Das Entwerfen mit subjektiven Vorstel-
lungsbildern
Unter diesen Vorstellungsbildern sind
zu verstehen:
1) Imagos (Ungers), d.s. Metaphern und
Analogien und
2) die „citta analoga” (Rossi), d.i. die
imaginative Rekonstruktion der Stadt, die
für die Architektur den „Ort der reinen
architektonischen Werte”’30) darstellt.
Dieses Konzept der Vorstellungsbilder
geht u.a. auf Überlegungen von Herman
Friedmann31) zurück, der mit seinem
„Morphologischen Idealismus’” versucht,
die Gegenstände der Anschauung über ih-
re Formen in Beziehung zu setzen, d.h.
an verschiedenartigen Gegenständen Struk-
turen zu isolieren, die es erlauben, sie
über Ähnlichkeitsrelationen in Beziehung
zu setzen. Über die Erkenntnis des „Ähn-
lichen im Unähnlichen” (Aristoteles) be-
müht sich dieses Konzept, die sinnlich
erfahrene Realität zu Vorstellungen zu
verdichten. Ungers spricht hier anstatt
von Vorstellungen von „„Imagos’” und an-
statt von sinnlicher Erkenntnis von ‚,Ima-
gination’” und Carlo Aymonino von
„städtischen Vorstellungen”, die er gleich-
wohl als die „subjektiven Elemente” des
Entwurfsprozesses begreift, deren objek-
tiven Charakter er aber trotzdem betont
wissen möchte. Diese Vorstellungsbilder
können zum Beispiel sein:
1) Metaphern: die Metaphern sollen „ein
aktuelles Ereignis in einen figurativen
Ausdruck (transformieren) ... Ungleichhei-
ten durch Imagination vergleichen ... Die-
ser Vergleich geschieht durch einen Sprung,
der verschiedene Fragmente (der Stadt) zu
einer (neuen) Einheit zusammenfaßt‘’,32)
2) Analogien: „die Analogien begründen
eine Ähnlichkeit oder die Exister” ‚iger
ähnlicher Prinzipien zwischen 7weı ig-
nissen, die ansonsten völlig ‘ rs N
sind.’’33)
Die Vorstellungsbilder als Entwurfskiine
rien
Im Entwurfsprozeß fungieren diese Vor-
stellungsbilder als Selektionskriterien, mit-
tels derer die (Sprach)elemente ausgewählt
und zum Entwurf kombiniert werden.
Im Rahmen dieses Architekturverständ-
nisses setzt sich der Entwurfsprozeß also
aus einem rationalistischen Modus der
Sprachbildung und einem subjektiven Mo-
dus des Sprachgebrauchs zusammen und
dementsprechend der Entwurf aus form-
logisch rationalen und subjektiv immagina-
tiven Momenten. Dieses Entwurfsverständ-
nis bezieht sich damit auf die Stadt einer-
seits als Gegenstand der Analyse, indem
es die Stadt als „städtische Struktur” vor-
Stellt, aus der die Strukturen der Sprach-
bildung folgen und andererseits als Ge-
genstand der Vorstellung indem es die
Stadt zu imaginativen Bildern verdich-
tet. Damit wird die Stadt als Gegenstand
der Analyse demontiert, dekomponiert
und unterteilt und als Gegenstand der
Vorstellung — die den Entwurf leitet —
montiert und komponiert — sie ist die
„Architektur der Stadt” und die „analo-
ge Stadt”’.34)
Als zweite Entwurfsregel der Rationa-
len Architektur können wir dann formu-
lieren, daß das Entwerfen mit subjekti-
ven Vorstellungsbildern bedeutet: aus
der Architektursprache nach Vorstellungs-
bildern die Architekturelemente auszu-
wählen und zur Architektur zu kombinie-
ren.
DIE PERSPEKTIVEN DER RATIONA-
LEN ARCHITEKTUR ALS EINER
ARCHITEKTUR DER VERKLEIDUNG
In den vorangegangenen Thesen haben
wir uns mit der Rationalen Architektur
als einer besonderen Form des ästheti-
schen Rationalismus auseinandergesetzt.
Wir wollen uns nun mit ihrer gesellschaft-
lichen Bedeutung beschäftigen und dabei
zwei Fragen nachgehen:
1) Wie geht die Warenästhetisierung der
Architektur in dieses Architekturverständ-
nis ein und
2) wie setzen sich die heutigen Architekter
mit ihr auseinander?
Die Warenästhetisierung der Architektur
Unter der ‚„‚Warenästhetisierung der Ar-
chitektur’ begreifen wir:
1) die Teilung des Produktionsprozesses
von Architektur in die Prozesse der indu-
striellen Produktion von Waren und der
Entwicklung von Verkaufssprachen;
2) die Teilung der Architekturprodukte
in Gebrauchswerte und in Gebrauchswert-
versprechen und
3) die Teilung der Architekten in „Pro-
ktingenieure’ und „Designer”’ als Spe-
'isten für Teilfunktionen der Produk-
‚on und des Verkaufs.
