Als regressiv sehen wir dagegen das die-
sen Kunstanspruch stützende Kunstver-
ständnis an. Wir meinen die ausschließli-
che Konzentration auf die Subjektivität
des Entwerfenden und die vorrangige
Orientierung an der Form, die schon mit
der Entwurfshaltung und dem Formver-
ständnis alle Fragen ausschließen, die nicht
die singulären Probleme des Entwerfen-
den und der Form betreffen. Damit wol-
len wir nicht den Subjektivismus und
Formalismus der Rationalen Architektur
unnötig denunzieren. Ganz im Gegenteil.
Trotzdem sehen wir in ihnen die Gefahr,
daß das, was an emanzipatorischen Po-
tentialen in diesem Architekturverständ-
nis enthalten ist, aufgrund der Singulari-
tät und der Struktur seines Begründungs-
versuchs in einer bloßen Verkleidung der
gesellschaftlichen Verhältnisse stecken-
bleibt, die der gesel/schaftlichen Tendenz
zur Restaurierung bürgerlicher Lebensver-
hältnisse die Sprache der Restauration
leiht.
Nicolaus Kuhnert, Stephan Reiß-Schmidt
Einige Anmerkungen mußten aus Gründen der
Kürzung entfallen.
I) Vgl. die Monographien zu den Architek-
ten Robert Venturi, Aldo Rossi, Oswald
M. Ungers und Peter D. Eisenman in 33,
34 und 35 ARCH+, 1977.
Vgl. den Katalog der ‚,Internationalen
Architekturausstellung der XV. Mailänder
Triennale‘, Architettura Razionale, hrsg.
von E. Bonfanti, R. Bonicalzi, A. Rossi,
M. Scolari, D. Vitali, Franco Angeli Edito-
ri, 1973.
Vgl. Aldo Rossi, Einleitung zu E.L.
Boullee, in: Etienne Louis Boullee, Archi-
tettura, Saggio sull’Arte, Marsilio Editori
Padova, 1967.
Zur Rationalen Architektur rechnen sich
Carlo Aymonino, Girogio Grassi, Aldo
Rossi, Massimo Scolari, um nur die pronon-
ziertesten Vertreter der ‘italienischen Rich-
tung’ dieses Architekturverständnisses an-
zusprechen, die Gebrüder Krier, Josef
Paul Kleihues, Oswald M. Ungers, Peter 13)
D. Eisenman, Charles Gwathmey, Michael
Graves, John Hejduk, Richard Meier u.a.
Vgl. Architettura Razionale, a.a.O., ver-
schiedene Nummern der Zeitschriften ar-
chithese, Controspazio, Oppositions, die
Dortmunder Architekturhefte, insbeson-
dere die Nummern 2 und 3.
Der Begriff „‚rationalismo esaltato’‘ 1äßt
sich in etwa mit emphatischem Rationa-
lismus übersetzen. Als Bestimmungen des
emphatischen Rationalismus führt Aldo
Rossi an: „„... in der Realität konstituiert 15)
der logische Bildungsprozeß von Architek-
tur die Disziplin — in einem gegensätzli-
chen Sinne aber zu jenem der antiken und
modernen funktionalistischen Traktate —
den theoretischen und praktischen Korpus
der Architektur, ohne sich mit den Resul-
taten der Architektur zu identifizieren.
Sicherlich fordert der konventionelle Ra-
tionalismus’ alle architektonischen Pro-
zesse aus Prinzipien herzuleiten, während
der emphatische Rationalismus von Boullee
u.a, von einem Vertrauen ausgeht, das das
System erhellt, ohne ihm äußerlich zu sein.
Es gibt daher einerseits die größte Auto-
nomie des Systems, die Klarheit der Gedan-
ken und andererseits die autobiographische
Singularität der Erfahrungen. Und natür-
lich ist diese Beziehung besonders kom-
plex in der Architektur ...
Ich glaube heute, daß das authentische
Problem der Architektur in der Bildung die
ses logischen Systems liegt, eines Systems,
das in sich gültig und unabhängig von den
Meinungsverschiedenheiten zwischen dem
wissenschaftlichen Verständnis von Archi-
tektur und der Kunst, von Differenzen, die
vom konventionellen Rationalismus geleug-
net, während sie vom emphatischen Ratio-
nalismus akzentuiert werden ...
In diesem Sinne werde ich von einem
emphatischen, emotionalen und metapho-
rischen Rationalismus sprechen. Es bleibt
jedenfalls, daß einzig ein authentischer Ra-
tionalismus — als Entwicklung einer Logik
der Architektur — die alten funktionalisti-
schen Fehler und die neuen Fabeln von der 21)
Architektur als einer interdisziplinären 22)
Disziplin über winden kann, denn die Archi- 23)
tektur wurde immer durch einen — prak-
tisch und theoretisch — gut definierten
Korpus gebildet, der durch die komposi- 25)
torischen, typologischen und distributi-
ven Probleme des Studiums der Stadt u.a.
konstituiert wurde. Dieser Korpus der Ar-
chitektur umfaßt all die gedachten, gezeich-
neten oder konstruierten Werke, von de-
nen wir Kenntnis haben ...
Es ist dieser Korpus der Architektur, der
in seinen allgemeinsten Formen die rationa-
listische Haltung in bezug auf die Architek- 26)
tur und ihren Bildungsprozeß bestimmt und
das Vertrauen in die Möglichkeit einer Leh-
re begründet, daß die Welt der Formen eben-
so logisch und präzise zu bestimmen ist wie 30)
jeder andere Aspekt des architektonischen
Phänomens ...
