der Architektur” nicht länger übersehen,
drängen sie sich doch unaufhaltsam ins
Revier auch der akademisch qualifizierten
Gestalter, die alle Spielarten des früher ge-
schmähten Publikumsgeschacks verlegen
zu akzeptieren beginnen. Ja, mehr noch:
In offiziösen Diskussionen um Milieu und
Neue Un-Sachlichkeit wird die Not gestal-
terischer. Ratlosigkeit zur Tugend sozialer
Einsicht erklärt. Nicht mehr nur die for-
male Hochsprache der Vorbilder zählt.
Auch wenn die vorgetragene Begeisterung
zwischen den Polen sozialen Engagements
und modischer Volkstümelei schwankt:
Man versucht wieder, ‚dem Volk aufs Maul
zu schauen’ und regionale Dialekte auch
in der Architektur zu unterscheiden. Und
auch dafür ist in Kongressen schnell ein
Begriff zur Hand: Im ‚Neuen Regionalis-
mus’ wird die Anbindung der Gestaltung
an lokale Traditionen propagiert. Nach
Jahren sozialwissenschaftlicher Orientie-
rung und theoretisierender Wahrheitssu-
che wird in Rückwendung auf die sinnlich
erfahrbaren Qualitäten räumlicher Gestal-
tungsmittel die Sinnlichkeit der Schreber-
gärten und Ersatzarchitekturen entdeckt.
Das Kitsch-Verdikt wird aufgehoben. Mit
wachsender Sensibilität für die Vielfalt
und Wirksamkeit ästhetischer Ausdrucks-
formen scheint die Abnabelung vom nai-
ven Funktionalismus endgültig vollzogen
und dessen einheitsstiftende Kraft verlo-
ren. Ein neuer Historismus steht an: ‘Die
historischen Muster werden als Form frei
für neue Interpretation, neue Bedeutung,
neue Nähe. Sie werden mit neuen Augen
gesehen. Daß sie dies aushalten, rückt sie,
in der Konvention unseres Sehens, in den
Bereich der Kunst.” 5) Erst allmählich,
doch mit wachsender Intensität „fangen
die Architekten an, sich im Zeichen sin-
kender Neuproduktion für die Probleme
der historischen Zentren und der alten
Wohnviertel zu interessieren” 6) — zumal
sich auch durch die neueren gesetzgeberi-
schen Maßnahmen zu Wohnungsmoderni-
sierung und -eigentum die künftigen Tä-
tigkeitsfelder bis in die Umorganisierung
bereits bestehender Wohnungen verlagern.
Mit der schwärmerischen Entdeckung von
Trivialarchitektur und Alltagsästhetik be-
ginnen sich Architekten und Planer auf
eine veränderte Situation einzustellen.
Die publikumswirksame Aufbereitung
lokaler Besonderheiten -- in der inter-
kommunalen Konkurrenz um Attraktivi-
tätsvorteile durch Imagepflege und Städ-
tewerbung vorgeprobt — wird in der Ar-
chitekturproduktion konkret; flankiert
von kommunalpolitischen Maßnahmen
zur ‚Festigung der Ortsbindung und Wohn-
zufriedenheit’ durch die gestalterische
Aufwertung innerstädtischer Wohnquar-
tiere, durch die Inszenierung von Stadteil-
festen und die Verbreitung von Identifi-
kationssymbolen wie Stadt-Maskottchen
und Auto-Aufkleber.
Mit Blick auf die aktuellen ökonomi-
schen und politischen Bedingungen des
Stadtumbaus ließen sich viele der publi-
zistisch hochgespielten Star-Statements
und Diskussionen leicht als bloße Reakti-
on auf handfeste gesellschaftliche Ent-
wicklungen darstellen, die fast mechanisch
einen Wandel des Gestaltungsverständnis-
ses und eine restlose Funktionalisierung
des Ästhetischen nach sich zu ziehen
scheinen. Dabei würde in höchst selekti-
ver Sicht freilich nur ein Aspekt architek:
tonischer Praxis und Theoriediskussion
erfaßt, da das wachsende Unbehagen an
den engen Verwertungsbedingungen auch
der ästhetischen Produktion zu zwei
scheinbar weit auseinanderlaufenden Al-
ternativ-Orientierungen führt, deren Be-
rührungspunkte noch auszumachen sind.
Obwohl die im folgenden thesenartig skiz:
zierten Tendenzen ohne eine Analyse der
objektiven Bedingungen der krisenhaften
Berufsentwicklung nicht mehr abgeben
können als ein aus unabgeschlossenen Ge-
sprächen zusammengestelltes Diskussions-
material, das ebenso unabgeschlossen und
widersprüchlich bleibt wie diese selbst, sol-
len einige Orientierungsversuche vorgestellt
werden, um weitere Diskussionen zu pro-
vozieren.