Die Architektur als eine Frage der Form
Die Rationale Architektur ist das erste
Architekturverständnis, das in der Theo-
riebildung implizit (und z.T. auch schon
explizit, wenn wir etwa an Robert Ventu-
ri denken) auf die gesellschaftlich vol!zo-
gene Warenästhetisierung der Architektur
reagiert. Angesichts der „Demontage der
Architektur” (um einen anderen Ausdruck
für die Warenästhetisierung zu verwen-
den), wie sie sich in der „elektrographi-
schen Architektur’ Las Vegas’ am augen-
fälligsten manifestiert, versucht zum Bei-
spiel Robert Venturi seine Formsprache
als bewußte Reflektion auf diese „De-
montage der Architektur’ zu begründen,
indem er sie als die Möglichkeit der Trenn-
Funktionaler und vernaculärer Typus
Für den struktural-funktionalen Typusbegriff
ist dieser Archetypus die primitive Urhütte, in
der die allgemeinsten konstituierenden Elemen-
te der Architektur — Säule, Wand, Dach —
noch Bestandteile der Natur sind: Baum als
Archetypus der Säule. In dieser Legitimations-
grundlage für den methodischen Gebrauch
des Typus wird der Zusammenhang mit einer
dritten Akzentuierung des Typus-Begriffs
deutlich: Typus nicht als vernunftgesteuerte,
bewußt angewendete artistische Konzeption,
sondern als der aus sich wandelr.den gesell-
schaftlichen (funktionalen, technischen und
äthetischen) Anforderungen ‚von selbst‘
sich entwickelnde vernaculäre Typus. Auch
er geht auf die Urhütte, die erste primitive
Behausung zurück, und wird von seinen Nut-
zern, die zugleich Planer und Produzenten
ihrer Behausungen sind, nach den sich aus-
differenzierenden Bedürfnissen und Möglich-
keiten weiterentwickelt. Der vernaculäre Typus
basiert auf einem Konsens, der nicht willkür-
lich ist, sondern den praktischen (materiellen)
und kulturellen Bedingungen des gesellschaft-
lichen Lebens und Überlebens optimal ange-
paßt ist. Wo dieser Konsens, diese kollektive
Anpassung der Architektur an die gemeinsa-
men Lebensbedingungen nicht mehr möglich
ist, weil die fortschreitende gesellschaftliche
Arbeitsteilung die Einheit von Nutzer und Pro-
duzent und von Produzent und Planer zer-
stört, und weil die widersprüchlichen Interessen
der gesellschaftlichen Klassen keinen Konsens
mehr erlauben, und wo aus ökonomischen und
technischen Veränderungen gänzlich neue
Bauaufgaben entstehen, die nicht aus bereits
vorhandenen Primitivformen/Archetypen ent-
wickelt werden können (wie die kollektiven
Bauten der sich emanzipierenden bürgerlichen
K'asse, die Börsen, Bahnhöfe, Hospitäler, usw
im 18./19. Jhd.), muß die artistische Konzep-
tion des Typus an die Stelle des vernaculären
Typus treten. Dabei wird zur rationalen Legi-
timation dieses artistischen Typus auf die Idee
des vernaculären Typus bezug genommen: auf
die Urhütte, die hier strukturelle Metapher,
dort Anfangspunkt eines Evolutionsprozesses
ist.
Für den formal-symbolischen Typusbegriff
(Typus als charakteristische Form) ist der Tem:
pel Salomons der Archetypus. In ihm sind die
architektonischen Grundelemente nicht von
Notwendigkeiten, Funktionen, physikalischen
Gesetzen bestimmt, sondern von ihrer Funk-
tion als Sprache zu Darstellung/Veranschauli-
chung von (göttlichen) Ideen. Der Formtypus
ist das Symbol für eine Idee. Auch dieser Typus
wird in methodischer Hinsicht nicht ‚wörtlich‘
imitiert, sondern als Prinzip metaphorisch ver-
wendet
Typus und metaphorische Imitation
Quatremere de Quincy unternahm schließ-
lich den Versuch, den Typusbegriff, der von
seinen Zeitgenossen in so schillernder Weise
zwischen funktionalem und formalem Ver-
ständnis, zwischen standardisiertem reprodu-
zierbaren Modell und individuierender Varia-
tion eines abstrakten Typus bis zur Unkennt-
lichkeit einer allgemeinen Regel verwendet
wurde, zu definieren und damit als entwurfs-
methodische Kategorie brauchbar zu machen.
(Art. Typ’ in: Encyclopedie Methodique,
Architektur, Bd. 3, Paris 1825)
Quatremere geht von der rationalistischen
Voraussetzung aus, daß es für die Architektur
wie für jede Kunst und jedes Denken ein „ele-
mentares Prinzip, eine Art Kern, um den im
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