punkte, Jugendzentren und Kulturstätten
eingerichtet und durch die Nutzer selbst
verwaltet werden; wenn Straßen blockiert,
mit Tischen und Stühlen bestellt, zum
Raum selbstorganisierter Feste werden und
nun tatsächlich als Bühne dienen: für Stra-
Bentheater und ‚spielerische‘ Aufklärungs-
arbeit. Mit wachsendem sozialen Engage-
ment wird Architektur als politisches Me-
dium entdeckt, werden Entwurf und Dar-
stellung zu Mitteln der Aufklärung. In an-
schaulichen Plänen, Bildern, Modellen und
gemeinsamen Aktionen werden die gemein-
schaftliche Umgestaltung und Nutzung von
Hinterhöfen, Vorgärten, Straßenräumen,
von leerstehenden Wohnhäusern, Fabrik-
hallen und Kirchen konkret vorstellbar. So
treten neben die handfesten Forderungen
nach billigeren und besseren Wohnungen,
Verkehrs- und Versorgungseinrichtungen
zunehmend auch Vorstellungen von weiter-
gehenden Veränderungen im Stadtteil. Wa-
rum soll es nur in den Einkaufszentren
Fußgängerbereiche und Straßenmöblierun-
gen geben, warum nicht Spielstraßen mit
Bretterbuden und Klettergerüsten in den
benachbarten Wohngebieten, in deren Stra-
ßen der Autoverkehr aus den Zentren ab-
gedrängt wird? Warum soll ‚Stadtgestaltung’
nur dort konzentriert sein, wo sie der At-
traktion zahlungskräftiger Käufer und Mie-
ter dient?
Die Umgestaltung der Innenstädte hat
einen neuen Horizont von Vorstellungs-
möglichkeiten eröffnet, der sich nicht mehr
auf das Hier und Jetzt der vorhandenen
Angebote eingrenzen läßt, sondern durch
das Aufzeigen konkreter Alternativen stän-
dig ausgeweitet werden kann. Damit ge-
winnt selbst die an der Stadtbild-Verschö-
nerung ansetzende ‚Humanisierung der
Städte’ allmählich eine Eigendynamik, die
auch durch administrative Partizipationsan-
gebote nicht vollständig kontrollierbar wird.
Eine Pol/itisierung der Stadtgestaltung tritt
der Ästhetisierung einer Kommunalpolitik
entgegen, die neben den ökonomischen
Verwertungsbedingungen vor allem die
Loyalität der Bevölkerung sichern muß und
dabei unter wachsenden Legitimations-
druck gerät.
Mit neuen Formen der Nutzung und Ver-
änderung städtischer Räume geht somit zu-
gleich eine „Transformation der Alltäglich-
keit” einher, indem durch Veränderung
und Verfremdung vertrauter Situationen
auch neue Verkehrsformen erprobt werden
können. Doch selbst an vertrauten Lebens-
formen kann sich das geforderte „‚Differenz-
wissen zum status quo” entfalten, wenn
z.B. ‚rückständige’ Arbeiterkulturen gegen
die Bedrohung durch Zerstörung oder ‚Mo-
dernisierung‘ verteidigt werden und dabei
nicht nur der Gebrauchswert der entspre-
chenden Bau- und Siedlungsformen neu
entdeckt und mit neuem Bewußtsein wahr-
genommen wird.
So richtet sich unter politisch-sozialem
Aspekt das ästhetische Interesse zunächst
auf die Produktions-, Veränderungs-, Ge-
brauchsformen, auf Zwischen-Räume und
ihre Benutzung, dann erst auf die gebauten
Formen der Architektur: Ästhetische Er-
Fahrung wird nicht länger als Ergebnis kon-
templativer Versenkung nach Vorgabe ver-
dinglicht tradierter Kulturkenntnis be-
griffen, sondern im Kontext politischen
Handels als Prozeß einer lebenspraktischen
Aneignung, der erst im Verlauf vielfältiger
und sinnlicher Erfahrung zur Ausbildung
von differenzierten kognitiven Kompeten-
zen und affektiven Bindungen führt.
Höhenflug in Sackgassen?
