt das
"Steigerung der wirtschaftlichen
Aktivität), so müssen dort Leute
wohnen, die viel und teuer kaufen
können.
Die jetzigen Bewohner kommen
dafür nur zu einem geringen Teil
infrage. Deshalb müssen kaufkräf.
tige Bewohner angelockt werden,
Will man die anlocken, muß der
"Wohn- und Freizeitwert" gestei-
gert werden. Um dies zu errei-
chen, muß viel gebaut werden.
Wird viel gebaut, kommt das der
städtischen Baugesellschaft GAG
und der Kölner Bauindustrie zu-
gute. Über Steuern hat die Stadt-
kasse Anteil an all solchem Hande)
und Wandel. Höhere Steuereinnah-
men bringen der Stadt mehr finan-
ziellen Spielraum für Prestige-
Vorhaben.
In solchen Plänen und Spekulatio
nen scheinen die Bewohner des Se-
verinsviertels keine entscheidende
Rolle zu spielen, Was macht man
mit ihnen, wenn ihre Anwesenheit
die Pläne stören. Um darüber und
über einiges andere Aufschluß zu
bekommen, beginnt in diesem Mo-
nat die Befragung der Bewohner,
Dafür hat die Stadt einen Partner
gesucht und gefunden : die Firma
Ingesta
Was die Ingesta sagt
Der Leiter der Ingesta-Befragung
im Severinsviertel warnt in einem
Aufsatz in der Zeitschrift "Der
Städtetag" (Nr 8/75) davor, daß
durch Sanierung die Bewohner
ihre vertraute räumliche und sozi-
ale Umgebung verlieren, Will also
die.Ingesta erhalten, was der ober
zitierte Mann aus dem Severins-
viertel so lobt: "Hier bist Du nie
allein... "? Aber auch bei der In-
gesta ist zwischen dem, was sie
sagt, und dem was sie will, ein
nicht zu übersehender Unterschier
Um genaueres zu erfahren, hat
VolksBlatt sich bemüht, Näheres
über Ingesta und den Hintergrund
der Gesellschaft zu erkunden.
. .
Die Bürger können es
verhindern
An diesem Punkt wehren sich die
Betroffenen. Sie organisieren ihre
Interessen, Doch beginnen hier
auch die Schwierigkeiten, Wie kann
man als Einzelner die Bedürfnisse
und Forderungen eines ganzen
Viertels kennenlernen? Dazu müs-
sen sich erst mal die Bewohner
eines Wohnblocks zusammensetzen
und gemeinsam die Mängel in ihren
Wohnungen und Häusern zusammen-
tragen, Aus diesen Mängeln müßten
dann die Forderungen an die Sanie-
rung hervorgehen. In welche Woh-
nungen eine Toilette oder ein Bad
soll, wo neue Fenster eingebaut
werden müssen, welche Wohnungen
stärkere elektrische Leitungen
brauchen, Aber auch Fragen wie:
Ist zu viel Verkehr in der StraL.
Sind für Kinder genügend Bolz-
und Spielplätze vorhanden? Machen
in den Innenhöfen die Firmen zu
viel Lärm oder Dreck? Kann man
aus einem Innenhof einen Spielplatz
mit Bäumen und Wiese machen, wenr
die Hofmauern und Zäune abgeris-
sen werden?
Die Bewohner eines Blocks, aber
auch die Händler und Firmen und
deren Arbeiter könnten gemeinsam
einen eigenen Sanierungsplan auf-
stellen wie jetzt einer fürs Stoll-
werckgelände vorliegt. In den ein-
zelnen Blocks könnten die Bewohne:
eigene Sanierurgsräte bilden, Man
könnte so die für die Bewohner not-
wendigen und erschwinglichen Er-
neuerungen selbst planen. Die Block
räte könnten sich gegenseitig unter-
stützen, Planungen absprechen und
eines Tages sogar gemeinsam in
die Tat umsetzen.
