Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

Verzichts” 27), Die “oapiers dechires” von 
Picasso gehören dieser Logik an. Aber das 
Zeugnis Arps verdeutlicht den Prozeß, der 
die Selbstbehauptung der Formen mit ihrer 
eigenen Zerstörung verbindet. 
‘Um 1930 entstanden die ersten Bilder aus zer- 
rissenem Papier ..... Warum soll man sich um 
Perfektion und Reinheit bemühen, wenn sie doch 
niemals erreicht werden können? Von nun an war 
mir die Zerstörung, die nicht eher einsetzt, als 
daß die Arbeit beendet ist, ein willkommenes Ge- 
staltungselement. Der einfache Mann mit schmut- 
zigen Händen berührt und besudelt das Detail des 
Bildes ..... Von Begeisterung erfaßt, beschmiert 
er das Bild mit Speichel. Eine delikate Collage aus 
aquarelliertem Papier ist verloren. Auch Staub 
und Insekten sind bei der Zerstörung des Bildes 
sehr wirksam. Im Licht verblassen- die Farben. 
Sonne und Wärme erzeugen Verwölbungen, zer- 
setzen das Papier, brechen die Farbschicht auf — 
zerstören sie. Feuchtigkeit verursacht Fäulnis, die 
Arbeit zerfällt, sie stirbt. Der Tod eines Bildes > 
bringt mich nicht mehr zur Verzweiflung. Ich 
hatte mit seiner Vergänglichkeit einen Pakt ge- 
schlossen und er ist für mich zu einem Bestandteil 
des Bildes geworden. Aber der Tod breitet sich 
aus und vernichtet beides — das Bild und das Le- 
ben.. ..DieForm ist formlos gewor- 
den, das Endliche unendlich unge 
Persönliche unpersönlich.”28 
Die Formlosigkeit, daß ist das Risiko der 
Existenz, bereitet keine Angst mehr, ist 
sie einmal als sprachliches „„Material‘‘ akzep- 
tiert und umgekehrt kann die Sprache Un- 
bestimmtes, Zufälliges und Vergängliches 
zum Ausdruck bringen. Das macht die Be- 
obachtung von Jean Fautrier glaubhaft, 
daß Kunst heutzutage ” . . . nur sich selbst 
zerstören kann, und sich nur durch die Zer- 
störung ihrer selbst ständig erneuern kann” 
29). Dennoch ist es nur ein Versuch, dem 
Phänomen der Massenkommunikationen 
nachträglich einen Sinn zu geben. So ist 
es nicht zufällig, daß viele derartige Zele- 
brationen des Formlosen unter dem Banner 
einer technischen Utopie stattfinden. Die 
iritierenden und ironischen Metaphern von 
“Archigram“ oder der ‘““Archizoom Grup- 
pe”, oder der Architektur als Explosion 
von Fragmenten bei John Johansen haben 
ihre Wurzeln tief im technologischen My- 
thos. Damit kann die Technologie in die 
Konfiguration eines vollständig virtuellen 
Raumes verstrickt werden. Auf mythische 
Weise kann sie als ‘zweite Natur” interpre- 
tiert werden, als Objekt der Mimesis; sie 
kann Subjekt des Formalistengeplauders 
werden, wie es in einem Teil der Arbeiten 
des sowjetischen Konstruktivismus ge- 
schah, in denen sich die Form selbst zer- 
stört, um Botschaften zu übermitteln, die 
dem gleichen Prozeß der Selbstzerstörung 
entspringen. Dann gibt es jene, wie Bruno 
Zevi, die versuchen einen Code aus dieser 
programmierten Selbstzerstörung zusam- 
menzustellen 30), Was sich an Bedeutung 
hinter dieser Begeisterung für das abstrakte 
Geräusch verbirgt, ist die generelle Erfah- 
rung ihrer masochistischen Selbstzerstö- 
rung. Eben aufgrund dieser Erfahrungen 
kann eine kritische Methode, wie sie von 
der technologischen Ästhetik Max Benses 
oder der Informationstheorie Abraham 
Moles angeregt wurde, erfolgreich einge- 
setzt werden. Das ist nur möglieh, weil sie 
auf noch eindrucksvollere Weise als Stirling 
versuchen, eine Sprache zu finden, die dem 
Reich der Technologie entspricht. Sie 
versuchen die ganze physische Umwelt mit 
einem vergrößerten Informationsquantum 
in der Absicht zu belegen, ‘“Wort und 
Objekt zu einigen’ und neben die Exi- 
stenz des Alltäglichen eine autonome 
Struktur der Kommunikation zu stellen. So 
ist es nicht zufällig, daß die abgetragenen 
Images von Archigram oder die artifiziellen 
und vorsätzlichen Ironien von Robert 
Venturi oder von Hans Hollein das Feld der 
architektonischen Handlungsmöglichkeiten 
zugleich erweitern und einschränken. Sie 
erweitern sie insofern, als ihr Ziel die Be- 
herrschung des gesamten sichtbaren Raum- 
es umfaßt und schränken sie insofern ein, 
als sie diesen Raum aussschließlich als 
ein auf Superstrukturen aufgebautes Netz 
begreifen. 