Leicht lassen sich solche Perspektiven am
Schreibtisch entwickeln und in Artikeln als
Programme verbreiten. Eine modische Neu-
auflage abgestandener Avantgarde-Diskussi-
onen? Bei genauerer Betrachtung landen
die konzeptionellen Höhenflüge hart auf
dem. Boden der Tatsachen, zu deren Verän-
derung sie abhoben. Der Architekt kann
kaum beides sein: Baumeister der Reichen
und Mächtigen und Tunnelgräber der Aus-
gebeuteten und Unterdrückten in einer Per-
son. 26) Der Architekt: lebt er zumeist
doch gerade davon, die Lebensbedingungen
in den Städten so zu verändern, daß sich
auf Kosten der Masse ihrer Bewohner da-
mit mehr Geld verdienen läßt als zuvor,
und zu dessen Aufgaben in wachsendem
Maße — unterstützt von entsprechend qua-
lifizierten Sozialarbeitern und Wissenschaft-
lern -— nicht nur die Durchführung der (phy-
sischen) Baumaßnahmen gehört, sondern
auch die (psychische) Vorbereitung der
Bewohner. Konsequent muß sich die Be-
ratung und Mitarbeit in Arbeiter- und
Mieterinitiativen gegen das Standesinte-
resse wenden, muß zurückschlagen auf
beruflichen Erfolg und erreichte Positio-
nen, wenn soziales Engagement ernstge-
nommen wird und nicht selbst schon
zur karriere- oder geschäftsfördernden
Unterwanderung der ‚Basis’ von oben
her dient. So kommt die Forderung nach
Unterstützung sozialer Bewegungen in au-
ßerparlamentarischen und -institutionellen
Bereichen leicht einem naiven Bekenntnis
gleich.
Rasch bleiben Planungsbüros und -genos-
senschaften in der Auftrags-Konkurrenz
auf der Strecke, wenn sie durch kommunal-
politische Aktivitäten nicht nur ‚mitmi-
schen’, sondern sich einzumischen versu-
chen; rasch sind die ‚progressiven’ Flügel
der Planungsabteilungen im Ränkespiel der
Behörden gestutzt und lahmgelegt, wenn
ohne geschickte Fraktionierung und Bünd-
nispolitik örtlichen Initiativen zugearbeitet
wird oder schon in der extensiven Ausle-
gung und Anwendung institutionell und
rechtlich gegebener Möglichkeiten ein
Schritt zu weit gegangen wurde. Wenn das
Engagement bis in die berufliche Praxis
überhaupt vorhält, sind von dort aus aller-
erst die örtlichen Besonderheiten, die insti-
tutionellen und personellen Gegebenheiten
und damit auch die Zielrichtung und
Reichweite der anvisierten Konfliktstrate-
gien zu bestimmen. Doch erst die Sicht auf
übergreifende gesellschaftliche Entwicklun-
gen schult den Blick für jene Bereiche, in
denen der Einsatz sich lohnt, und gibt
zugleich Phantasie und Detailschärfe zur
Entdeckung finanzieller, rechtlicher und
institutioneller Möglichkeiten der Vor- und
Zuarbeit für örtliche Initiativen und Mieter-
selbstorganisation. Selbst unter günstigsten
Bedingungen in Büros und Planungsämtern,
in Kooperation mit ‚fortschrittlichen‘
Lehrern, Sozialarbeitern und Kommunal-
politikern bleibt jedoch die Wirksamkeit
der direkten und indirekten Mitarbeit in
Initiativen und deren Arbeit selbst von
umfassenderen gesellschaftlichen Bedin-
gungen bestimmt, die gleichsam das Klima
abgeben, in dem Ansätze politischer
Selbstbestimmung und -verwirklichung sich
entfalten oder ersticken. So haben in den
letzten Jahren wirtschaftliche und poli-
tische Entwicklungen ein Klima geschaffen,
in dem ‚mehr Demokratie zu wagen’ tat-
sächlich wieder zum Wagnis wird: Durch
rechtliche Regelungen wurde zwar der
Rahmen für institutionalisierte Partizipati-
on, Sozialplanung und Härteausgleich er-
weitert, zugleich aber Ansätze spontaner
Probehandlungen, Meinungsäußerung,
Bedürfnisartikulation und Selbstorganisati-
on in die Nähe krimineller Handlungen
gerückt. 27) Um hier Vereinzelung und
Kriminalisierung zu verhindern, bedarf es
neben der Aktion und Organisation einer
offenen und offensiven Gegenöffentlich-
keit zur herrschenden Öffentlichkeit der
Massenmedien, 28) bedarf es der ‚Betriebs-
protokolle’ aus Initiativen, Büros, Ämtern
und Parlamenten. Was zur Entfaltung einer
lebendigen politischen Kultur im Bereich
städtischer Konflikte jedoch vor allem
(noch) fehlt, ist eine ganze Tradition
konkreter Erfahrung von ‚Beratern vor Ort,
von Konsequenzen, die aus sozialer Betrof-
fenheit und parteilichem Handeln zur Ver-
änderung auch des eigenen Lebenszusam-
menhanges gezogen wurden, ihre Aufarbei-
tung und Veröffentlichung.
Solche Perspektiven freilich werden durch
die ‚Neue Entwurfsorientierung‘ trotz al-
ler darin vermuteten ‚emanzipatorischer
Potentiale’. eher verstellt als erweitert. Im
Gewand einer ‚Rückbesinnung auf die ‚e!-
gentlichen‘ Aufgaben der Architektur und
der Architekten droht ihnen wieder die
Abkapselung von einer gesellschaftlichen
Alltagswirklichkeit, die eben erst schüch-
tern entdeckt wird.
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