Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

zustellen sind. 
Diese Grenze ist keine der Fähigkeiten, 
sondern der Sache — des Gebäudedesigns. 
Die Herstellung typisierter Hausindividuen 
(Ungers) stiftet keinen städtischen Zusam- 
menhang, wo er nicht schon da ist. Die 
Aufnahme von Richtungsverweisen (Him- 
mels-, Ortsrichtungen, Funktionsbeziehun- 
gen) in die Struktur des Gebäudes bleibt 
abstrakt: die funktionalen Direktiven, an 
denen sich heutige Menschen orientieren, 
sind informell und ungleich komplizierter. 
Die Herstellung von Blickachsen und zu 
Piazzen ausgeweiteten Gebäudenischen 
stellt Szenen her, deren Akteure längst 
gestorben sind, bewirkt aber gerade das 
nıcht, was zu bewirken es verspricht: ak- 
tuelle Erfahrung, Beziehungsbildung (eher 
das Gegenteil: die Blickachse, die nirgend- 
wo hinfürht; denn wo könnten, nachdem 
nicht nur Götter und Tempel, sondern 
auch alle vaterländischen Monumente tot 
und hinüber sind, Blickachsen hinführen? — 
die ganze Figur ist, seit Geraden ins Nichts 
führen, historisch aufgehoben, nutzlos, die 
Wege sind geändert). Das Design bleibt am 
jeweiligen Objekt haften, es expandiert 
nicht zu städtischen Beziehungen, sozialen 
Lebensverhältnissen, historischen Fluchten. 
das nur ästhetisch geplante Objekt bleibt 
tot, neben den Lebensverhältnissen, um 
deren Verlauf der Architekt sich ja bei der 
Planung seines individuellen Stadthauses 
auch einen Dreck gekümmert hat. 
Im Design der Stadtreparatur verküm- 
mert die Stadtgestalt zur isolierten Objekt- 
funktion. Nun scheint das zwar staatlich 
einholbar, als könnte die Verwaltung, 
wenn sie schon nicht mehr die Masse der 
Einzelobjekte finanzieren kann, doch, wie 
einst James Hobrecht, den städtebaulichen 
Zusammenhang nehmen? Beauftragt man 
eine Planungsgruppe mit der Systematisie- 
rung des Geländes, schreibt einen Wettbe- 
werb aus oder veranstaltet ein Entwurfs- 
seminar — es wiederholt sich, in vergrößer- 
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Neuplanung von O.-M. Ungers: Stadt-Öffentlichkeit statt neuer Wohnqualitäten? Statt Öffentlich- 
keit: Kaschierung von ‚„‚Funktionsbauten”” — zu wessen Nutzen? — vor wessen Blicken? 
(aus der Vorlage des Berliner Senats für das Abgeordnetenhaus, 6.6.78) 
Neuplanung des heute total zerklüfteten Prager 
Platzes von R. Krier: preußisches Gardemaß? 
tem Maßstab unweigerlich die Willkür des 
Objektdesigns: sinnlose Platzfolgen und 
Rondells, dekorative Parks, wo gerade 
nichts besseres hinpaßt, barocke Blickach- 
sen und Straßensterne ohne Ausgangs- 
und Zielpunkt, nur mal so. Aber das ist 
nicht einmal ernst gemeint: ernst ist nur 
die Absicht, den derart situierten (das we- 
nigstens) Häuserblock zu bauen. Für die 
Verteilungsweise — Achsialität, Symme- 
trie und minimale Abweichung — gibt es 
prinzipiell keinen Grund. Die Verhältnis- 
se, die sich in barocken Stadtfiguren aus- 
drückten, sind untergegangen; das Bürger- 
tum als Träger wenigstens noch einer per- 
spektivisch-visuellen Stadtbildordnung 
ist abgetreten. Von der mythischen Sub- 
stanz, die in den Richtungsbeziehungen 
archaischer Städte wirksam war, braucht 
man da gar nicht erst zu reden. Es gibt 
heute keinerlei Form, die Anschaulich- 
keit gesellschaftlichen Bewußtseins, kol- 
lektiver Bedürfnisse sein könnte. Jede 
nachgemachte Ornamentik gerät unfehl- 
bar zum Desaster, was im Falle des Städte- 
baus kein Geschmacksurteil ist, sondern 
eine Frage der Erfahrungsbedingungen 
derer, die das Gebaute bewohnen sollen. 
Die Planungstätigkeit des Staates kann 
sich ästhetisch eben von der Sache her 
nicht ausdrücken. Der Flächennutzungs- 
plan enthält den Verbrauch emblema- 
tisch lesbarer, anschaulicher Stadtgrund- 
risse als Vorgeschichte in sich. Dieselbe 
Abstraktheit, die nach dem Krieg die 
Abräumung der Ruinen als Vorleistung 
für eine rationale Flächenplanung verste- 
hen ließ, steckt auch in allen positiven 
Lokalisierungen der als notwendig geplan- 
ten funktionellen Einrichtungen — dies 
ist kein zufälliger historischer Tatbestand 
(weil alle historischen Anhaltspunkte und 
Formen abgeräumt wurden, bleibt an die- 
sem Ort nur noch willkürliche Neuorgani- 
sation), sondern ein sachliches Verhältnis, 
ein historischer Bedingungszusammen- 
hang. Jegliche Lokalisierung, die über ab- 
strakte funktionale Erwägungen, wie sie 
der Stadtplanung der 50er und 60er Jahre 
weitgehend zugrundelag, hinausgeht, ist 
von daher eine vom Planungsansatz zu er- 
bringender kommunaler Leistungen abge- 
hobene ästhetische Willkür, Ornament. 
Das Großornament des Märkischen Vier- 
tels hat sich als solches schon erwiesen in 
dem ungeheuren Widerspruch zwischen der 
Leichtigkeit, mit der dieses Ornament eines 
nachts auf das Papier gezeichnet worden ist, 
und der Masse von Wohnungen, Wegdistan- 
zen, Flächengrößen, Betonmassen, im End- 
effekt vor allem auch Menschen, Lebens- 
zeit, Beziehungsbedürftigkeit, die faktisch 
dadurch organisiert wurde. Das Ergebnis 
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