Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

Springerhochhaus 
Blumenhalle 
Kammergericht 
(Berlin-Museum) 
ehringn a 
zerstörter Stadtgeschichte 
Ausstellungsobjekt südliche Friedrichstadt 
WISS 
Leere hin durchsichtig. Es bildet sich in 
ihr keine Auseinandersetzung ab, das Hi- 
storische hinterläßt keine Spur, es ist ein- 
fach weggebaggert, und die neue Bebauung 
steht da, als hätte es die zerstörte Stadt nie 
gegeben. 
Der stärkste Beweis für die Richtigkeit 
dieser, von den Machern nach wie vor be- 
lächelten Erfahrung ist die Forderung nach 
Stadtreparatur, die in Ost- und Westberlin 
gegenwärtig, bewußtlos, als Mode, die 
CIAM-Imitation abgelöst hat. Aber auch 
die Stadtreparatur behandelt die Zerstö- 
rung der alten Stadt nur als Naturkatastro- 
phe, als Unfall, der selber nicht darstel- 
lungswürdig ist, sondern über den hinweg 
so bündig wie möglich auf die alten Stadt- 
struktur zurückzukommen ist. Der Hoch- 
mut der neuen Stadtordnung ist vorbei, 
man weiß, daß dazu weder Anlaß noch 
Fähigkeit da ist. Es wird nicht ein neuer 
Rationalitätsbeweis erbracht, sondern es 
scheint eher, als wollte man Zustände vor 
dem Erdbeben rekonstruieren. Das frei- 
lich ist nicht der Fall, es war schon rich- 
tig, daß erst einmal alles verschwunden ist. 
Was jetzt als historische Stadtstruktur ge- 
baut werden soll und in Teilen demnächst 
gebaut wird, ist Stück für Stück geschichts- 
los, erinnerungslos — was an jedem der ein- 
zelnen Entwürfe für das Concepta-Projekt 
an der Lindenstraße zu zeigen wäre —, 
und legitimiert sich gleichzeitig auf hohem 
Abstraktionsniveau als Gebäudeeinheit und 
als Teil einer Straßenflucht an histori- 
schen Erscheinungsbildern (allerdings 
nicht denen, die vor der Kriegszerstörung 
das Viertel kennzeichneten). Es entsteht 
also eine historische Stadtbildlichkeit, die 
so assoziativ lose historisch ist wie die 
mediterranen Touristendörfer alt und spa- 
nisch, ländlich oder maritim. 
Repariert wird hier eine Bewußtseins- 
tatsache, das Bild der Stadt. Die Architek- 
tur liefert Assoziationsanlässe, außerhalb 
dieses assoziativen Prozesses wird Histori- 
sches nicht einbegriffen, weder die alten 
Wege und Höfe, noch die alten Zuordnun- 
gen von Arm und Reich, Wohnen und 
Handwerk, usw. Nicht, als wäre das zu 
fordern. Aber historische Rekonstruk- 
tion ohne wirklichen Gehorsam gegenüber 
den historischen Details bleibt unweiger- 
lich Inszenierung und Maskerade. Daß 
statt dieser genauen Details strukturale 
Marotten formalistischer Architekten an- 
geboten werden, macht die Sache nicht 
sinnvoller, sondern erhöht ihren Anteil 
an Irrealität, den Eindruck einer histori- 
schen Gestalt ohne reale Verankerung in 
einer Zeit und einem bestimmten Ort. 
