auf Wiederkehr des alten Vermittlungsmo-
dells, haben wir bei politisch-städtebauli-
cher Argumentation zu tun.
Diese neue Erfahrungsform, in der das
Stadtviertel mitsamt seiner Geschichte Ob-
jekt persönlicher Geschichte ist, ist heute
auch so weit entwickelt, daß ihre eigenen
Widersprüche öffentlich werden. Alle neuen
Einsichten und Begriffe sind also schon
wieder politisch strittig, statt als eindeuti-
ger neuer Schritt gegen eine am herkömm-
lichen abstrahierenden Verwaltungszen-
tralismus unbeirrt festhaltende politische
Bürokratie gewendet zu werden. Begriffe
wie Bürgerbeteiligung, Kiezzugehörigkeit;
Haltungen wie Ablehnung von Großsied-
lungen, Wohnfunktionalismus, Flächensa-
nierung; Aktionsformen wie Stadtteilfeste,
Bürgerinitiativen gegen geplante zentrale
Institutionen: all das ist bereits wieder
zweideutig geworden, strittig, zwischen
linken und rechten Initiativen, Verwaltung
und privaten Architekten. Die Protest-
formen gegen Autobahnbau dienen der Ab-
wehr von Ausländern und der Abschie-
bung von Lärmbelastungen in weniger po-
tente Viertel, die der Verteidigung des
Viertels gegen Abriß der Aufrechterhal-
tung von Privilegien und einer wider-
spruchsfreien Oberfläche.
Letzteres trifft freilich nicht die Bedürf-
nisse der Mehrheit. Die Identifikation mit
dem Viertel dürfte zwar allgemein eine
mit einer gereinigten Geschichte sein, die
am Design hängt, an historischer Bildlich-
keit als Objektausstattung der Wohnver-
hältnisse. Aber der Stellenwert histori-
schen Komforts ist insgesamt sehr gering
gegenüber direkteren Bedürfnissen wie
nahen Spielgelegenheiten, sicheren Fuß-
gängerüberwegen, Lärmschutz gegen
Durchgangsverkehr, ausreichende, nahe
Grünflächen, usw. Die historische Stadt-
folie bleibt in diesem Zusammenhang eher
ein ästhetisches Angebot von oben, das
einer an ihren Reformzielen scheiternden
SPD eine neue Legitimationsbasis verschaf-
fen soll, das auch in dem Augenblick auf
Widerstand stoßen dürfte, wo es mit un-
mittelbaren Interessen kollidiert. Es kommt
hier also geradezu zu einer Umkehrung der
gewohnten Themenstellung: daß die poli-
tische Verwaltung Momente der Stadtge-
stalt festhält gegen privatisierende Bewoh-
nerinteressen.
In der Berliner südlichen Friedrichstadt werbemuseums. Ferner können Geschich-
muß man nun gerade von diesem Sachstand te und eigenes Leben nicht auseinanderlie-
ausgehen, zusätzlich verunklärt allerdings gen.
dadurch, daß das Viertel noch in großen
Teilen brach liegt, in anderen erst seit kur-
zer Zeit bewohnt ist, bewohnt von Leuten,
die noch zum Viertel kein Verhältnis ha-
ben, sich aber mit dem außerhalb ihrer
Wohnanlagen Vorhandenen — diesem eigen
artigen Ineinander von Ruinenfeldern, Im-
bißstuben, stehengebliebenen Häusern der
alten Geschäftsstadt, zentralen Institutio-
nen wie Arbeitsamt für Kopfarbeiter, Ord-
nungsamt und Fremdenpolizei, das alles
zusammengehalten durch die Spuren alter
Raumbeziehungen, den Check point Char-
Ily und die Mauer — nicht anfreunden oder
gar identifizieren können, sondern
Lärm und Schmutz vor ihrer Tür und den
ungesicherten Wegen ihrer Kinder zum
Spielplatz beklagen. An den Bewohnern
die das Sozialamt in den bezirkseigenen
Häusern. auf der ehemaligen Südtangenten-
trasse seit langer Zeit zu stationieren
pflegt, sehen sie sowieso vorbei; was sie
vor allem stört, sind die nächtlich zur
Blumengroßmarkthalle fahrenden Last-
wagen und die asylsuchenden Pakistaner,
für die man aufgrund ihrer Proteste we-
nigstens einen Toilettenkontainer auf der
Straße abgestellt hat.