Auf der einen Seite wird neuerdings
eklektizistischem Design wieder die Sper-
rigkeit innerästhetischer Strukturprinzipien
entgegengesetzt: Eine — besonders im
Hochschulbereich festzustellende — neue
Entwurfsorientierung und Re-Ästherisie-
rung sucht statt modischer Anpassung an
wechselnde Gestaltungsklischees formale
Alternativen und in Stadtreparaturen An-
bindung an historische Strukturen, die sich
gegen waren-ästhetische Aufbereitung sper-
ren sollen, zumeist aber nicht mehr als
aufgeputzte Formzitate und architekto-
nische Text-Collagen aus dem gestalteri-
schen Vokabular der Geschichte des wie-
derentdeckten Stadt-Raums bieten. Politi-
sche und soziale Fragen der Stadtentwick:
lung und Wohnverhältnisse werden nicht
mehr gestellt, wo die Bauten den ‚„‚indi-
viduellen Anforderungen einer gebildeten
Mittelschicht genügen ” und im aktuellen
Trend eine exklusive,,innerstädtische Al-
ternative zum ‚Wohnen vor der Stadt’ dar-
stellen” sollen 7a); Mit verklärtem Blick
auf große Vorbilder der Baugeschichte und
das ästhetische Glück künftiger Generatio-
nen wird die schlechte Gegenwart mitsamt
ihren ökonomischen Verwertungszwängen
aus dem Bewußtsein verdrängt — ohne frei-
lich dadurch objektiv außer Kraft gesetzt
zu sein.
Auf der anderen Seite versuchen Archi-
tekten statt Rückzug in die Freiräume for-
maler Experimente den Angriff: durch Po-
/itisierung ihrer Berufssituation und durch
Suche nach oraganisatorischen Bindunaen.
die auf langfristige Veränderung der gege-
benen gesellschaftlichen Bedingungen der
Architekturproduktion abzielen, wobei
die formale Qualität der zwischenzeitlich
entstehenden Produkte relativ gleichgül-
tig bleibt.
Vorwärts oder zurück?
In grober Polarisierung wurden oben ver-
schiedene Reaktionen auf die beschleunig-
te Auflösung eines Berufsstandes zusam-
mengefaßt, dessen Mitglieder ihre berufli-
che und persönliche Identität häufig aus
einem diffusen künstlerischen Selbstver-
ständnis beziehen, das in der gesellschaftli-
chen Realität kaum mehr verankert ist.
Dennoch scheinen traditionelle Berufsvor-
stellungen gerade hier ein merkwürdiges
Eigenleben zu führen. Trotz sinkender Be-
rufschancen drängen sich die Studienplatz-
bewerber weiter um Ausbildungsplätze für
einen Beruf, der immer noch Möglichkeiten
zu bieten scheint, in. Formen nicht-entfrem-
deter Arbeit sich selbst oder anderen Denk-
mäler zu setzen, Kunst mit Handwerk und
Technik zum gebauten Werk zu vereinen —
in Architektur.
Erst im Übergang zur beruflichen Praxis
wird die gesellschaftliche Wirklichkeit
schmerzhaft erfahren — sofern durch einen
festen Arbeitsplatz überhaupt ein Übergang
möglich wird: Das große Geld bleibt jedoch
meist ebenso aus wie die großen Aufträge;
kleinliche Kompromißarchitekturen, Um-
bauten und Routinetätigkeiten bestimmen
die berufliche Alltagspraxis, in der allen-
falls das Ausfeilen und Durchsetzen einiger
‚anständiger’ Details Ersatz für die erhoff-
ten künstlerischen Tätigkeiten bieten.
Je stärker unter dem Druck verschärfter
Rationalisierung, Arbeitsteilung oder gar
Arbeitslosigkeit die oft zur Berufswahl mo-
tivierende ‚künstlerische Selbstverwirkli-
chung’ im beruflichen Alltag versagt bleibt,
umso näher liegt die Flucht in die. verblei-
benden Nischen, in denen autonom noch
Gestaltungsprinzipien entfaltet werden
können, solange sie die finanzielle Kalku-
lation nicht stören. Werden auch diese Lük-
ken geschlossen, bleibt als letzter Ausweg
noch die kompensatorische Verlagerung ins
Private und die Bewunderung für die Werke
künstlerischer Vorturner, hinter deren Er-
folg die eigene Misere als individuelles Ver-
sagen und Schicksal erscheint. Wie in ande-
ren Jobs führt dann auch hier die Suche
nach dem ‚eigentlichen‘ Leben zur Ver-
drängung des Berufsalltags und zum Rück-
Zug, wobei jedoch eine Nabelschnur bleibt:
Schon vom täglichen Umgang mit dem Ar-
beitsgegenstand her liegt die Ästhetisierung
eines individuellen Lebensstils nahe, wenn
die Hoffnung auf gestalterische Verallge-
meinerung aufgegeben werden muß, die
über Jahrzehnte Motor des ‚messianischen’
Funktionalismus war. Die berufliche Iden-