Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

Das Entwerfen mit subjektiven Vorstel- 
lungsbildern 
Unter diesen Vorstellungsbildern sind 
zu verstehen: 
1) Imagos (Ungers), d.s. Metaphern und 
Analogien und 
2) die „citta analoga” (Rossi), d.i. die 
imaginative Rekonstruktion der Stadt, die 
für die Architektur den „Ort der reinen 
architektonischen Werte”’30) darstellt. 
Dieses Konzept der Vorstellungsbilder 
geht u.a. auf Überlegungen von Herman 
Friedmann31) zurück, der mit seinem 
„Morphologischen Idealismus’” versucht, 
die Gegenstände der Anschauung über ih- 
re Formen in Beziehung zu setzen, d.h. 
an verschiedenartigen Gegenständen Struk- 
turen zu isolieren, die es erlauben, sie 
über Ähnlichkeitsrelationen in Beziehung 
zu setzen. Über die Erkenntnis des „Ähn- 
lichen im Unähnlichen” (Aristoteles) be- 
müht sich dieses Konzept, die sinnlich 
erfahrene Realität zu Vorstellungen zu 
verdichten. Ungers spricht hier anstatt 
von Vorstellungen von „„Imagos’” und an- 
statt von sinnlicher Erkenntnis von ‚,Ima- 
gination’” und Carlo Aymonino von 
„städtischen Vorstellungen”, die er gleich- 
wohl als die „subjektiven Elemente” des 
Entwurfsprozesses begreift, deren objek- 
tiven Charakter er aber trotzdem betont 
wissen möchte. Diese Vorstellungsbilder 
können zum Beispiel sein: 
1) Metaphern: die Metaphern sollen „ein 
aktuelles Ereignis in einen figurativen 
Ausdruck (transformieren) ... Ungleichhei- 
ten durch Imagination vergleichen ... Die- 
ser Vergleich geschieht durch einen Sprung, 
der verschiedene Fragmente (der Stadt) zu 
einer (neuen) Einheit zusammenfaßt‘’,32) 
2) Analogien: „die Analogien begründen 
eine Ähnlichkeit oder die Exister” ‚iger 
ähnlicher Prinzipien zwischen 7weı ig- 
nissen, die ansonsten völlig ‘ rs N 
sind.’’33) 
Die Vorstellungsbilder als Entwurfskiine 
rien 
Im Entwurfsprozeß fungieren diese Vor- 
stellungsbilder als Selektionskriterien, mit- 
tels derer die (Sprach)elemente ausgewählt 
und zum Entwurf kombiniert werden. 
Im Rahmen dieses Architekturverständ- 
nisses setzt sich der Entwurfsprozeß also 
aus einem rationalistischen Modus der 
Sprachbildung und einem subjektiven Mo- 
dus des Sprachgebrauchs zusammen und 
dementsprechend der Entwurf aus form- 
logisch rationalen und subjektiv immagina- 
tiven Momenten. Dieses Entwurfsverständ- 
nis bezieht sich damit auf die Stadt einer- 
seits als Gegenstand der Analyse, indem 
es die Stadt als „städtische Struktur” vor- 
Stellt, aus der die Strukturen der Sprach- 
bildung folgen und andererseits als Ge- 
genstand der Vorstellung indem es die 
Stadt zu imaginativen Bildern verdich- 
tet. Damit wird die Stadt als Gegenstand 
der Analyse demontiert, dekomponiert 
und unterteilt und als Gegenstand der 
Vorstellung — die den Entwurf leitet — 
montiert und komponiert — sie ist die 
„Architektur der Stadt” und die „analo- 
ge Stadt”’.34) 
Als zweite Entwurfsregel der Rationa- 
len Architektur können wir dann formu- 
lieren, daß das Entwerfen mit subjekti- 
ven Vorstellungsbildern bedeutet: aus 
der Architektursprache nach Vorstellungs- 
bildern die Architekturelemente auszu- 
wählen und zur Architektur zu kombinie- 
ren. 
DIE PERSPEKTIVEN DER RATIONA- 
LEN ARCHITEKTUR ALS EINER 
ARCHITEKTUR DER VERKLEIDUNG 
In den vorangegangenen Thesen haben 
wir uns mit der Rationalen Architektur 
als einer besonderen Form des ästheti- 
schen Rationalismus auseinandergesetzt. 
Wir wollen uns nun mit ihrer gesellschaft- 
lichen Bedeutung beschäftigen und dabei 
zwei Fragen nachgehen: 
1) Wie geht die Warenästhetisierung der 
Architektur in dieses Architekturverständ- 
nis ein und 
2) wie setzen sich die heutigen Architekter 
mit ihr auseinander? 
Die Warenästhetisierung der Architektur 
Unter der ‚„‚Warenästhetisierung der Ar- 
chitektur’ begreifen wir: 
1) die Teilung des Produktionsprozesses 
von Architektur in die Prozesse der indu- 
striellen Produktion von Waren und der 
Entwicklung von Verkaufssprachen; 
2) die Teilung der Architekturprodukte 
in Gebrauchswerte und in Gebrauchswert- 
versprechen und 
3) die Teilung der Architekten in „Pro- 
ktingenieure’ und „Designer”’ als Spe- 
'isten für Teilfunktionen der Produk- 
‚on und des Verkaufs. 
