Vittorio de Feo: Entwurf einer Esso - Tankstelle, 1971. Perspektive
zusammenlaufen — derart, daß demgegen-
über die ‘säkrale’ Genauigkeit seines geome-
trischen Baublocks über jeder Ideologie
und jeden utopischen Vorschlag für eine
“neue Lebensweise” zu stehen scheint.
Mit dem so entworfenen Gebäudekom-
plex versucht Aymonino jede Entwurfsent-
scheidung, jeden Zusammenschluß, jede
formale Artifizialität deutlich hervorzuhe-
ben. Offensichtlich will Aymonino mit der
Sprache der Übertreibung und Komplexi-
tät sprechen, einer Sprache, in deren Rah-
men die einzelnen, gewaltsam zusammenge-
fügten Teile darauf bestehen, ihre eigene
Funktion innerhalb der “Maschine” als
Ganzem zurschauzustellen. Indem er Rossi
die Planung für einen Block innerhalb der
Nachbarschaft übertrug, muß Aymonino
dennoch das Bedürfnis empfunden haben,
sich selbst mit einem ihm radikal entgegen-
gesetzten Vorschlag zu vergleichen. So fin-
den wir hier die Gegenüberstellung der
komplexen Vielfalt der Zeichen Aymoni-
no’s mit dem absoluten Zeichen von Rossi.
Die von Kraus und Loos eingenommene
Position wird dabei nicht abgelehnt; sie
ist jedoch doppelsinniger geworden. Weil
die Tat das Wort hat, kann die Form
schweigen. Die simultane Präsenz konstruk-
tivistisch aggregierter Objekte, die hartnäk-
kig gezwungen werden, Nachrichten oder
Verhaltensweisen zu übermitteln (Aymoni-
no), mit einem in seiner Schüchternheit
verborgenen, stummen Objekt (Rossi).
“erzählt” beispielhaft das Drama der mo-
dernen Architektur. Von neuem hat die Ar-
chitektur einen Diskurs über sich selbst ent-
wickelt, diesmal aber auf eine ungewöhnli-
che Art: als Gespräch, zwischen zwei Spra-
chen, die beide das gleiche Ergebnis anstre-
ben. Die Komplexität von Aymonino und
das Schweigen von Rossi: sie sind zwei
Möglichkeiten, um die gutturalen Klänge
der gelben Riesen vorzutragen — es sei hier
erinnert an das expressionistische Drama
“Der gelbe Klang” mit welchem Wassily
Kandinsky die ‘neuen Engel” der Massen-
gesellschaft zu personalisieren versuchte 19).
In der bisherigen Diskussion haben wir
bewußt die Analyse eines spezifischen Phä-
nomens unter dem Aspekt der richtigen
Anwendung der Kritik betrachtet. Die Bei-
spiele von Stirling und Rossi haben sich da-
bei als nützlich erwiesen, weil durch sie
die wahre Funktion der Kritik in Frage
gestellt wird und weil wir uns z.T. mit den
extremen, für die aktuelle Debatte zur Ar-
chitektursprache wichtigen Positionen be-
fassen, wie sie in den Arbeiten von Louis
Kahn, Denys Lasdun, den ‘Five’, und den
italienischen Experimentalisten wie Vitto-
rio De Feo, der O0“ oder Vittorio
Greaotti zu Taae treten 2
In einem Text über De Feo spricht Fran-
cesco Dal Co von einer ‘’suspendierten Ar-
chitektur 21), Tatsächlich oszillieren die
Arbeiten von De Feo — sie zählen zu den
wichtigsten neueren italienischen Arbeiten
— zwischen der Schaffung gänzlich virtuel-
ler Räume einerseits und der typologischen
Forschung auf der Ebene von (gesellschaft-
lichen) Einrichtungen andererseits. In seinen
Arbeiten herrscht das Experiment mit De-
formationen geometrischer Elemente vor,
wie bei dem Projekt für das neue Repräsen-
tantenhaus in Rom, geplant zusammen mit
der Stass-Gruppe (1967) oder der Schule
für Technik in Terni (1968-74) und dem
Wettbewerb für eine Esso-Station (1971).
In diesen Beispielen behandelt De Feo die
Geometrie als ein primäres Element neben
der gewählten funktionalen Ordnung. Ver-
glichen mit dem Purismus von Rossi, er-
scheint die Architektur von De Feo und
auch von Mario Manieri-Elia, alltäglicher
und zufälliger. Jedoch, in ihrer Suche nach
den reinen und substanziellen Eigenschaf-
ten der Form, besitzt diese Architektur
dennoch selbstkritische und selbstironisie-
rende Elemente, die in ein desillusioniertes
Pop-Image gekleidet sind (Hieraus erklärt
sich auch das ärgerliche geometrische For-
menspiel der Esso-Station). Man kann hier
eine Warnung erkennen: “Ist die Form erst
einmal befreit‘, wird das Universum der
Geometrie zu einem unkontrollierbaren
“Abenteuer”. Zweifellos sind ähnliche Stu-
dien, historisch betrachtet, Fortführungen
der von Kahn eingeleiteten thematischen
Reflexionen, doch verliert für Italiener im
besonderen jede Studie, die sich mit den
sprachlichen Mitteln befaßt, ihre mysti-
sche Aura und das arglose Vertrauen in die
charismatische Macht der Institution. Wir
sehen uns mit einem offensichtlichen Para-
dox konfrontiert: Diejenigen, welche ihre