Ebenda.,
Sprachbildung und Sprachgebrauch unter-
scheiden wir entsprechend der Saussure-
schen Terminologie: 1) Sprache (langue):
„das Sprachsystem, ... das (seinem) Wesen
nach sozial und vom Individuum unabhän-
gig ist‘ und das das „’Wörterbuch‘ der
Zeichen und Regeln bildet”. 2) Sprachge-
brauch (parole): ,, ... die aktuell konkrete
Rede, der das Sprachsystem zugrundeliegt.””
aus: Theodor Lewandowski, Linguistisches
Wörterbuch, Langue, Parole; Universitäts-
taschenbücher, Quelle und Meyer, Heidel-
berg, 1975.
Istituto universitario di Architettura di
Venezia; Rapporti tra la morfologia urba-
na e la tipologia edilizia, Editrice Cluva
Venezia 1966; dieser Tagungsbericht ent-
hält u.a. Beiträge von Carlo Aymonino,
Fabbri und Aldo Rossi.
Facolta di Architettura del Politecnico di
Milano, Gruppo di recerca diretto da Aldo
Rossi: L’Analisi urbana e la progettazione
architettonica, clup, Milano 1974, u.a. mit
Beiträgen von Franco Apra, Giorgio Grassi
und Aldo Rossi.
Carlo Aymonino, II Significato della Citta,
Laterza, 1976, S. 18.
Mit prozeßbezogenem Entwerfen beziehen
wir uns auf verschiedene Versuche, wie
wir sie u.a. mit dem Konzept der Lehrbau-
spiele vorgeschlagen haben. Mit den Lehr-
bauspielen haben wir versucht, Entwurfs-
didaktiken zu entwickeln, die umfassen: 32)
a) Didaktiken des Entwerfens, d.i. die Kon- 33)
stituierung und Auflösung einer relativen 34)
Autonomie des Entwurfs im Prozeß des
Entwerfens (Konfliktentwurf),
b) Didaktiken des Entwurfs, d.i. die Pro-
blemformulierung und Problemauflösung
in der Sprache der Architektur durch ver-
schiedene Formen der Kommentierung
(Medienkombination) und
d) Didak tiken des Sprachgebrauchs, d.i.
die Konstituierung und Auflösung der
Realitätsebenen von Architektur.
Vgl. Lehrbauspiele. Architektur als politi-
sches Medium, in: 30 ARCH+; Lehrbau-
spiele Haaren — ein Werkbericht, in:
33 ARCH+; Entwurfskompendium |,
Lehrstuhl Planungstheorie, 1978; Fuhr-
mann, Mailandt, Reiß-Schmidt, Weicken,
Planerische Strategien zur Erhaltung und
Verbesserung innerstädtischer Mischge-
biete, Diplomarbeit am Lehrstuhl Pla-
nungstheorie.
Carlo Aymonino. II Significato della Citta,
a.a.O0.S. 145 ff.
Aldo Rossi, L’Architettura della Citta,
a.a.0., 5.57 ff:
Aldo Rossi, L‘Architettura della Citta,
a.a.0., 5.3.
Ebenda, S. 32.
Ebenda.
Carlo Aymonino, Lo Studio dei Fenome-
ni urbani, in: La Citta di Padova, Officina
Edizioni, 1972, S. 23ff.
Die Bestimmung des Modellbegriffs von
Rossi folgt derjenigen von Quatremere de
Quincey. Quincey spricht von dem Mo-
dell als „‚ein(em) Objekt, das so, wie es
ist, wiedergegeben werden muß‘. Im Ge-
gensatz zum Typus ist es „eine zu (imi-
tierende) und zu kopierende ... Sache.”
in: Aldo Rossi, L’Architettura della Citta,
Ss. 31.
Vgl. Entwurfskonpendium |, Aus dem
Chaos der Stadt Lernen? Die Formprinzi-
pien der Architektur Oswald M. Ungers,
in: 35 ARCH+, S. 46/47.
Bei der „‚c/tta analoga geht es „um die
theoretischen Fragen des Entwurfs: das
meint den kompositorischen Vorgang, der
sich auf einige fundamentale Faktoren
stützt und ihnen im Rahmen eines analo-
gen Systems andere hinzufügt. Um dieses
Konzept zu illustrieren, habe ich einige
Beobachtungen über Canalettos Ansicht
von Venedig gemacht ... wo der palladia-
nische Entwurf für die Rialtobrücke, die
Basilika und der Palazzo Chiericati anein-
ander angenähert und so dargestellt sind,
als wenn das Bild eine von Canaletto
beobachtete städtische Situation wieder-
geben würde. Die drei palladianischen
Monumente, von denen nur eines ein Ent-
wurf geblieben ist, konstituieren so ein
analoges Venedig, dessen Struktur (forma-
zione) durch bestimmte Elemente und .
durch das Erbe der Geschichte der Archi-
tektur wie der Stadt gebildet wird. Die
geographische Umstellung der Monumen-
te zu einem Entwurf konstituiert eine
Stadt, die wir kennen, abwohl sie nur
den Ort der reinen architek tonischen Wer-
te wiedergibt ... Eine ‘Collage’ der palladia-
nischen Architekturen, die eine neue
Stadt bilden und die durch diesen Bil-
dungsprozeß sich selbst konstituieren.”
Aldo Rossi, L’Architettura della raglone
come architettura di tendenzo, in: Scritt!
scelti sull‘ architettura e la Citta, S. 370.
Vgl. Entwurfskompendium |. Aus dem
Chaos der Stadt lernen? Die Formprin-
zipien der Architektur Oswald M. Ungers,
in: 35 ARCH+, S. 46/47.
Ebenda.,.
Ebenda, ne
Vgl. dazu Carlo Aymonino, |! ST
della Citta, a.a.O., S. 18 ff.
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