Laufe der Zeit die Variationen und Entwick-
lungsstufen der Formen versammelt sind‘
gibt. Typus ist Ursprung, präexistenter Keim,
primitiver Urgrund der architektonischen
Formen.
Aus dem metaphorischen Charakter des
Typus versucht Quatremere, methodische
Hinweise zu entwickeln. Schlüsselbegriff ist
dabei die ‘Imitation’: nicht die „wörtliche””
Imitation eines Modells, sondern „geistige
imitation, Imitation durch Analogie, durch
geistige Beziehungen, durch Anwendung von
Prinzipien, ... durch Kombinationen ... Sy-
steme, etc...” Aus dieser Position wendet er
sich gegen zwei ihm bedrohlich erscheinende
Strömungen: gegen diejenigen Architekten,
die alles ihren subjektiven willkürlichen Ein-
fällen und ihrer Phantasie überlassen, weil
der Typus nicht meßbar und genau zu de-
finieren ist („Daraus folgt die komplette
Anarchie sowohl in den Details als auch
in der Gesamtform jeder Komposition.”).
Und er wendet sich gegen diejenigen, die
aus Mangel an Vorstellungskraft den Typus
als Modell nehmen und einfach kopieren.
Typus ist die „ursprüngliche logische Grund-
struktur eines Dings’”” — nicht das komplette
Ding selbst.
Zwar betont Quatremere den Bezug des
Typus zu den funktionalen und technischen
(Material, Konstruktion) Notwendigkeiten,
und will von der Symbolisierung außerarchi-
tektonischer Ideen als Essenz des Typus nichts
wissen, aber einen formalen Aspekt hat sein
Typusbegriff dennoch: jede Gebäudegattung
hat eine charakteristische, „typische“ Form,
die Notwendigkeit und Gebrauch darstellt.
Der Architekt soll diese typische, den Notwen-
digkeiten entsprechende Form als Richtschnur
für seine metaphorische Imitation nehmen,
und nicht für alle Gebäudegattungen dieselben
Formen, Kompositionsregeln und Säulenord-
nungen gebrauchen.
Struktural-funktionaler Typusbegriff bei
Durand
Am Beginn des 19. Jahrhunderts steht mit
der Theorie- und Methodenentwicklung Durands
das Zurückdrängen des formal-symbolischen Ty-
pus-Begriffs zugunsten eines nicht mehr auf der
Urhütten-Theorie, sondern auf wissenschaftli-
chen Untersuchungen von Funktion und Kon-
struktion basierenden struktural-funktionalen
Typus-Verständnisses. Damit gewinnt gleich-
zeitig die Tendenz des technisch-funktionalen
Rationalismus gegenüber der des ästhetischen
Rationalismus an Bedeutung. Durand’s Theo-
rie und Entwurfsmethode markieren einen
Wendepunkt, von dem aus die Rationale Ten-
denz in den Funktionalismus des 20. Jahrhun-
derts mündet — freilich erst nach einer langen
Phase, in der die Verselbständigung von Funk-
tion und Konstruktion gegenüber der Form
(wobei nur erstere noch rationalen Prinzipien
unterworfen war) einen irrationalen Eklekti-
zismus ermöglichte. Der Entwicklungsstrang
des ästhetischen Rationalismus war damit
unterbrochen, und taucht erst als Nebenlinie
im Neuen Bauen wieder auf.
Ausgangspunkt waren wiederum Entwick-
lungen in den Naturwissenschaften: Das
zoologische Klassifikationssystem von Cuvier
(1795-1800) basierte nicht mehr auf forma-
len, physiognomischen Merkmalen, sondern
auf grundlegend unterschiedlichen Typen
von anatomischen Strukturen. Gleichzeitig
war in der Kristallographie und der darstel-
lenden Geometrie ein Instrumentarium ent-
wickelt worden, mit dem die Bildungsgesetze
räumlicher Formen exakt beschrieben und
barkeit der architektonischen Elemente
begreift. Eine Architektur als Reflektion
auf ihre eigenes historisches Ende?
Scheinbar weniger radikal, aber darum
nicht weniger folgenreich, reagiert die
Hauptlinie der Rationalen Architektur
auf die Warenästhetisierung mit einer
Rückwendung auf die immanenten Fra-
gen der Disziplin (die sie, wie wir gese-
hen haben, mit der Analyse der städti-
schen Struktur verbunden wissen will),
um auf ihr aufbauend die Architektur
durch die Entdeckung formaler Invarian-
zen erneut zu begründen. Diese Konzen-
tration auf die immanenten Fragen der
Disziplin und die Zurückführung der Dis-
ziplin auf die Invarianzen der städtischen
Morphologie reflektiert in der Theoriebil-
dung die „(gesellschaftlich) erzwungene
Reduktion der Architektur ... zu einer
Frage der Form” (Manfredo Tafuri). Da-
mit vollzieht diese Architektengeneration
an sich selbst subjektiv (und das zum er-
sten Mal) den objektiven gesellschaftlichen
Prozeß der Warenästhetisierung der Archi-
tektur nach. Anders ausgedrückt: diese
Architektengeneration versucht die objek-
tiven gesellschaftlichen Prozesse „zur Spra:
che zu bringen”, indem sie ihnen eine
Form verleiht.