Immerhin wären die Blockräte ja
im Viertel die gro“e Mehrheit, Ei-
ne Mehrheit, die die Zerstörung
des Severinsviertels verhindern
kann, Das übrige Köln könnte da-
raus lernen
vr-
Interessengemeinschafl
bilden
Was endgültig aus Stollwerck
gemacht wird, muß von den Be-
Was die Ingesta will
Dieses Institut wurde 1961 unter
dem Namen "Institut Gewerbebetri:
be im Städtebau" g“gründet, Trä-
ger ist ein Verein, dessen Grün -
dungsmitglieder die Dachverbände
dieser Betriebe waren, Also zum
Beispiel der Deutsche Industrie
und Handelstag, die Hauptgemein-
Schaft des deutschen Einzelhandel:
er Bundesverband des deutschen
Groß- und Außenhandels, der Haus
und Grundbesitzerverein, 1972
wurde das Institut umgetauft und er
hielt den Namen "Ingesta - Institut
für Gebietsplanung und Stadtent-
wicklung." Die Abkürzung ist die
gleiche geblieben, -was wichtiger
ist, die Interessen auch. Dies
zeigt ein Blick in das Kölner Ver-
einsregister unter der Nr. 6723,
wo als Vorstand von Ingesta ange-
geben sind: ein Herr Kolbenschlag
vom deutschen Handwerkskammer-
tag, ein Herr Schmitz, Vorstands-
mitglied von Karstadt, jemand vom
Einzelhandel und vom Industrie und
Handelstag - wahrlich eine ehren-
werte Ge ellschaft,
Ziel des Vereins ist laut Satzung
"an der Lösung von Problemstel-
lungen der Gebietsplanung und
Stadtentwicklung mitzuwirken,"
Das soll zum Beispiel dadurch ge-
schehen, daß Ingesta "durch Grund
lagenforschung für Gebiets- und
Stadtentwicklung den rationellen
Einsatz privatwirtschaftlicher In-
vestitionen fördert." Auf Deutsch
heißt das: Ingesta erstellt mit Steu
ergeldern Gutachten, z.B. über
die Kaufkraft bestimmter Gebiete,
Daran verdienen tun in erster Li-
nie Kaufhäuser und Supermärkte,
die kostenlos eine Marktforschung
ins Haus kriegen, Beispiel: Der
Karstadt-Konzern, Ingesta gutach-
Auch das Severinsviertel ist im
Stadtentwicklungsplan als B-Zen-
trum vorgesehen - das heißt: es
soll vorrangig ein Viertel der Ge-
werbebetriebe und zum Einkaufen
werden, Um den Ausbau "rationell"
lenken zu können, muß man über die
Kaufkraft im Viertel Bescheid wis-
sen. Dazu erfragt die Ingesta das
Einkommen der Bewohner
Stoll-Werk vorher und nachher
Beide sind scharf auf eins .
Beide wollen Geld machen und
machen lassen, Vor diesem Hinter-
grund sind auch die Fragen der ko
menden Voruntersuchung im Vierte!
zu sehen: Was stört Sie be-
sonders an der Wohnung {Frage 24
- Wenn Sie wohnen bleiben möch-
ten, warum? (Frage 27) - Welche
Einrichtungen für die Allgemein-
heit fehlen im Severinsviertel?
(Frage 30) - Wie oft treffen Sie sic
mit Freunden? (40), Sie entpuppen
sich als pure Augenwi scheri, Denr
die Ziele der Sanierung stehen für
die Stadt schon lange fest.
Damit ist die Befragung auch ein
untaugliches Mittel, die eigenen In-
teressen vertreten zu können, Ob-
wohl manch einer der Befragten '
dies zuerst glauben wird.
Ebenso mißtrauisch sollte man
dem Sanierüngsbeirat gegenüber-
Stehen, der vor einigen Wochen ge-
bildet wurde, Nach dem Städtebau-
förderungsgesetz sollen die Be-
troffenen durch ihn Gelegenheit er-
halten, bei der Vorbereitung und
Durchführung der Sanierungsmaß-
nahmen mitzuwirken, Die Bewoh-
ner, aber auch die Betriebe und
Jörn Janssen / Michael Ratz
Bodenpolitik und Boden-
rechtsreform In der BRD
Kritik und demokratische
Alternativen
Hefte zu politischen Gegenwarts-
Tragen 9, 48 Seiten, DM 3,--
Eine Untersuchung der herrschen:
den Bodenpolitik und der recht-
lichen Ansätze für die Interessen-
vertretung der Betroffenen.
Pahl-Rugenstein Verlag
5 Köln 51 - Vorgebirgstr. 115
Telefon (0221) 36 25 01