Für sie ist die Wohngegend eine Aus-
stülpung der U-Bahnstation Hallisches Tor
und des Mehringplatzes; die alte Stadtfi-
gur ist ihnen uneinsichtig und bliebe ih-
nen, selbst wenn man sie ihnen kartogra-
phisch erklärte, sinnleer. Die Ruinenflä-
chen nahe der Mauer sind undefinierter
Rand, der dem Mauertourismus gehört,
so nahe die gerade verdoppelte Grundschu-
le, die ihre Kinder besuchen, in dieses
Niemandsland auch schon vorstößt. Die
Flächen des Reichssicherheitshauptamts
sind für sie doppelt fern, zeitlich wie ört-
lich. Sie sind als Orte ohnehin nicht erkenn
bar — den Ort des ehemaligen Palais Prinz
Albrecht überdeckt großenteils der jedem
Kreuzberger wohlbekannte Autodrom —
„Fahren ab 18 ohne Führerschein”, als
die Landmarke schlechthin in diesem Ge-
lände. Auf dem Grundstück Prinz-Albrecht-
Str. 8 wenden Lastwagen und Bagger stän-
dig neue Erd- und Schutthaufen hin und
her unter dem lädierten Kranzgesims des
dunklen, hohlen Gropius’schen Kunstae-
DER STADTPLANER ALS HISTORIKER
Es scheint nun, als könnte hier nur das idea-
listische Gewissen einiger Intellektueller aus-
helfen, der Grimm und die Vergessenswei-
gerung von Leuten, die die Stadtzerstörung
und die faschistische Vergangenheit des
eigenen Volkes, der eigenen Stadt so tief
betrifft, so dauerhaft ihnen zu schaffen
macht, daß sie sich damit, wie die Dinge
naturwüchsig laufen, nicht beruhigen kön-
nen. Aber so getrennt von allen realen
Interessen und Entwicklungen ist das In-
teresse an der Stadtgeschichte nicht.
Das Konzept der Stadtreparatur wird
propagiert zu einem Zeitpunkt, wo der
Staat sich, selber in einer Finanzkrise, zu-
nehmend aus dem Wohnungsbau zurück-
zieht, zum Ersatz also gezwungen ist, ent-
sprechende privatwirtschaftliche Steigerun-
gen dei Bodenrendite zu akzeptieren. Da
weniger gebaut wird, kann besser gebaut
werden, sagt die Verwaltung; das ist auch
soweit richtig, als gleichbleibende Kapazi-
täten der Verwaltung sich mit immer weni-
ger Bauvolumen administrativ befassen.
Gebaut wird aber privatwirtschaftlich, die
höhere städtebauliche Qualität (z.B. statt
eines durchgehenden standardisierten Bau-
blocks 10 verschiedene Haustypen von un-
terschiedlichen Architekturbüros neben-
einander zu bauen) muß über die Mieten
bezahlt werden (und auch staatliche Annui-
tätszuschüsse währen nicht ewig). Wenn
aber dafür bezahlt werden muß, wird
auch von allen Interessenten erwogen wer-
den, ob und was sie eigentlich für ihr
Geld erhalten. Wenn Stadtreparatur, wie
im Falle des Wilmersdorfer Beispiels Pra-
ger Platz, darauf hinausläuft, nach Art
der Terraingesellschaften aus dem vorigen
Jahrhundert bevorzugte Stadtbereiche
für gehobene Bedürfnisse zu bauen, gerät
die Architektur in Zugzwang: der ästheti-
sche Komfort muß Geld wert sein.
Dieses Modell ist einerseits begrenzt
durch die Nachfrage nach entsprechend
teuren Wohnungen bzw. auch durch das
Maß, in dem staatliche Bezuschussung po:
litisch rentabel gemacht werden kann, es
ist andererseits begrenzt von der Möglich-
keit der Architektur her, das zu liefern,
was die höheren Ausgaben für das Design
seitens der Baugesellschaften, für die Mie-
ten seitens der Abnehmer rechtfertigt.
Denn eine a/s solche vorhandene städte-
bauliche Qualität gibt es nicht, sie ist von”
Architekten, die vergangene Raumsitua-
tionen abkupfern unter Abstraktion von
den sozialen Verhältnissen, die sie hervor-
gebracht haben, auch nicht zu erwarten,
auch nicht von den internationalen Virtuo
sen und ihren wiedererkennbaren struktu-
reilen Versatzstücken, die dem Vorgehen
Pate stehen. Die Stadtreparatur enthält
eine Wette, die grundsätzlich nicht gewon-
nen werden kann, weil die Bedürfnisse, auf
die ökonomisch spekuliert wird, mit den
Mitteln der Architektur — in einer gegenüber
dem vorigen Jahrhundert stark veränderten
Situation — grundsätzlich nicht zufrieden-
Wilhelmstraße (ehemals Sitz der Reichskanzlei und des Führerhauptquartiers) — heute
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