Zu diesem Heft
Der ’Tod der Architektur’ und die Antworten der Architekten
Der „Tod der Architektur” im alltäg-
lich Gebauten muß nicht länger verbal be-
hauptet werden, er ist sichtbar (vgl. unten
Hoffmann-Axthelm). Wenn es noch Archi-
tektur gibt, so infiziert sie nicht länger die
Form des alltäglich Gebauten. Und wenn
es einmal eine Einheit von Architektur und
Bauen gegeben hat, so ist sie zerbrochen.
Damit ist eine neue ‘Etappe’ erreicht:
— Die bürgerlich-industrielle Revolution
hat den klassischen Dualismus einer Archi-
tektur der Monumente und eines Bauens
in vernaculärer Tradition aufgelöst (vgl.
Kuhnert, Reiß-Schmidt), indem sie letzte-
re zerstörte und erstere zur universellen
machte: sie beraubte die Monumente ih-
rer Einzigartigkeit, ersetzte sie durch T y-
pen und Modelle ziviler Monumentalbau-
ten, die die sich auflösende Stadt auf neue
Weise als erlebbare ästhetische Ganzheit
zusammenhalten sollten (vgl. Aymonino)
und versteckte noch die unmenschlichsten
Wohnverhältnisse hinter den Masken der
heute.so anheimelnden Gründerzeitfassa-
den. — Diesen ästhetischen Schein zu ver-
treiben und dennoch jedes alltägliche Bau-
objekt zum Architekturobjekt zu machen,
war der Impetus des ‘Neuen Bauens’. Die
Zwecke selbst sollten erscheinen. — Lassen
wir dahingestellt, ob der ‚„‚Bauwirtschafts-
funk tionalismus’’ jüngster und jüngerer
Vergangenheit das Programm des ‘Neuen
Bauens’ zur Unkenntlichkeit entstellt oder
erst zur Kenntlichkeit gebracht hat. Zwei-
fellos war der Funktionalismus Wegberei-
ter einer Entwicklung, die längst über ihn
hinweggegangen ist: „Die Erscheinungs-
fähigkeit der Zwecke ist verlorengegangen.
Die Zwecke sind so übermächtig, daß sie
die Hilfe der Erscheinung nicht mehr
brauchen!” (Hoffmann-Axthelm).
Der Architektur scheint der Gegen-
stand verlorengegangen zu sein, und die
internationale Architektenavantgarde ist
darum rückverwiesen auf eine vordem ver-
pönte Aufgabe: den Entwurf von Monu-
menten, „künstliche (der Lebenspraxis
enthobene) Konstruktionen kollektiver
Erinnerung” (Loos, vgl. Tafuri, S. 4ff).
Sie müssen dazu freilich die kollektiven
Erinnerungen se/bst künstlich (re-)kon-
struieren: Die Selbstauflösung der bürger-
lichen Kultur im Fortschreiten der Kapital-
bewegung, verwischt beständig ihre eige-
nen geschichtlichen Spuren, kollektive
Erinnerung bewahrt die Erfahrung von
Herrschaft und muß darum zusammen mit
deren Existenz geleugnet werden. Kein
Wunder also, daß sich gerade Museumsbau-
ten, die Orte also, in die diese Gesellschaft
ihre kulturelle Geschichte verbannt, bei
der Architekturavantgarde großer Beliebt-
heit erfreuen (vgl. v.a. Stirlings letzte Ent-
würfe) und kein Wunder auch, daß sich
unter den Händen Rossi’s die Allerwelts-
aufgabe einer Wohnzeile zum Monument
formen muß, das kollektive Erinnerungen
beschwört, an die sich niemand als kollek-
tive erinnert. Rossi’s Rückgriff auf histo-
logische Typol/ogien wird so zur Flucht
aus der Geschichte und entsprechend ge-
rinnt der Begriff des Typus — also die
{städte-) bauliche Struktur, in der sich die
Kontinuität gesellschaftlich-Kultureller Le-
bensformen bewahrt und in der sich Indi-
vidualität in Beziehung zur (herrschenden
Form) der Kollektivität setzt — zum Arche-
typus — und diesem, nicht dem Wohnen,
gibt er Form (vgl. Rossis Beitrag unten
und im Gegensatz dazu Aymoninos histo-
risch-materialistische Analyse der Rolle
des Typus).
Analoges gilt auch für Robert Venturi:
trotz der bewußten Akzeptierung der
Trennung von baulich-technischem Ob-
jekt und aufgelegtem Design, die die mit
warenästhetischen Zeichen verkleideten
Umwelten einer Gesellschaft kennzeich-
net, die „Städte’” namentlich in Rossi’s
emphatischen Sinne anders als in Italien
nicht (mehr) kennt, geraten besonders
Venturi’s spätere Bauten zu Monumen-
ten der plakativen Methode — Reklame
mit Kunstaura.