Die wirkliche Geschichte ist dabei aus- 
geschlossen. Zu dieser Geschichte gehören 
nicht nur Bauten bestimmter Ausformung 
— sie wäre auch bei minutiöser Rekon- 
struktion verfehlt. Auch die Zerstörung 
ist Stadtgeschichte. Man darf — und man 
kann es dann auch gar nicht — eine zer- 
störte Stadt nicht so aufbauen, als sei 
nichts gewesen, genauer, man: kann diese 
Stadt Berlin, die dreizehn Jahre lang 
Hauptstadt des Faschismus war, Kom- 
mandozentrale einer Armee, die ganz 
Europa überfiel und Sitz einer Terroror- 
ganisation, die viele Millionen Menschen, 
Juden, Widerstandskämpfer, Sozialisten, 
Geisteskranke, Homosexuelle gefoltert, 
vergast, erschossen, zum Verhungern 
gebracht hat, einfach wiederaufbauen, 
als sei es irgendeine Stadt, als hätte es 
ein Erdbeben g£°geben, das Anlaß war, 
mit Gott zu hadern wie 1735, nicht aber 
mit diesem wiederaufbauenden Volk, die- 
ser nicht von der Erde verschwundenen 
Stadt. Wenn es Stadtgeschichte geben 
soll — wir haben keine andere. Wir haben 
historische Bauten nur durch die Zerstö- 
rung hindurch und eine Stadtgeschichte, 
in der die Lebensverhältnisse der Men- 
schen periodisch durch Verfolgung, Stra- 
ßenschlachten, Massenmord, Krieg und 
Hunger zerstört wurden. 
Die Friedrichstadt war darüber hinaus 
nicht nur Teil der Hauptstadt des Faschis- 
mus, sondern Sitz der wichtigsten Organe 
der Diktatur, fast Block für Block davon 
durchdrungen, was noch heute nicht ganz 
aus dem Stadtbild verschwunden ist. Neu- 
trales Trümmergelände oder eingezäuntes 
Grün bedeckt heute die sorgfältig von allen 
Resten befreiten Gelände. So wie das KZ 
Columbiahaus, in dem vier Jahre lang un- 
aufzählbare Greuel begangen wurden, im 
Zuge des Flughafenbaus 1936/37 unter 
dem Pflaster des Columbiadamms ver- 
schwand, so steht dem Reichssicherheits- 
hauptamt, dem Volksgerichtshof ein ähn- 
lich solides Vergessen bevor. Das reparier- 
te Stadtbild enthält keine Orientierungen 
für die wirkliche Geschichte, die der Brü- 
che, Lücken, Zerstörungen, für die weni- 
gen Spuren, die noch übrig sind, weil man 
sie beim Abriß und Ausgraben der Funda- 
mente übersah. So wenig, wie diese Gesell- 
schaft Kranke als Kranke (statt sie zu 
kasernieren) einbeziehen kann in ihr Le- 
ben, so wenig die Stadtplanung Zerstörtes, 
Halberhaltenes, Reste. 
Die Verallgemeinerung steht hier ab- 
sichtlich: es ist,so allgemein genommen, 
kein Zufall dieser Stadt, dieser Verwaltung. 
Die Unfähigkeit, mit Zerstörtem umzuge- 
hen, wird, je mehr die Zerstörungen sich 
häufen, ein Wesensmerkmal unserer Ge- 
sellschaft, daß sich im staatlichen Vorge- 
hen wie in den individuellen Verhaltens- 
weisen aller zeigt. Krankheit, Tod, Wahn- 
sinn werden ausgeschieden aus der Lebens- 
wirklichkeit und in speziellen Anstalten kon: 
zentriert; rassisch und national abweichen- 
de Gruppen werden, besonders wenn sie 
Gastarbeiter bzw. Asyl- und Arbeitsuchen- 
de aus Ländern der Dritten Welt sind, 
von Bürgerprotesten und staatlichen Ver- 
teilungsmaßnahmen durch die Städte ge- 
schoben, von Ghetto zu Ghetto, wie in 
Berlin Türken und Pakistaner; zur Herstel- 
lung der Sanierungsreife duldet man sie, 
wie die anpassungsfähigen eigenen Lands- 
leute in den Obdachlosensiedlungen. Auch 
das Bild der Stadt unterliegt diesem kollek- 
tiven Reinigungszwang: das Ideal der Ver- 
waltung wie der schweigenden Mehrheit 
ist die lückenlose, narbenlose Stadt mit 
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