Auch hier gibt es schon ein konkretes Er- 
gebnis, das sich aus Projekten, wie dem von 
Robert Venturi und Rauch für die amerika- 
nische Zweihundertjahresfeier 31) in Phila- 
delphia ergibt. Hier herrscht nicht mehr der 
Wunsch vor, zu kommunizieren, sondern 
die Architektur wird stattdessen in ein un- 
strukturiertes System kurzlebiger Zeichen 
aufgelöst. Anstelle der Kommunikation 
gibt es einen Informationsstrom. Anstelle 
der Architektur als Sprache finden wir hier 
den Versuch, sie ohne ideologische Reste 
auf ein Massenmedium zu reduzieren. An- 
stelle des besorgten Bemühens um die Wie- 
derherstellung eines urbanen Systems, 
herrscht hier die desillusionierte Anerken- 
nung der Wirklichkeit, die zu einem Ex- 
zess des puren Zynismus gesteigert wird. 
(Trotz allem: Exzesse beinhalten immer 
auch eine kritische Konnotation). Auf diese 
Weise bewirkt Venturi, indem er sich in 
einem ausschließlich sprachlichen Rahmen 
bewegt, die Entwertung der Sprache selbst. 
Die Bedeutung der P/akatwelt 31 a), der 
Welt der Publicity ist in sich selbst gefan- 
gen. Venturi kommt auf diese Weise zu 
einem Ergebnis, das dem der kompositio- 
nellen Rigoristen symmetrisch gegenüber- 
steht. Ihre Konsequenz liegt in der Wieder- 
herstellung des “Wesens” der Architektur. 
Für Venturi liegt demgegenüber das ‘“We- 
sen’ — nachdem er entdeckt hat, daß die 
innere Ambiguität der Sprache, ist sie erst 
einmal mit der Wirklichkeit in Berührung 
gekommen, jeden Vorsatz zu ihrer Autono- 
mie illusorisch macht — im Nichtgebrauch 
der Sprache. 
