Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

der werbenden Überredung rechnen und 
die wir in der „elektrographischen Archi- 
tektur”” von Las Vegas verwirklicht se- 
hen und 
2) als Ästhetik „„‚autonomer” Architektur- 
sprachen, zu denen wir u.a. die Rationa- 
le Architektur zählen. 
In beiden Fällen handelt es sich um 
Ästhetiken der Sprache, deren semanti- 
sche und syntaktische Aspekte gegenüber 
den pragmatischen (Bedeutungen, Inhal- 
te) verselbständigt werden. Bei Robert 
Venturi lassen sich bereits die ersten 
Berührungspunkte zwischen diesen unter- 
schiedlichen Entwicklungslinien der Ar- 
chitektur feststellen. 
Rationale Architektur verstehen wir 
in diesem Sinne als eine ‘Architektur der 
Verkleidung’, die bestimmt ist durch: 
1) die Entwicklung des Produktionspro- 
zesses von architektonischen Formen zu 
einem gesonderten gesellschaftlichen Ver- 
hältnis, das auf der „Autonomie der 
Form” beruht und 
2) die Form — Inhalt — Beziehungen als 
Beziehungen einer Formdialektik, die den 
Inhalt nur noch als einen Gegenstand der 
Form auffaßt. 
Die Autonomie der Form 
Die „Autonomie der Form” oder an- 
ders ausgedrückt, das Beharren auf der Ar- 
chitektur als einer ‘autonomen’ Disziplin 
bildet die Basisannahme dieses Architek- 
turverständnisses. Sie ist die axiomatische 
Basis all der Versuche von Aldo Rossi oder 
Carlo Aymonino, von Oswald M. Ungers 
oder Peter D. Eisenman, die sich bemüh- 
hen, die Sprachbildung von Architektur 
durch einen rationalistischen Modus zu 
begründen. Diese Autonomie der Form 
konkretisiert sich: 
1) in der Einführung von formalen Inva- 
rianzen in der Architektur und 
2) in der Betrachtung der Funktion als 
eine Anforderung (unter anderen) an die 
Form. 
Im Rahmen dieses Architekturverständ- 
Nisses fungieren dann die Invarianten und 
die Inhalte (Funktion) der Form als Kon- 
stanten und intervenierende Variablen der 
Sprachbildung von Architektur. Die Sprach: 
bildung selbst ist als ein Prozeß der „Mo- 
difikationen” von Invarianten vorzustellen. 
Dabei sind unter den Modifikationen die 
formalen Operationen zu begreifen, in de- 
nen sich die funktionalen Anforderungen 
an die Form im Prozeß der Sprachbildung 
auswirken. 
Der Formbegriff der Rationalen Architek- 
tur 
Mit diesem Verständnis der „Autono- 
mie der Form” führt die Rationale Archi- 
tektur einen Formbegriff bzw. ein Archi- 
tekturverständnis ein. das mittels des 
Formbegriffs bezweckt: 
1) die der Architektur gesellschaftlich ent- 
zogenen Inhalte durch die Form zurück- 
zugewinnen und 
2) die Auflösung der traditionellen Form- 
Inhalt-Beziehung in gesonderte gesell- 
schaftliche Verhältnisse ihrer Produktion 
durch den autonomen Formbegriff wie- 
der rückgängig zu machen. 
Im Rahmen dieses Architekturverständ- 
nisses kehren die gesellschaftlichen Inhalte 
von Architektur als Gegenstände der Form 
bzw. als Momente einer Formdialektik wie- 
der, die der Form erlauben sollen, was 
der Architektur als Ganzes nicht mehr 
möglich ist, nämlich gesellschaftliche In- 
halte (Gebrauchsweisen, Bedeutungen etc. 
als Ausdruck der gesellschaftlichen Träger 
von Architektur) zur Sprache zu bringen. 
Progressive und regressive Momente der 
Rationalen Architektur 
In diesem Formverständnis der Rationa- 
len Architektur liegen sowohl die emanzi- 
patorischen als auch regressiven Potentiale 
dieses Architekturverständnisses. Emanzi- 
patorisch erscheint uns der Anspruch, die 
Architektur wieder als ein ästhetisches Me- 
dium zu betrachten, um wenigstens mit- 
tels der Form und symbolisch einen An- 
spruch einzulösen, den die Architektur 
realiter nicht mehr erfüllen kann, oder 
wenn, dann nur noch im Widerspruch 
gegen die Entwicklung der Produktions- 
verhältnisse. 
