Verzichts” 27), Die “oapiers dechires” von
Picasso gehören dieser Logik an. Aber das
Zeugnis Arps verdeutlicht den Prozeß, der
die Selbstbehauptung der Formen mit ihrer
eigenen Zerstörung verbindet.
‘Um 1930 entstanden die ersten Bilder aus zer-
rissenem Papier ..... Warum soll man sich um
Perfektion und Reinheit bemühen, wenn sie doch
niemals erreicht werden können? Von nun an war
mir die Zerstörung, die nicht eher einsetzt, als
daß die Arbeit beendet ist, ein willkommenes Ge-
staltungselement. Der einfache Mann mit schmut-
zigen Händen berührt und besudelt das Detail des
Bildes ..... Von Begeisterung erfaßt, beschmiert
er das Bild mit Speichel. Eine delikate Collage aus
aquarelliertem Papier ist verloren. Auch Staub
und Insekten sind bei der Zerstörung des Bildes
sehr wirksam. Im Licht verblassen- die Farben.
Sonne und Wärme erzeugen Verwölbungen, zer-
setzen das Papier, brechen die Farbschicht auf —
zerstören sie. Feuchtigkeit verursacht Fäulnis, die
Arbeit zerfällt, sie stirbt. Der Tod eines Bildes >
bringt mich nicht mehr zur Verzweiflung. Ich
hatte mit seiner Vergänglichkeit einen Pakt ge-
schlossen und er ist für mich zu einem Bestandteil
des Bildes geworden. Aber der Tod breitet sich
aus und vernichtet beides — das Bild und das Le-
ben.. ..DieForm ist formlos gewor-
den, das Endliche unendlich unge
Persönliche unpersönlich.”28
Die Formlosigkeit, daß ist das Risiko der
Existenz, bereitet keine Angst mehr, ist
sie einmal als sprachliches „„Material‘‘ akzep-
tiert und umgekehrt kann die Sprache Un-
bestimmtes, Zufälliges und Vergängliches
zum Ausdruck bringen. Das macht die Be-
obachtung von Jean Fautrier glaubhaft,
daß Kunst heutzutage ” . . . nur sich selbst
zerstören kann, und sich nur durch die Zer-
störung ihrer selbst ständig erneuern kann”
29). Dennoch ist es nur ein Versuch, dem
Phänomen der Massenkommunikationen
nachträglich einen Sinn zu geben. So ist
es nicht zufällig, daß viele derartige Zele-
brationen des Formlosen unter dem Banner
einer technischen Utopie stattfinden. Die
iritierenden und ironischen Metaphern von
“Archigram“ oder der ‘““Archizoom Grup-
pe”, oder der Architektur als Explosion
von Fragmenten bei John Johansen haben
ihre Wurzeln tief im technologischen My-
thos. Damit kann die Technologie in die
Konfiguration eines vollständig virtuellen
Raumes verstrickt werden. Auf mythische
Weise kann sie als ‘zweite Natur” interpre-
tiert werden, als Objekt der Mimesis; sie
kann Subjekt des Formalistengeplauders
werden, wie es in einem Teil der Arbeiten
des sowjetischen Konstruktivismus ge-
schah, in denen sich die Form selbst zer-
stört, um Botschaften zu übermitteln, die
dem gleichen Prozeß der Selbstzerstörung
entspringen. Dann gibt es jene, wie Bruno
Zevi, die versuchen einen Code aus dieser
programmierten Selbstzerstörung zusam-
menzustellen 30), Was sich an Bedeutung
hinter dieser Begeisterung für das abstrakte
Geräusch verbirgt, ist die generelle Erfah-
rung ihrer masochistischen Selbstzerstö-
rung. Eben aufgrund dieser Erfahrungen
kann eine kritische Methode, wie sie von
der technologischen Ästhetik Max Benses
oder der Informationstheorie Abraham
Moles angeregt wurde, erfolgreich einge-
setzt werden. Das ist nur möglieh, weil sie
auf noch eindrucksvollere Weise als Stirling
versuchen, eine Sprache zu finden, die dem
Reich der Technologie entspricht. Sie
versuchen die ganze physische Umwelt mit
einem vergrößerten Informationsquantum
in der Absicht zu belegen, ‘“Wort und
Objekt zu einigen’ und neben die Exi-
stenz des Alltäglichen eine autonome
Struktur der Kommunikation zu stellen. So
ist es nicht zufällig, daß die abgetragenen
Images von Archigram oder die artifiziellen
und vorsätzlichen Ironien von Robert
Venturi oder von Hans Hollein das Feld der
architektonischen Handlungsmöglichkeiten
zugleich erweitern und einschränken. Sie
erweitern sie insofern, als ihr Ziel die Be-
herrschung des gesamten sichtbaren Raum-
es umfaßt und schränken sie insofern ein,
als sie diesen Raum aussschließlich als
ein auf Superstrukturen aufgebautes Netz
begreifen.
Auch hier gibt es schon ein konkretes Er-
gebnis, das sich aus Projekten, wie dem von
Robert Venturi und Rauch für die amerika-
nische Zweihundertjahresfeier 31) in Phila-
delphia ergibt. Hier herrscht nicht mehr der
Wunsch vor, zu kommunizieren, sondern
die Architektur wird stattdessen in ein un-
strukturiertes System kurzlebiger Zeichen
aufgelöst. Anstelle der Kommunikation
gibt es einen Informationsstrom. Anstelle
der Architektur als Sprache finden wir hier
den Versuch, sie ohne ideologische Reste
auf ein Massenmedium zu reduzieren. An-
stelle des besorgten Bemühens um die Wie-
derherstellung eines urbanen Systems,
herrscht hier die desillusionierte Anerken-
nung der Wirklichkeit, die zu einem Ex-
zess des puren Zynismus gesteigert wird.
