tität findet ihre Verklärung in einer elabo-
rierten Wohnkultur, durch die sich Archi-
tekten — freilich — von anderen Berufsgrup-
pen deutlich unterscheiden. Vom heimli-
chen Schwärmen für handmade houses bis
zur phantasievollen Umnutzung und Her-
richtung alter Bauernhäuser und Mühlen
zur heilen Gegenwelt, in der man wieder
ungestört Zeichnen und Aquarellieren kann
eröffnen sich weite Felder für Ausbruchs-
versuche zur Umsetzung gestalterischer
Phantasie, die in der durchrationalisierten
Berufspraxis keinen Platz mehr findet.
Fernab vom Elend der Vorstädte und von
den Folgen der Stadtzerstörung selbst nur
selten wirklich betroffen, läßt sich von Ar-
chitekten und Planern die Konfrontation
mit den sozialen Zusammenhängen und
Auswirkungen ihres beruflichen Handelns
oft noch umgehen. Das soziale Engagement
reduziert sich auf einsam getroffene Gestal-
tungs-Entscheidungen, auf ästhetische Er-
ziehung vom Reißbrett aus: Nur für die
Form des Produkts will man verantwortlich
sein; nach dem Muster des eigenen Lebens-
stils werden die Vorstellungen alternativer
Lebensformen identisch mit Vorstellungen
eines angepaßten Lebens in gegenständli-
chen Formalternativen.
Während diese /ndividualistischen Versu-
che zur Bewältigung der beruflichen Situa-
tion eine weitgehende Verdrängung der ob-
jektiven Lage und Abhängigkeiten erfor-
dert, setzen organisatorische Lösungsversu-
che gerade an der Einsicht in deren ‚un-
sichtbare’ strukturelle Bedingungen an,
die sowohl die Arbeitssituation als auch die
Gestalt und Verwertung der Produkte be-
stimmen. Indem Architekturproduktion als
Lohnarbeit vor dem gleichen Hintergrund
interpretiert wird wie die Arbeit anderer
Lohnabhängiger, wird zwischen beruflichen
Aufgaben und politischer Identität geschie-
den und Anschluß an Parteien und Organi-
sationen gesucht, die nichts mehr mit der
Pflege eines ständischen Selbstbewußtseins
zu tun haben. Dabei ist die Verankerung
der Politik am Arbeitsplatz — etwa durch
gewerkschaftliche Arbeit — hier besonders
schwierig, da oft die noch relativ ‚lockere‘
Organisationsstruktur der Büros und die in-
ternalisierte Identifikation mit der Arbeit
Verdrängungsprozesse erleichtern, zumal
der mit künstlerischen Ambitionen gepfleg-
te Individualismus eine harte Bewußtseins-
sperre bildet. Von diesem ‚aufgeklärten‘
Standpunkt aus erscheinen die künstleri-
schen Bereiche der Berufstätigkeit ledig-
lich als ideologisch überhöhte Nebentätig-
keiten. Da Architektur allemal als Bedeu-
tungsträger fungiert und die warenästheti-
sche Verkleidung der Bauten, die Darstel-
lung von Macht, Seriosität usw. unter dem
Diktat der Bauherren oder Bauträgergesell-
schaften als eine Aufgabe unter anderen
gesehen wird, verdient unter diesem Aspekt
architektonische Gestaltung in anti-ästhe-
tischem Affekt allenfalls ideologiekritische
Würdigung, sofern sie nicht Ausdruck und
Ergebnis solidarischer Anstrengungen zur
Verbesserung der sozialen und ökonomi-
schen Situation der in den Gebäuden woh-
nenden oder arbeitenden Lohnabhängigen
ist.
Berater-Konzepte
Zwischen diesen beiden grob konstruierten
Polen — der Verklärung künstlerischer Tätig-
keit infolge des Rückzugs in privatisieren-
den Ästhetizismus einerseits und der St/g-
matisierung künstlerischer Produktion
durch totalen Ideologieverdacht infolge ri-
gider Politisierung andererseits -—- lassen
sich inzwischen vermittelnde Tendenzen
feststellen: Tendenzen einer demokratisie-
rten Ästhetik 8) im Rahmen einer gesell-
schaftlichen Praxis, in. der bei den Versu-
chen zur Sicherung und Verbesserung der
sozialen und ökonomischen Lebensbedin-
gungen der arbeitenden Bevölkerung poli-
tisch-kulturelle Dimensionen erschlossen
werden, in denen auch die gegenständli-
chen Qualitäten der räumlichen Umwelt
in einem neuen Licht erscheinen. Von Ver
suchen sozial-orientierter Stadterhaltung
zum Schutz historisch ‚gewachsener’ So-
zialstrukturen und vergegenständlichter
Sinngefüge, über die Beratung und Unter-
stützung von Arbeiter; 9), Mieter- 10) und
Bürgerinitiativen, bis hin zur Entwicklung
Planungs-didaktischer Methoden zur ‚mas-
senhaften’ Vermittlung der bislang beruf-
lich monopolisierten Gestaltungs- und Pla-
nungskompetenzen werden in verschiede-
nen Praxisbereichen Ansätze unternommen
unter Verzicht auf gestalterische Determi-
nation den Entscheidungs- und Handlungs-
spielraum der sonst bloß ‚Beplanten’ zu
erweitern, um dadurch deren Alltagspraxis
zu verändern und zu bereichern. Dabei sind
die gegenständlichen Qualitäten der Gestal-
tungs-Produkte allererst vor dem Hinter-
grund der sozialen Prozesse ihrer Produkti-
on, Veränderung und den dabei den Nut-
zern gegebenen Einfluß- und Aneignungs-
möglichkeiten zu beurteilen 11): also weder
nach den ‚objektiven‘ Gestaltqualitäten
im Rahmen fachinterner Qualitätsmaßstä-
be, noch in bloßer Kritik der ‚subjektiven‘
Erlebnisqualitäten waren-ästhetischer Ge-
staltungsklischees.
