Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

das auf die Analyse der antiken Architektur, 
die als Komposition aus geometrischen Grund- 
formen und kubischen Massen betrachtet wurde, 
zurückgeht, und das später von den französi- 
schen Revolutionsarchitekten aber auch von 
preußischen „Klassizisten‘‘ wie Gentz, F. Gilly 
und Schinkel verwendet wurde. In seinen 
1734 - 36 erschienenen „Lectures’’ versucht Ro- 
bert Morris, aus dieser entmystifizierten und 
rationaleren Theorie architektonischer Form- 
findung eine Entwurfsmethode abzuleiten: 
Baukörper werden durch vertikale und hori- 
zontale Additionen gleicher Kuben erzeugt 
und variiert. Sehr klar iegt er in der bereits 
1728 erschienen Schrift ‚Essay in Defence 
of Ancient Architecture” offen, wieso die 
Antike ihn zu diesem Formvokabular und 
der vorgeschlagenen Methode geführt hat: 
die antiken Bauten begriff er als Prototypen. 
in denen er ‚diese gültigen Regeln, diese 
perfekten Standards des Gesetzes von Ver- 
nunft und Natur, das auf Schönheit und 
Notwendigkeit basiert‘’, verwirklicht sah. 
Italien: Funktionalistische Doktrin 
gegen barocke Konventionen 
In Italien erfolgt die Überwindung der ba- 
rocken Konventionen später als in England 
und mit einer anderen Stoßrichtung: durch 
den funktional-rationalistischen Ansatz von 
Carlo Lodoli (gestorben 1761), durch den 
die enge Verflechtung des ästhetischen mit 
dem funktionalen Rationalismus begründet 
wird — eine Verflechtung, die erst um die 
Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Radika- 
lisierung und Verabsolutierung der technisch- 
ökonomisch-funktionalen Rationalität bei 
Durand endgültig aufgebrochen wird. 
Lodoli selbst hat keine Schriften hinter- 
lassen, aber seine Theorie kann aus verschie- 
denen ihn referierenden Abhandlungen re- 
konstruiert werden. (Andrea Memmo, Ele- 
menti di Architettura Lodoliana, 1786; 
Francesco Algarotti, Saggio sopra |’Archi- 
tettura, 1756 und Lettere sopra l’Architettu- 
ra,,1742-63; Francesco Milizia, Opere com- 
plete, 1826) 
„In der Architektur soll nur das gezeigt 
werden, was eine definite Funktion hat und 
sich aus strengster Notwendigkeit ableitet‘. 
(Algarotti) Mit diesem radikalen Dogma woll- 
te Lodoli jedes nicht-fFunktionale Ornament 
aus der Architektur verbannen, und an seine 
Stelle die aus „Notwendigkeit”, „„Funktion”” 
und.,,Natur des Materials’ resultierende Form 
setzen. Nur aufgrund dieser Kriterien — und 
nicht etwa durch die Suche nach formimma- 
nenten Regeln in Geometrie oder antiken Vor- 
bildern — glaubte Lodoli eine rationale, ver- 
nunftgemäße Architektur entwickeln zu 
können. Lodoli allerdings war kein Architekt, 
sondern ein reiner Theoretiker, der die deli- 
kate Frage, weiche Formen und Kompositions- 
regeln denn nun seinen Forderungen gerecht 
werden könnten, den folgenden Auseinander- 
setzungen der nunmehr in zwei Lager (die 
sich auf Vitruv und Palladio berufenden, mehr 
oder minder noch in barocken Konventionen 
gefangenen ‚„‚Traditionalisten‘’, und die „‚funk- 
tionalistischen Rigoristen‘‘) gespaltenen Prak- 
tiker überließ. 
Frankreich: der Ursprung der Architek- 
tur als Quelle ihrer Regeln 
Mit Jaques-Frangois Blondel beginnt der 
Durchbruch des Rationalismus in Frankreich 
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts lehrte er 
seinen Studenten zwar noch die tradierten 
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städtischen Form. 
In diesem Sinne kann die anfängliche 
Definition weiterentwickelt werden: d/e 
Gebäudetypologie ist die Lehre von den 
strukturell-organisatorischen künstlichen 
Elementen (und hierunter sind nicht nur 
die Gebäude, sondern auch die Mauern, 
die Alleen, die Gärten u.a. zu verstehen, 
die Bauweise der Stadt), mit dem Ziel, 
diese Elemente in bezug auf die städti- 
sche Form einer bestimmten Periode (oder 
was das gleiche bedeutet, in bezug auf 
eine besondere städtische Form) zu klassi- 
fizieren ... 
Die zahlreichen Beiträge zu einer typologi- 
schen Definition können dann gemäß zwei 
Klassifikationen, die unterschiedliche Ziel- 
setzungen verfolgen, ... zusammengefaßt wer- 
den: 
1) in jene nach formalen Typen (unabhängige 
Typologie) mit klassifikatorischen Inhalten 
zum Zwecke einer kritischen Methode der 
Analyse und des Vergleichs ästhetischer Phä- 
nomene, und 
2) in jene nach funktionalen Typen (ange- 
wandte Typologie) mit bewußten Inhalten 
zum Zwecke einer Analyse der konstitutiven 
Phänomene einer Gesamtheit, die unabhän- 
gig ist vom Wertsystem des ästhetischen Ty- 
pus. 
