Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

Vittorio de Feo: Entwurf einer Esso - Tankstelle, 1971. Perspektive 
zusammenlaufen — derart, daß demgegen- 
über die ‘säkrale’ Genauigkeit seines geome- 
trischen Baublocks über jeder Ideologie 
und jeden utopischen Vorschlag für eine 
“neue Lebensweise” zu stehen scheint. 
Mit dem so entworfenen Gebäudekom- 
plex versucht Aymonino jede Entwurfsent- 
scheidung, jeden Zusammenschluß, jede 
formale Artifizialität deutlich hervorzuhe- 
ben. Offensichtlich will Aymonino mit der 
Sprache der Übertreibung und Komplexi- 
tät sprechen, einer Sprache, in deren Rah- 
men die einzelnen, gewaltsam zusammenge- 
fügten Teile darauf bestehen, ihre eigene 
Funktion innerhalb der “Maschine” als 
Ganzem zurschauzustellen. Indem er Rossi 
die Planung für einen Block innerhalb der 
Nachbarschaft übertrug, muß Aymonino 
dennoch das Bedürfnis empfunden haben, 
sich selbst mit einem ihm radikal entgegen- 
gesetzten Vorschlag zu vergleichen. So fin- 
den wir hier die Gegenüberstellung der 
komplexen Vielfalt der Zeichen Aymoni- 
no’s mit dem absoluten Zeichen von Rossi. 
Die von Kraus und Loos eingenommene 
Position wird dabei nicht abgelehnt; sie 
ist jedoch doppelsinniger geworden. Weil 
die Tat das Wort hat, kann die Form 
schweigen. Die simultane Präsenz konstruk- 
tivistisch aggregierter Objekte, die hartnäk- 
kig gezwungen werden, Nachrichten oder 
Verhaltensweisen zu übermitteln (Aymoni- 
no), mit einem in seiner Schüchternheit 
verborgenen, stummen Objekt (Rossi). 
“erzählt” beispielhaft das Drama der mo- 
dernen Architektur. Von neuem hat die Ar- 
chitektur einen Diskurs über sich selbst ent- 
wickelt, diesmal aber auf eine ungewöhnli- 
che Art: als Gespräch, zwischen zwei Spra- 
chen, die beide das gleiche Ergebnis anstre- 
ben. Die Komplexität von Aymonino und 
das Schweigen von Rossi: sie sind zwei 
Möglichkeiten, um die gutturalen Klänge 
der gelben Riesen vorzutragen — es sei hier 
erinnert an das expressionistische Drama 
“Der gelbe Klang” mit welchem Wassily 
Kandinsky die ‘neuen Engel” der Massen- 
gesellschaft zu personalisieren versuchte 19). 
In der bisherigen Diskussion haben wir 
bewußt die Analyse eines spezifischen Phä- 
nomens unter dem Aspekt der richtigen 
Anwendung der Kritik betrachtet. Die Bei- 
spiele von Stirling und Rossi haben sich da- 
bei als nützlich erwiesen, weil durch sie 
die wahre Funktion der Kritik in Frage 
gestellt wird und weil wir uns z.T. mit den 
extremen, für die aktuelle Debatte zur Ar- 
chitektursprache wichtigen Positionen be- 
fassen, wie sie in den Arbeiten von Louis 
Kahn, Denys Lasdun, den ‘Five’, und den 
italienischen Experimentalisten wie Vitto- 
rio De Feo, der O0“ oder Vittorio 
Greaotti zu Taae treten 2 
In einem Text über De Feo spricht Fran- 
cesco Dal Co von einer ‘’suspendierten Ar- 
chitektur 21), Tatsächlich oszillieren die 
Arbeiten von De Feo — sie zählen zu den 
wichtigsten neueren italienischen Arbeiten 
— zwischen der Schaffung gänzlich virtuel- 
ler Räume einerseits und der typologischen 
Forschung auf der Ebene von (gesellschaft- 
lichen) Einrichtungen andererseits. In seinen 
Arbeiten herrscht das Experiment mit De- 
formationen geometrischer Elemente vor, 
wie bei dem Projekt für das neue Repräsen- 
tantenhaus in Rom, geplant zusammen mit 
der Stass-Gruppe (1967) oder der Schule 
für Technik in Terni (1968-74) und dem 
Wettbewerb für eine Esso-Station (1971). 
In diesen Beispielen behandelt De Feo die 
Geometrie als ein primäres Element neben 
der gewählten funktionalen Ordnung. Ver- 
glichen mit dem Purismus von Rossi, er- 
scheint die Architektur von De Feo und 
auch von Mario Manieri-Elia, alltäglicher 
und zufälliger. Jedoch, in ihrer Suche nach 
den reinen und substanziellen Eigenschaf- 
ten der Form, besitzt diese Architektur 
dennoch selbstkritische und selbstironisie- 
rende Elemente, die in ein desillusioniertes 
Pop-Image gekleidet sind (Hieraus erklärt 
sich auch das ärgerliche geometrische For- 
menspiel der Esso-Station). Man kann hier 
eine Warnung erkennen: “Ist die Form erst 
einmal befreit‘, wird das Universum der 
Geometrie zu einem unkontrollierbaren 
“Abenteuer”. Zweifellos sind ähnliche Stu- 
dien, historisch betrachtet, Fortführungen 
der von Kahn eingeleiteten thematischen 
Reflexionen, doch verliert für Italiener im 
besonderen jede Studie, die sich mit den 
sprachlichen Mitteln befaßt, ihre mysti- 
sche Aura und das arglose Vertrauen in die 
charismatische Macht der Institution. Wir 
sehen uns mit einem offensichtlichen Para- 
dox konfrontiert: Diejenigen, welche ihre
	        
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