Eine Warnung an alle: In keinem der bei- 
den Fälle täuscht die Sprache sich selbst: 
Wenn sich die Protagonisten der zeitgenös- 
sischen Architektur manchmal in der Mas- 
ke eines Don Quichote äußern, dann ist 
diese Haltung weniger äußerlich, als es zu- 
nächst erscheint, denn tatsächlich beinhal- 
tet diese Haltung unbewußt eine wahre 
Sprache, eine ‘Sprache der Desillusionie- 
rung”. Die Sprache hat hier den Punkt er- 
reicht, wo sie sich über ihre eigene Isolation 
äußert, wie wenn sie aufs Neue einen Weg 
nachzugehen sucht, der auf der Mechanik 
ihrer eigenen Schreibweise beruht; oder als 
ob sie beabsichtigt, in den problematisch 
Raum der Existenz hineinzuforschen. Den- 
noch — wiederholt nicht dieser Weg, der hi- 
storisch die letzten zwei Jahrzehnte umfaßt, 
ein bekanntes Ereignis? Ist nicht die Ant- 
wort von Mallarme ‘Es ist das Wort selbst, 
das spricht‘ 32) analog zur tragischen Er- 
kenntnis von Kraus und Loos: ” ....die 
Tat (hat) das Wort, .... , aber das, was nur 
gedacht wird, (ist) unaussprechlich”’? Liegt 
nach dem Gesagten das Schicksal der histo- 
rischen Avantgarde nicht darin, daß sie sich 
mit dem Plan (einem ohnehin vereitelten 
Plan) zur Organisation der Wirklichkeit 
selbst zerstört? Die Rückkehr zur Sprache 
ist ein Beweis für dieses Versagen. Es scheint 
notwendig zu sein, daß wir untersuchen, 
bis zu welchem Grad das Mißlingen dem in- 
neren Charakter der architektonischen Dis- 
ziplin und bis zu welchem Grad, es einer 
noch ungelösten Ambiguität geschuldet ist. 
Michel Foucault hat bemerkt, daß eine 
gewisse Ungleichzeitigkeit zwischen den 
Arten der Sprachverwendung besteht: “Die 
Diskussionen, die fortwährend geführt wer- 
den und die Wortwechsel, die von den ur- 
sprünglichen Handlungen angeregt werden 
und zugleich mit ihnen enden, und (dem- 
gegenüber) die Diskussionen, die am An- 
fang einer bestimmten Anzahl neuer Hand- 
lungen und Begriffe stehen, die diese auf- 
nehmen, sie transformieren oder von ihnen 
erzählen — mit anderen Worten Diskussio- 
nen, die unabgeschlossen hinter ihren eige- 
nen Formulierungen zurückbleiben, die ge- 
führt werden, geführt wurden und immer 
noch geführt werden müssen” 33), Das ist 
eine Zeitverschiebung, die offensichtlich 
nicht absolut zu sein scheint, die aber stark 
genug ist zur funktionalen Unterscheidung 
zwischen den sprachlichen Organisationse- 
benen. Die moderne Bewegung hat insge- 
samt versucht, derartige Zeitverschiebun- 
gen auszuschalten (wir beziehen uns spezi- 
ell auf den polemischen Standpunkt von 
Hannes Meyer, auf den präzisen Rationa- 
lismus von Hans Schmidt, auf die Haltung, 
die von den Zeitschriften wie ABC oder G 
eingenommen wurde und auf die ästheti- 
schen Schriften von Kare/ Teige, Walter 
Benjamin und Hans Mukarovsky)34). 
Aber es ist Foucault selbst, der den Mangel 
dieser Vorgehensweise erkannt: ‘Die radi- 
kale Aufhebung dieser Zeitverschiebung 
kann nur ein Spiel sein, eine Utopie, oder 
ein Ergebnis der Angst. Ein Spiel nach Bor- 
ges mit einem Kommentar, der nichts ande- 
res sein will als eine Wiederholung des schon 
dargestellten, Wort für Wort (jetzt jedoch 
feierlich und lang ersehnt): wiederum das 
Spiel einer Kritik, die endlos von einem 
Werk spricht, das nicht existiert” 35). 
Keinesfalls haben wir es hier mit einer 
Vorgehensweise zu tun, die der verwandt 
ist, die Jencks als die der “Supersensuali- 
sten” 36) bezeichnet hat; d.h. die eines, 
Hans Hollein, Walter Pichler oder Riccardo 
Bofill. Ihnen sind ein großer Teil der späte- 
ren Arbeiten Frank Loyd Wrights vorange- 
gangen, wie auch die impotenten Antizipa- 
tionen der technologischen Avantgardisten. 
Die Ausschaltung der Zeitverschiebungen 
zwischen jenen Diskussionen, ‘welche ge- 
sprochen“‘‘ und denen, ‘welche gesagt wer- 
den“, ist auf der Ebene der Sprache selbst 
nicht zu erfüllen. Der Ausbruch der Archi- 
a
	        
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