Im ersten Fall erhalten wir eine Klassifika- 
tion nach formalen Konstanten, wie sie Witt- 
kower für die Zentralbauten der Renaissance 
vorgeschlagen hat, wo die Reduktion der for- 
malen Varianten auf eine Basisform oder ein 
gemeinsames Schema das Resultat eines Ver- 
gleichs (verschiedener) konkreter Beispiele 
ist und das Instrument, um aus dem Vergleich 
das Schema selbst zu isolieren, das seinerseits 
die Identifizierung der formalen Differenzen 
erlaubt. 
Im zweiten Fall erhalten wir eine Klassifi- 
kation nach strukturellen Konstanten, wie sie 
Babelon und Gallet für die demeures parisiennes 
vorgeschlagen haben — sei es als Beschreibung 
der konstitutiven Elemente oder als Lokalisa- 
tion der Typen im Pariser Weichbild — wo die 
Konstanz der beschriebenen Phänomene auch 
das Resultat eines Vergleichs konkreter Bei- 
spiele ist, aber darüber hinaus als das Instru- 
ment gebraucht wird, um die Dauer der Phäno- 
mene nicht nur auf sich selbst, sondern auf 
etwas anderes, nämlich auf die Stadt, zu be- 
weisen. Solche Klassifikationen sind daher ein 
Instrument, das eine Beziehung zwischen ver- 
schiedenen Einheiten zu begründen erlaubt.” 
Im Vergleich zum Typusbegriff von Al- 
do Rossi, der sich, wenn wir der Unter- 
scheidung von Aymonino zwischen forma- 
len und funktionalen Typen aufnehmen, 
nur auf die formalen Typen konzentriert, 
zeichnet sich dieser Typusbegriff durch 
seine historische und analytische Schärfe 
aus. Die Definition des Typus wird als 
„ein Instrument und nicht (als) eine Ka- 
tegorie’’ begriffen: der Typus ist das 
„Instrument. ... zur Analyse der städti- 
schen Phänomene.”’23) 
Der Typus als Schema 
Im Gegensatz zu diesem begrifflichen 
Verständnis des ‘Typus’ wird er in den 
Bauten von Rossi vornehmlich als ‘syntak- 
tische und semantische Einheit’ behandelt, 
deren ‘syntaktische Einheiten’ formale 
Invarianzen darstellen, d.s. in diesem Fall, 
wenn wir seine früheren Arbeiten wie die 
Wohneinheit für das Gallaratese-Quartier 
u.a. betrachten, geometrische Elementar- 
formen wie der Kreis, das Dreieck und 
das Quadrat, die entsprechend dem Ty- 
pus als „semantische Einheit”” zu Schema- 
ta verknüpft werden, den von uns sog. 
‘typologischen Reihen’. 
In der Handhabung des Typus setzt 
sich in Rossis Entwürfen ein Verständnis 
durch, das ihn im Sinne eines Schemas 
behandelt: der Typus wird auf die Funk- 
tionen eines ‚Modells’ reduziert25), das 
den vorgegebenen historischen Typus als 
‘syntaktische und semantische Einheit’ 
aufgreift und ihn als ‘Modell’ nachbildet. 
Typus bedeutet dann: den historischen 
Typus.als Modell nachzubilden. 
In diesem Widerspruch zwischen dem 
begrifflichen Verständnis des Typus und 
seiner Handhabung durch Rossi und — wie 
wir sehen werden — seiner Schüler bzw. 
in dem reduzierenden Vorgehen, den hi- 
storischen ‘Typus als Vorlage nachzubil- 
den, die genau betrachtet nichts anderes 
als ein Schema für die Verwendung archi- 
tektonischer Elementarformen darstellt, 
wird die immanente Tendenz dieses Archi- 
tekturverständnisses zum Eklektizismus 
sichtbar. 
Der Eklektizismus der Rationalen Archi- 
tektur 
Diese immanente Tendenz zum Eklekti- 
zismus wird aber nicht nur‘ am Problem 
des Typus deutlich. Wir erkennen sie in 
dem Versuch wieder, mit diesem Typus- 
begriff die Architektur aus den kulturel- 
len Konstanten der Stadtentwicklung her- 
leiten zu wollen, um sie in dieser Weise 
gesellschaftlich zu begründen. Dabei wird 
sie realiter nur auf die Invarianten der 
städtischen Morphologie zurückgeführt, 
überspitzt formuliert: auf die Geometrie 
ihrer Form-Elemente. Diese Tendenz hat 
mittlerweile ‘Schule’ gemacht: die Um- 
kehrung des Verhältnisses zwischen ‘Ty- 
pus’ und ‘Modell’, zwischen Idee und Ko- 
pie wiederholt sich im Verhältnis zwischen 
„Meistern’” und „Schülern”. Als Beispiel 
sei. hier nur der sich ausbreitende Rossi- 
sche Architektur,,stil’” angeführt, der die 
Architektur des Meisters als „„‚Modell’” be- 
greift, den es zu kopieren gilt und dessen 
Jünger sich deshalb der jedesmal erneuten 
Mühe einer typologischen Analyse und 
einer subjektiv begründeten ‘Wahl’ mei- 
nen entziehen zu können. 
Diese immanente Tendenz zum Eklek- 
tizismus äußert sich auch in dem bemer- 
kenswerten Schematismus der Entwürfe 
und Bauten, der z.T. dem Elementarismus 
der Aufklärungsarchitektur ähnelt, und 
der gleich dieser seine wesentliche Lei- 
stung darin findet, so etwas wie ‘Prototy-
	        
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