ARCH+ 7. Jg. (1975) H. 25
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die immer komplexer werdenden Umweltprobleme durch
Koordinierung und Integration der Einzelwissenschaften
projektbezogen in den Griff bekommen, nachdem bisher
die Bewältigung der Probleme der räumlichen Umwelt als
Gegenstand der Stadt- und Regionalplanung in Einzelwissen
schaften zerfallen war. Und ein adäquates Praxisfeld hierzu
scheint der Staat als Hüter des Allgemeinwohls und als Ar-
beitgeber, der sich nicht so sehr nach dem Marktprinzip
zu richten braucht, anzubieten — ein Praxisfeld, das es dem
Planer ermöglicht, die erwartete Aufgabe optimal wahrzu-
nehmen, da hier der Mißbrauch durch einzelne ausgeschlos-
sen scheint. weil ja im Sinne der Gemeinschaft geplant wird
In der tatsächlichen Praxis kann der Integrationsanspruch
jedoch nicht eingelöst werden; im Gegenteil, der Stadt- und
Regionalplaner wird zum Spezialisten einer traditionellen
Einzelwissenschaft, dem es allenfalls möglich ist, den überört:
lichen räumlichen Bezug stärker, als es der Disziplin bisher
gelang, hervorzuheben. Aber auch der relative Freiraum des
staatlichen Praxisfeldes ist stark eingeengt, denn es treten
Zielkonflikte auf, in denen Bedürfnisse der Bevölkerung mei-
stens den Sachzwängen untergeordnet werden, die sich aus
den ‚Interessen der Gemeinschaft” ergeben.
Diese Widersprüche zwischen Berufserwartung und Berufs-
realität haben bisher jedoch nicht zu einer Berufspraxisdis-
kussion bei Planern geführt, welche die Ursachen dieser Wider
sprüche aufgedeckt und sie damit für ihr Handeln fruchtbar
gemacht hätten. Damit bleibt die Gefahr bestehen, daß die
Planer ihr Verhältnis zu ihrem Arbeitsfeld idealisieren und
ihr Lohnarbeiterverhältnis zum Staat mystifizieren, indem
sie Illusionen der Verwirklichung des Sozialstaates anhängen.
Basis ihres sozialen Anspruchs bleibt dann, daß insbesondere
die Planungsmaßnahmen des Staates — der ja das Allgemein-
wohl verwirklichen soll — die Lebensqualität der Bevölkerung
zu heben scheinen. Die Realisierung dieses Anspruchs scheitert
an inhaltlichen und institutionellen Restriktionen der Berufs-
tätigkeit von Planern, die jedoch solange nur in ihren Erschei-
nungsformen wahrgenommen werden, solange nicht die ur-
sächlichen Zusammenhänge zwischen Gesellschaftssystem,
inhaltlichen Schranken und institutionellen Restriktionen
aufgedeckt werden.
Dieser Zusammenhang, der in der Berufspraxisdiskussion zu
entfalten wäre, ist nur über die historische Bestimmung und
logische Ableitung der Funktion des bürgerlichen Staates
aufzudecken. Denn der Arbeitsgegenstand des Planers ist
von staatlicher Tätigkeit nicht zu trennen, und sofern sie
sogar sein unmittelbares Berufsfeld ist, resultiert daraus ein
Arbeitsverhältnis, das im bürgerlichen Bewußtsein einen spe-
zifischen Charakter hat, der z.B. am Selbstverständnis der
Staatsverwaltung und der Staatsbeamten historisch nachvoll-
ziehbar ist. 1
Eine solche Ableitung der gesellschaftlichen Funktion des
Stadt- und Regionalplaners fehlt jedoch. Es kann daher nur
versucht werden, vor dem Hintergrund der inzwischen zahl-
reich vorliegenden Ansätze einer theoretischen Einschätzung
von Herausbildung und Besonderheit des bürgerlichen Staa-
tes 2 die inhaltlichen und institutionellen Bindungen in
der Berufspraxis von Stadt- und Regionalplanern speziell
im öffentlichen Dienst darzustellen. Dabei soll anhand der
Ideologien, die der öffentlichen Verwaltung zugrunde liegen.
der reale Entwicklungsprozeß der Staatsverwaltung im Ver-
hältnis von Staat und Gesellschaft nachgezeichnet werden
(1.10).
Die Darstellung des offiziellen, mystifizierten Berufsbildes
von Planern kann an den daraus ersichtlichen institutionel-
len Bindungen in der Arbeitssphäre eingeschätzt werden
(1.20).
Dem folgt ein Abriß des Berufsfeldes von Planern, dessen
inhaltliche Restriktionen die Notwendigkeit sowohl der in-
stitutionellen Bindungen des Planers als auch ihrer Mystifi-
zierung im Sinne des bürgerlichen Staates nochmals deutlich
machen (1.30).
Diese institutionellen Bindungen selbst werden am Beispiel
des Beamtenrechts und einiger ausgewählter Fälle des Dis-
ziplinarrechts analysiert, so daß dann zu den besonderen,
offen repressiven Maßnahmen der jüngsten Zeit übergegan-
gen werden kann (2.0). Schließlich wird im letzten Abschnitt
versucht, Perspektiven zu entwickeln, die nicht nur die Re-
striktionen zu überwinden suchen, sondern dem Stadt-
und Regionalplaner trotz der Unmöglichkeit einer gesell-
schaftsverändernden Berufspraxis eine aktive Rolle in der
demokratischen Bewegung zuweist (3.0).
1.00 Der Planer im öffentlichen Dienst
1.10 Staatsideologie und öffentliche Verwaltung
1.11 Staatsideologie
Wesentliche Elemente des bürgerlichen Selbstverständnisses
über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft gehen auf
die Staatsbestimmung durch Hegel zurück. Demnach steht
der Staat außerhalb und über der Gesellschaft als „die Wirk
lichkeit der sittlichen Idee”, als das „an und für sich Ver-
nünftige”. 3 Er ist eine „äußerliche Notwendigkeit und
höhere Macht” 4, der anzugehören höchste Pflicht eines
jeden Einzelnen ist. Und Aufgabe des Staates sei es, das
Allgemeinwohl bewußt zu verfolgen, wodurch er erst die
Erhaltung und Freiheit des Einzelnen garantieren kann.
Dieser Staatsbestimmung hält Engels zunächst grundsätzlich
entgegen, daß der Staat „keineswegs eine der Gesellschaft
von außen aufgezwungene Macht (. . .) vielmehr ein Produkt
der Gesellschaft auf bestimmter Entwicklungsstufe” ist. >
Im besonderen sind daher die Stufen zu betrachten, in
denen sich im Zuge der Entfaltung der Produktivkräfte
und in Überwindung der feudalen Gesellschaft die Form
der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt. Die Herausbildung
der kapitalistischen Produktionsweise führt zur Spaltung
in zwei Klassen — Kapitalisten und Lohnarbeiter — die im