(Trotz allem: Exzesse beinhalten immer
auch eine kritische Konnotation). Auf diese
Weise bewirkt Venturi, indem er sich in
einem ausschließlich sprachlichen Rahmen
bewegt, die Entwertung der Sprache selbst.
Die Bedeutung der P/akatwelt 31 a), der
Welt der Publicity ist in sich selbst gefan-
gen. Venturi kommt auf diese Weise zu
einem Ergebnis, das dem der kompositio-
nellen Rigoristen symmetrisch gegenüber-
steht. Ihre Konsequenz liegt in der Wieder-
herstellung des “Wesens” der Architektur.
Für Venturi liegt demgegenüber das ‘“We-
sen’ — nachdem er entdeckt hat, daß die
innere Ambiguität der Sprache, ist sie erst
einmal mit der Wirklichkeit in Berührung
gekommen, jeden Vorsatz zu ihrer Autono-
mie illusorisch macht — im Nichtgebrauch
der Sprache.
Eine Warnung an alle: In keinem der bei-
den Fälle täuscht die Sprache sich selbst:
Wenn sich die Protagonisten der zeitgenös-
sischen Architektur manchmal in der Mas-
ke eines Don Quichote äußern, dann ist
diese Haltung weniger äußerlich, als es zu-
nächst erscheint, denn tatsächlich beinhal-
tet diese Haltung unbewußt eine wahre
Sprache, eine ‘Sprache der Desillusionie-
rung”. Die Sprache hat hier den Punkt er-
reicht, wo sie sich über ihre eigene Isolation
äußert, wie wenn sie aufs Neue einen Weg
nachzugehen sucht, der auf der Mechanik
ihrer eigenen Schreibweise beruht; oder als
ob sie beabsichtigt, in den problematisch
Raum der Existenz hineinzuforschen. Den-
noch — wiederholt nicht dieser Weg, der hi-
storisch die letzten zwei Jahrzehnte umfaßt,
ein bekanntes Ereignis? Ist nicht die Ant-
wort von Mallarme ‘Es ist das Wort selbst,
das spricht‘ 32) analog zur tragischen Er-
kenntnis von Kraus und Loos: ” ....die
Tat (hat) das Wort, .... , aber das, was nur
gedacht wird, (ist) unaussprechlich”’? Liegt
nach dem Gesagten das Schicksal der histo-
rischen Avantgarde nicht darin, daß sie sich
mit dem Plan (einem ohnehin vereitelten
Plan) zur Organisation der Wirklichkeit
selbst zerstört? Die Rückkehr zur Sprache
ist ein Beweis für dieses Versagen. Es scheint
notwendig zu sein, daß wir untersuchen,
bis zu welchem Grad das Mißlingen dem in-
neren Charakter der architektonischen Dis-
ziplin und bis zu welchem Grad, es einer
noch ungelösten Ambiguität geschuldet ist.
Michel Foucault hat bemerkt, daß eine
gewisse Ungleichzeitigkeit zwischen den
Arten der Sprachverwendung besteht: “Die
Diskussionen, die fortwährend geführt wer-
den und die Wortwechsel, die von den ur-
sprünglichen Handlungen angeregt werden
und zugleich mit ihnen enden, und (dem-
gegenüber) die Diskussionen, die am An-
fang einer bestimmten Anzahl neuer Hand-
lungen und Begriffe stehen, die diese auf-
nehmen, sie transformieren oder von ihnen
erzählen — mit anderen Worten Diskussio-
nen, die unabgeschlossen hinter ihren eige-
nen Formulierungen zurückbleiben, die ge-
führt werden, geführt wurden und immer
noch geführt werden müssen” 33), Das ist
eine Zeitverschiebung, die offensichtlich
nicht absolut zu sein scheint, die aber stark
genug ist zur funktionalen Unterscheidung
zwischen den sprachlichen Organisationse-
benen. Die moderne Bewegung hat insge-
samt versucht, derartige Zeitverschiebun-
gen auszuschalten (wir beziehen uns spezi-
ell auf den polemischen Standpunkt von
Hannes Meyer, auf den präzisen Rationa-
lismus von Hans Schmidt, auf die Haltung,
die von den Zeitschriften wie ABC oder G
eingenommen wurde und auf die ästheti-
schen Schriften von Kare/ Teige, Walter
Benjamin und Hans Mukarovsky)34).
Aber es ist Foucault selbst, der den Mangel
dieser Vorgehensweise erkannt: ‘Die radi-
kale Aufhebung dieser Zeitverschiebung
kann nur ein Spiel sein, eine Utopie, oder
ein Ergebnis der Angst. Ein Spiel nach Bor-
ges mit einem Kommentar, der nichts ande-
res sein will als eine Wiederholung des schon
dargestellten, Wort für Wort (jetzt jedoch
feierlich und lang ersehnt): wiederum das
Spiel einer Kritik, die endlos von einem
Werk spricht, das nicht existiert” 35).
Keinesfalls haben wir es hier mit einer
Vorgehensweise zu tun, die der verwandt
ist, die Jencks als die der “Supersensuali-
sten” 36) bezeichnet hat; d.h. die eines,
Hans Hollein, Walter Pichler oder Riccardo
Bofill. Ihnen sind ein großer Teil der späte-
ren Arbeiten Frank Loyd Wrights vorange-
gangen, wie auch die impotenten Antizipa-
tionen der technologischen Avantgardisten.
Die Ausschaltung der Zeitverschiebungen
zwischen jenen Diskussionen, ‘welche ge-
sprochen“‘‘ und denen, ‘welche gesagt wer-
den“, ist auf der Ebene der Sprache selbst
nicht zu erfüllen. Der Ausbruch der Archi-
a