Im Unterschied aber zu früheren Kunst- 
verständnissen von Architektur ist dieser 
Kunstanspruch nunmehr rein autoreflexiv 
bloß noch mit der Verarbeitung des trau- 
rigen Schicksals der Architektur als Dis- 
ziplin beschäftigt. Das beweist u.a. der 
Versuch von Robert Venturi, eine Archi- 
tektursprache auf der Möglichkeit der 
Trennbarkeit ihrer Elemente aufzubauen. 
um in dieser Form die reale Demontage 
der Architektur zu thematisieren und 
als ästhetisches Montageprinzip in die 
Architektur einzuführen. 
Die Aneignung des historischen Erbes 
der bürgerlichen Architektur, auf die die 
Auseinandersetzung mit der Geschichte 
der Architektur im Kern hinausläuft, 
wird aber solange folgenlos bleiben, wie 
sie gegen die abstrakte Behauptung vom 
„Tod der Architektur’ die nicht weniger 
abstrakte von der Autonomie der Diszi- 
plin stellt. Unseres Erachtens läßt sich 
der emanzipatorische Anspruch dieses 
Architekturverständnisses nur einlösen, 
wenn es gelingt, das wiedergewonnene 
Selbstverständnis der Disziplin mit den 
aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen 
der Planung und Produktion von Archi- 
tektur zu verbinden, um der Disziplin 
nicht nur eine neue Bedeutung zuzuspre- 
chen, sondern auch einen neuen Inhalt 
zuzuführen. 
aus Grundelementen und Verknüpfungsregeln 
neue, vollständig rationale Formen erzeugt 
werden konnten. 
„Durand unterteilte die Architektur, 
oder besser, baute sie auf, aus Kombinationen 
nicht weiter reduzierbarer Grundelemente. 
Diese Elemente-Wände, Säulen, Öffnungen 
— mußten zu Zwischeneinheiten — Torbögen, 
Treppenanlagen, Hallen, usw. — kombiniert 
werden und diese wiederum wurden zu kom- 
pletten Ensembles, die wiederum Städte bil- 
deten, zusammengesetzt. Die ganze Opera- 
tion wurde durch die dreidimensionale Geo- 
metrie gesteuert — auf einem Raster-Papier, 
das entsprechend der kleinsten vorkommen- 
den Einheit dimensioniert war.” (A. Vidler, 
a.a.O., S. 107/8) Mit Hilfe seiner geome- 
trischen Grundformen und des dreidimen- 
siopnalen Rasters konnte Durand für jede 
funktionale Anforderung ein abstraktes 
typologisches Diagramm vorschlagen. 
Ähnlich der späteren funktionalistischen 
Doktrin betrachtete Durand Wirtschaftlich - 
keit und Bequemlichkeit als Quellen der 
Schönheit. Er war damit der Wegbereiter 
eines technisch-ökonomischen Typusbegriffs,: 
Typus als der experimentell optimierte und 
perfektionierte Prototyp, der als standardi- 
siertes Industrieprodukt beliebig oft und 
in gleichbleibender Perfektion reproduziert 
werden kann. 
Als „Typus” und „konstituierende Prin- 
zipien” der Architektur wurden die konstruk 
tiven und funktionalen Lösungen der gestell- 
ten Anforderungen aufgefaßt; die äußere 
Form war vom Inhalt befreit, akzidentiell, 
an Geschmack und Situation anpaßbar. 
Die Funktionalisten des 20. Jahrhunderts 
versuchten, diese Einheiten von Form und 
Inhalt zu rekonstruieren und scheiterten an 
der inzwischen gesellschaftlich durchgesetz- 
ten Entziehung des Inhalts aus der Kompe- 
tenz des Architekten — womit er aus einer 
rein technisch-funktionalen Rationalität 
auch keine konsistenten Prinzipien für die 
Frage der Form mehr aewinnen konnte. 
Das symbolische Modell: Der salomonische Tem- 
pel. Anomymes Blatt der Freimaurer, ca. 1774 
Die hier unter dem Zwang des Kürzens nur be- 
gonne Darstellung und Analyse von Architek- 
tur-(Kunst-)verständnis und Entwurfsmetho- 
dik des ästhetischen Rationalismus werden wir 
in einem der nächsten Hefte weiterführen. Da- 
bei wird die deutsche Entwicklung um die 
Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert im 
Mittelpunkt stehen: vor allem Theorien und 
Methoden von Karl Friedrich Schinkel, auf den 
z.B. O.M. Ungers und J. Stirling sich heute 
intensiv zurückbeziehen 
CM
	        
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