Springerhochhaus
Blumenhalle
Kammergericht
(Berlin-Museum)
ehringn a
zerstörter Stadtgeschichte
Ausstellungsobjekt südliche Friedrichstadt
WISS
Leere hin durchsichtig. Es bildet sich in
ihr keine Auseinandersetzung ab, das Hi-
storische hinterläßt keine Spur, es ist ein-
fach weggebaggert, und die neue Bebauung
steht da, als hätte es die zerstörte Stadt nie
gegeben.
Der stärkste Beweis für die Richtigkeit
dieser, von den Machern nach wie vor be-
lächelten Erfahrung ist die Forderung nach
Stadtreparatur, die in Ost- und Westberlin
gegenwärtig, bewußtlos, als Mode, die
CIAM-Imitation abgelöst hat. Aber auch
die Stadtreparatur behandelt die Zerstö-
rung der alten Stadt nur als Naturkatastro-
phe, als Unfall, der selber nicht darstel-
lungswürdig ist, sondern über den hinweg
so bündig wie möglich auf die alten Stadt-
struktur zurückzukommen ist. Der Hoch-
mut der neuen Stadtordnung ist vorbei,
man weiß, daß dazu weder Anlaß noch
Fähigkeit da ist. Es wird nicht ein neuer
Rationalitätsbeweis erbracht, sondern es
scheint eher, als wollte man Zustände vor
dem Erdbeben rekonstruieren. Das frei-
lich ist nicht der Fall, es war schon rich-
tig, daß erst einmal alles verschwunden ist.
Was jetzt als historische Stadtstruktur ge-
baut werden soll und in Teilen demnächst
gebaut wird, ist Stück für Stück geschichts-
los, erinnerungslos — was an jedem der ein-
zelnen Entwürfe für das Concepta-Projekt
an der Lindenstraße zu zeigen wäre —,
und legitimiert sich gleichzeitig auf hohem
Abstraktionsniveau als Gebäudeeinheit und
als Teil einer Straßenflucht an histori-
schen Erscheinungsbildern (allerdings
nicht denen, die vor der Kriegszerstörung
das Viertel kennzeichneten). Es entsteht
also eine historische Stadtbildlichkeit, die
so assoziativ lose historisch ist wie die
mediterranen Touristendörfer alt und spa-
nisch, ländlich oder maritim.
Repariert wird hier eine Bewußtseins-
tatsache, das Bild der Stadt. Die Architek-
tur liefert Assoziationsanlässe, außerhalb
dieses assoziativen Prozesses wird Histori-
sches nicht einbegriffen, weder die alten
Wege und Höfe, noch die alten Zuordnun-
gen von Arm und Reich, Wohnen und
Handwerk, usw. Nicht, als wäre das zu
fordern. Aber historische Rekonstruk-
tion ohne wirklichen Gehorsam gegenüber
den historischen Details bleibt unweiger-
lich Inszenierung und Maskerade. Daß
statt dieser genauen Details strukturale
Marotten formalistischer Architekten an-
geboten werden, macht die Sache nicht
sinnvoller, sondern erhöht ihren Anteil
an Irrealität, den Eindruck einer histori-
schen Gestalt ohne reale Verankerung in
einer Zeit und einem bestimmten Ort.
Die wirkliche Geschichte ist dabei aus-
geschlossen. Zu dieser Geschichte gehören
nicht nur Bauten bestimmter Ausformung
— sie wäre auch bei minutiöser Rekon-
struktion verfehlt. Auch die Zerstörung
ist Stadtgeschichte. Man darf — und man
kann es dann auch gar nicht — eine zer-
störte Stadt nicht so aufbauen, als sei
nichts gewesen, genauer, man: kann diese
Stadt Berlin, die dreizehn Jahre lang
Hauptstadt des Faschismus war, Kom-
mandozentrale einer Armee, die ganz
Europa überfiel und Sitz einer Terroror-
ganisation, die viele Millionen Menschen,
Juden, Widerstandskämpfer, Sozialisten,
Geisteskranke, Homosexuelle gefoltert,
vergast, erschossen, zum Verhungern
gebracht hat, einfach wiederaufbauen,
als sei es irgendeine Stadt, als hätte es
ein Erdbeben g£°geben, das Anlaß war,
mit Gott zu hadern wie 1735, nicht aber
mit diesem wiederaufbauenden Volk, die-
ser nicht von der Erde verschwundenen
Stadt. Wenn es Stadtgeschichte geben
soll — wir haben keine andere. Wir haben
historische Bauten nur durch die Zerstö-
rung hindurch und eine Stadtgeschichte,
in der die Lebensverhältnisse der Men-
schen periodisch durch Verfolgung, Stra-
ßenschlachten, Massenmord, Krieg und
Hunger zerstört wurden.
Die Friedrichstadt war darüber hinaus
nicht nur Teil der Hauptstadt des Faschis-
mus, sondern Sitz der wichtigsten Organe
der Diktatur, fast Block für Block davon
durchdrungen, was noch heute nicht ganz
aus dem Stadtbild verschwunden ist. Neu-
trales Trümmergelände oder eingezäuntes
Grün bedeckt heute die sorgfältig von allen
Resten befreiten Gelände. So wie das KZ
Columbiahaus, in dem vier Jahre lang un-
aufzählbare Greuel begangen wurden, im
Zuge des Flughafenbaus 1936/37 unter
dem Pflaster des Columbiadamms ver-
schwand, so steht dem Reichssicherheits-
hauptamt, dem Volksgerichtshof ein ähn-
lich solides Vergessen bevor. Das reparier-
te Stadtbild enthält keine Orientierungen
für die wirkliche Geschichte, die der Brü-
che, Lücken, Zerstörungen, für die weni-
gen Spuren, die noch übrig sind, weil man
sie beim Abriß und Ausgraben der Funda-
mente übersah. So wenig, wie diese Gesell-
schaft Kranke als Kranke (statt sie zu
kasernieren) einbeziehen kann in ihr Le-
ben, so wenig die Stadtplanung Zerstörtes,
Halberhaltenes, Reste.
Die Verallgemeinerung steht hier ab-
sichtlich: es ist,so allgemein genommen,
kein Zufall dieser Stadt, dieser Verwaltung.
Die Unfähigkeit, mit Zerstörtem umzuge-
hen, wird, je mehr die Zerstörungen sich
häufen, ein Wesensmerkmal unserer Ge-
sellschaft, daß sich im staatlichen Vorge-
hen wie in den individuellen Verhaltens-
weisen aller zeigt. Krankheit, Tod, Wahn-
sinn werden ausgeschieden aus der Lebens-
wirklichkeit und in speziellen Anstalten kon:
zentriert; rassisch und national abweichen-
de Gruppen werden, besonders wenn sie
Gastarbeiter bzw. Asyl- und Arbeitsuchen-
de aus Ländern der Dritten Welt sind,
von Bürgerprotesten und staatlichen Ver-
teilungsmaßnahmen durch die Städte ge-
schoben, von Ghetto zu Ghetto, wie in
Berlin Türken und Pakistaner; zur Herstel-
lung der Sanierungsreife duldet man sie,
wie die anpassungsfähigen eigenen Lands-
leute in den Obdachlosensiedlungen. Auch
das Bild der Stadt unterliegt diesem kollek-
tiven Reinigungszwang: das Ideal der Ver-
waltung wie der schweigenden Mehrheit
ist die lückenlose, narbenlose Stadt mit
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