Die Architektur als eine Frage der Form 
Die Rationale Architektur ist das erste 
Architekturverständnis, das in der Theo- 
riebildung implizit (und z.T. auch schon 
explizit, wenn wir etwa an Robert Ventu- 
ri denken) auf die gesellschaftlich vol!zo- 
gene Warenästhetisierung der Architektur 
reagiert. Angesichts der „Demontage der 
Architektur” (um einen anderen Ausdruck 
für die Warenästhetisierung zu verwen- 
den), wie sie sich in der „elektrographi- 
schen Architektur’ Las Vegas’ am augen- 
fälligsten manifestiert, versucht zum Bei- 
spiel Robert Venturi seine Formsprache 
als bewußte Reflektion auf diese „De- 
montage der Architektur’ zu begründen, 
indem er sie als die Möglichkeit der Trenn- 
Funktionaler und vernaculärer Typus 
Für den struktural-funktionalen Typusbegriff 
ist dieser Archetypus die primitive Urhütte, in 
der die allgemeinsten konstituierenden Elemen- 
te der Architektur — Säule, Wand, Dach — 
noch Bestandteile der Natur sind: Baum als 
Archetypus der Säule. In dieser Legitimations- 
grundlage für den methodischen Gebrauch 
des Typus wird der Zusammenhang mit einer 
dritten Akzentuierung des Typus-Begriffs 
deutlich: Typus nicht als vernunftgesteuerte, 
bewußt angewendete artistische Konzeption, 
sondern als der aus sich wandelr.den gesell- 
schaftlichen (funktionalen, technischen und 
äthetischen) Anforderungen ‚von selbst‘ 
sich entwickelnde vernaculäre Typus. Auch 
er geht auf die Urhütte, die erste primitive 
Behausung zurück, und wird von seinen Nut- 
zern, die zugleich Planer und Produzenten 
ihrer Behausungen sind, nach den sich aus- 
differenzierenden Bedürfnissen und Möglich- 
keiten weiterentwickelt. Der vernaculäre Typus 
basiert auf einem Konsens, der nicht willkür- 
lich ist, sondern den praktischen (materiellen) 
und kulturellen Bedingungen des gesellschaft- 
lichen Lebens und Überlebens optimal ange- 
paßt ist. Wo dieser Konsens, diese kollektive 
Anpassung der Architektur an die gemeinsa- 
men Lebensbedingungen nicht mehr möglich 
ist, weil die fortschreitende gesellschaftliche 
Arbeitsteilung die Einheit von Nutzer und Pro- 
duzent und von Produzent und Planer zer- 
stört, und weil die widersprüchlichen Interessen 
der gesellschaftlichen Klassen keinen Konsens 
mehr erlauben, und wo aus ökonomischen und 
technischen Veränderungen gänzlich neue 
Bauaufgaben entstehen, die nicht aus bereits 
vorhandenen Primitivformen/Archetypen ent- 
wickelt werden können (wie die kollektiven 
Bauten der sich emanzipierenden bürgerlichen 
K'asse, die Börsen, Bahnhöfe, Hospitäler, usw 
im 18./19. Jhd.), muß die artistische Konzep- 
tion des Typus an die Stelle des vernaculären 
Typus treten. Dabei wird zur rationalen Legi- 
timation dieses artistischen Typus auf die Idee 
des vernaculären Typus bezug genommen: auf 
die Urhütte, die hier strukturelle Metapher, 
dort Anfangspunkt eines Evolutionsprozesses 
ist. 
Für den formal-symbolischen Typusbegriff 
(Typus als charakteristische Form) ist der Tem: 
pel Salomons der Archetypus. In ihm sind die 
architektonischen Grundelemente nicht von 
Notwendigkeiten, Funktionen, physikalischen 
Gesetzen bestimmt, sondern von ihrer Funk- 
tion als Sprache zu Darstellung/Veranschauli- 
chung von (göttlichen) Ideen. Der Formtypus 
ist das Symbol für eine Idee. Auch dieser Typus 
wird in methodischer Hinsicht nicht ‚wörtlich‘ 
imitiert, sondern als Prinzip metaphorisch ver- 
wendet 
Typus und metaphorische Imitation 
Quatremere de Quincy unternahm schließ- 
lich den Versuch, den Typusbegriff, der von 
seinen Zeitgenossen in so schillernder Weise 
zwischen funktionalem und formalem Ver- 
ständnis, zwischen standardisiertem reprodu- 
zierbaren Modell und individuierender Varia- 
tion eines abstrakten Typus bis zur Unkennt- 
lichkeit einer allgemeinen Regel verwendet 
wurde, zu definieren und damit als entwurfs- 
methodische Kategorie brauchbar zu machen. 
(Art. Typ’ in: Encyclopedie Methodique, 
Architektur, Bd. 3, Paris 1825) 
Quatremere geht von der rationalistischen 
Voraussetzung aus, daß es für die Architektur 
wie für jede Kunst und jedes Denken ein „ele- 
mentares Prinzip, eine Art Kern, um den im 
235
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.