In der Rationalen Architektur sehen
wir aber auch eine Antwort auf die Wa-
renästhetisierung der Architektur insge-
samt. Diese Antwort erkennen wir in der
Entwicklung von Ästhetiken der Archi-
tektursprache, mit der sie auf Basis der
Reduktion von Architektur auf ein blo-
Bes Sprachphänomen die Warenästhetisie-
rung insgesamt zu beantworten versucht.
Mit dieser Reduktion der ästhetischen
Möglichkeiten der Architektur auf ein
bloßes Sprachphänomen hofft die heutige
Architektengeneration den „Tod der Ar-
chitektur” (von dem Tafuri spricht, um
die immer auswegloser werdende Situa-
tion der gegenwärtigen Architektur zu
charakterisieren) durch die „Auferstehung
der Toten” zu überwinden, wobei mit der
„Auferstehung der Toten” die der Archi-
tekten gemeint ist, die sich den „theore-
tischen und praktischen Korpus der Ar-
chitektur’”’ (Aldo Rossi) als ihren nun-
mehrigen Kunstleib aneignen wollen, um
dadurch den „Tod der Architektur” zu
überleben.
Die Architektur nach dem „Tod der Ar-
chitektur”
Im Gegensatz zu eher pauschalisieren-
den Einschätzungen der Rationalen Archi-
tektur, die sie nur in Verbindung mit dem
konstatierten „Tod der Architektur” (Man
fredo Tafuri) diskutieren, betrachten wir
sie als eine historische Übergangsform in
der Geschichte der Architektur. Nach der
Etappe der sozial und vor allem auch kul-
turell eng mit dem materiellen Schicksal
und den Ideologien seines gesellschaftli-
chen Trägers, des sich emanzipierenden
Bürgertums, verwobenen „bürgerlichen
Architektur” — die etwa mit der Archi-
tektur der Aufklärung beginnt, und spä-
testens im Neuen Bauen endet —; nach
dem Versuch der Vertreibung ästhetisch-
kultureller Bezüge aus der Architektur und
ihrer Unterordnung unter technische, öko-
nomische und funktionale Optimierungen
(„Bauwirtschaftsfunktionalismus’’ nach
1945) markiert die Rationale Architektur
eine neue Etappe, die wir als „‚Architek-
tur der Verkleidung” bezeichnen wollen.
Sie versucht, die Architektur als eine
Kunst zu rekonstruieren, aber ihr fehlt
ein gesellschaftlicher Träger und damit
der Bezug zu einem aktuellen kulturellen
Kontext. Sie ist eine isolierte (und wohl
auch elitäre) Tendenz innerhalb einer auf
die Form bescheiden sich beschränkenden
Architektur, die sich mangels eines leben-
den gesellschaftlichen Trägers der Form-
Fossilien der vergangenen Etappe der bür-
gerlichen Architektur bedient — ohne je-
doch deren Fortsetzung oder gar deren
Überwindung zu sein.
Die Architektur der Verkleidung
‘Architektur der Verkleidung’ soll die
oben unter dem Stichwort Warenästheti-
sierung der Architektur zusammengefaß-
ten gesellschaftlichen Prozesse in einem
architekturtheoretischen Begriff erfassen,
nämlich:
1) die Auflösung der traditionellen Form-
Inhalt-Beziehung in der Produktion von
Architektur in gesellschaftlich gesonderte
Verhältnisse und
2) die Verselbständigung der architek to-
nischen Formproduktion (oder komple-
mentär der Produktion architektonischer
Inhalte und Bedeutungen) als eines dieser
gesonderten Verhältnisse. Das kann zum
Beispiel die Behandlung der Form als
einer ‘rein’ ästhetischen Frage bedeuten
oder die des Inhaltes als einem Gegen-
stand besonderer Verwissenschaftlichung
von Architektur, wie es z.B. in der Nut-
zungsforschung geschieht, oder auch die
Unterwerfung der Form unter primär öko-
nomische Interessen, wobei die Form
rücksichtslos, das heißt ohne Berücksich-
tigung ihrer inhaltlichen Bezüge, unter
dem Gesichtspunkt der Verkaufbarkeit
der Produkte betrachtet wird, sie also
vornehmlich als Mittel der werbenden‘
Überredung zur Verkaufsförderung einge-
setzt wird.
Die Demontage des Zusammenhangs
von „Form” und „Inhalt wird nun zum
eigentlichen Thema der Architektur, die
sich gegenwärtig mit zwei sich scheinbar
ausschließenden Perspektiven entwickelt,
nämlich:
1) als Warenästhetik der Verkaufssprachen,
zu der wir die verschiedenen Techniken
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