In einer Politisierung der ästhetischen
Praxis zeichnet sich eine Vermittlung bis-
her scheinbar unvereinbarer Positionen ab.
In konsequenter Auflösung der traditionel-
len Deutungsmuster bleibt die Übernahme
der Nutzer-Perspektive nicht beschränkt
auf touristische Aspekte gegenständlicher
Milieu-Sicherung, sondern führt durch sozi-
ale Betroffenheit zu parteilichem Handeln
durch die Berufspraxis hindurch. „Der Ar-
chitekt kann die Durchsetzung alternativer
Lebensweisen und befreiter Formen der
Bedürfnisbefriedigung nicht durch die Ver-
besserung seiner Werke allein erreichen,
sondern vor allem durch die Veränderung
ihrer Produktions- und Nutzungsbedingun-
gen, durch die Ermöglichung kollektiver
Aneignungsprozesse. 12) Der herrschenden
Orientierung an den gegenständlichen Qua-
litäten der Bau-Produkte wird eine Prozeß-
Gestaltung gegenübergestellt, da erst in hi-
storischem Prozeß durch solidarisches Han-
deln schließlich auch jene alternativen For-
mensprachen gefunden werden können,
welche die Formalisten am Zeichentisch
konzipieren zu können hoffen und doch
warenästhetischer Vereinnahmung nicht
entgehen.
Anstelle der mit der Stadtzerstörung
einhergehenden Errichtung von Prestige-
symbolen, Kulturfassaden, Reparatur- und
Dekorationsversuchen wird daher die Si-
cherung und Ausweitung lebenspraktischer
Aneignungs-Möglichkeiten und kollektiver
Form-Findungen zur Aufgabe einer sozia-
len Praxis, durch die Fachkompetenz und
gestalterische Phantasie zu Momenten so-
zialer Bewegungen werden, die bereits Vor-
feld parteipolitischer und organisatorischer
Bindungen zur Politisierung des Alltags bei-
tragen: Obwohl die Ablösung der Waren-
ästhetik letztlich erst mit der Auflösung
der Warenwirtschaft möglich wird, sollen
kulturelle Voraussetzungen geschaffen
werden, durch die sich über veränderte
Verkehrsformen schon im Schoße gegen-
wärtiger Zustände auch alternative Lösun-
gen räumlicher Gestaltung ahnen lassen.
Nach programmatischen Formulierungen
setzt der Prozeß praktischer und theoreti-
scher Klärung solcher Perspektiven gerade
erst ein; heterogene Bestimmungsversuche
stehen gegeneinander und werden durch
erste Erfahrungen relativiert, die aber im-
merhin einen Übergang zu einem neuen, SO-
zial verantwortlichen Berufsverständnis
und einer berufsbezogenen politischen Pra-
xis zu markieren scheinen. Noch bieten die
praktischen Ansätze ein schillerndes Spek-
trum zwischen ästhetischer Scharlatanerie
und emanzipatorischer Mediendidaktik,
zwischen vorgreifender Berufsqualifikation
und Sozialtechnologie, wie einige Beispiele
zeigen, die hinführen sollen zu solcher
Raum-, Selbst- und Gesellschaftsentdek-
kung ineins: In großmaßstäblichen Model-
len lernen Kinder mit Hilfe geschulter Ge-
stalter ihre Umwelt neu kennen, spielerisch
verändern und verfremden; anderswo wird
unter Anleitung kreativer Initiatoren ein
„Experiment zur Aneignung eines Straßen-
raumes durch seine Bewohner” 13) durchge-
führt; in Schul- und Volkshochschulkursen
lernen Bewohner einer Stadt interessenspez!
fische Planungsalternativen unterscheiden,
kritisieren und selbst formulieren; Mieter
planen in Treppenhausgesprächen, wechsel-
seitigen Wohnungsbesuchen und Versamm-
lungen mit Architekten und Studenten ge-
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