Architektur —,,Baukunst’’ — ist also
nur mehr möglich um den Preis gewollter
oder ungewollter, aber eben /eerer Monu-
mentalität, d.h. um den Preis ihrer Flucht
aus der alltäglichen Lebenspraxis. Der
tödlichen Öde des alltäglich Gebauten ent-
spricht das „tödliche Schweigen” (Tafuri)
der Schöpfungen der Avantgarde.
Die internationale Diskussion um die
„Wiederbelebung der Architektur” und
ihre verspätet einsetzende Rezeption in
der BRD ist die Antwort der Disziplin auf
ein Problem, welches sich freilich mit de-
ren Mitteln (allein) nicht lösen läßt, aber.
sie in ihrem Kern betrifft: den „Zerfall des
kapitalistischen Raums” (vgl. Lef&bvre in
34 ARCH+). Dieser Raum ist homogen,
vollständig beherrscht, ohne Herrschaft
darzustellen oder zu verklären, er ist zu-
gleich vollständig parzelliert, zersplittert.
„Dieser Raum ist so organisiert, daß die
Benutzer zu Passivität und Schweigen ver-
urteilt sind, wenn sie nicht revoltieren.”
(Lef&bvre). Die Pioniere des Funktionalis-
mus haben diesen Raum als Raum der
Freiheit, als kollektiv beherrschten Raum,
als Raum der nurmehr den Zwecken seines
Gebrauchs gehorcht, idealisiert. Aber es
ist ein Raum, der sich gegen jeden Ge-
brauch sperrt (‚‚Betreten verboten!”’) oder
nur eine Form des Gebrauchs zuläßt — kurz-
um ein verwalteter Raum . Es ist ein Raum,
dessen „„‚Unbewohnbarkeit” inzwischen
selbst zum ökonomischen Problem gewor-
den ist, wie die Flucht nicht nur ins städti-
sche Umland, sondern auch — vor allem
in USA — aus den Agglomerationen ebenso
beweist, wie die seit dem Zusammenbruch
der „‚Betongold’ -Spekulation 1973 anhal-
tende Wohnungsbaukrise in der BRD, die
freilich auch bloß konijunkturelle Ursachen
hat.
Diese Krise bezeichnet einen Wende-
punkt. So wie bisher kann in der Tat nicht
weitergebaut werden. Und es trifft zu, was
die Propagandisten einer ‚Wiederbelebung
der Architektur” landauf landab verkünden:
‘Der Funktionalismus ist tot!’
Der ‘Tod des Funktionalismus’ bezeich-
net nicht nur eine weitere Etappe der Auf-
lösung der Disziplin; er bezeichnet zugleich
ein Symptom des Anfangs vom Ende des
kapitalistischen Raumes. Die tabula rasa,
die der ‘Tod des Funktionalismus’ hinter-
läßt, ist natürlich die Stunde der Ideolo-
gen: Wenn zwar die „Unbewohnbarkeit”
des kapitalistischen Raums nur gegen sei-
ne Entwicklungsmotorik aufzuheben ist,
so kann doch das allzu offenkundige Er-
scheinen dieser ‘Unbewohnbarkeit’ ver-
schleiert werden. Damit stellen sich der
Ästhetik objektiv neue (? ) Aufgaben,
Aufgaben, die freilich mit der Fassaden-
kosmetik der Gründerzeit mehr gemein
haben als eben mit dem Programm der
funktionalistischen Ästhetik: die Zwecke
„schön’’ und rein zum Erscheinen zu brin-
gen. Nunmehr geht es darum, sie anspre-
chend zu verbergen (vgl. W. Durth).
„Zurück zur Form!” fordert Heinrich
Klotz daher, „den Vorwurf reaktionärer
Gesinnung nicht leicht ertragend” (in
werk-archithese 3/77), oder deutlicher
noch: Zurück zur Fassade!” — so als ob
es Fassaden geben könnte, wenn die
Straße längst ‘yestorben’ ist. Klotz läßt -
die Katze aus denı Sack, wenn er in einer
kleinen Hommage für Francois Burckhardt
erklärt: „Als Leiter des IDZ war sein
Handlungsmotiv, den Begriff des ‘Design’,
der scheinbar unwiderruflich festgelegt
schien auf die Gestaltung von industriell
gefertigten Gebrauchsgegenständen, auS-
zudehnen auf die Architektur ...”” (Zu den
Problemen einer solchen „‚Ausdehnung”
vgl. unten Hoffmann-Axthelm).
Klotz’ Kampagne richtet sich schein-
bar gegen zwei Gegner: gegen den „Bau-
wirtschaftsfunktionalismus’’ und gegen die
linken Kritiker dieser Bau-Wirtschaft — in
Wahrheit nur gegen diese Kritiker, offeriert
er doch der Bauwirtschaft, deren offenbare