entstehen. Das gilt für alle menschlichen Erfin-
dungen. Trotz späterer Veränderungen haben
sie alle, für Gefühl! und Verstand deutlich er-
kennbar, ihr Grundprinzip beibehalten. Es stellt
eine Art Kern dar, an den in der Folge alle
Entwicklungen und Formvarianten, deren das
Objekt fähig ist, in einer bestimmten Ordnung
anzuknüpfen. Deshalb sind tausend Dinge aller
Art auf uns gekommen, und es ist eine der
Hauptaufgaben von Wissenschaft und Philoso-
phie, deren Ursprung und letzte Ursache zu
erforschen, um die Gründe für ihr Entstehen
zu begreifen. Das also ist es, was in der Archi-
tektur wie in jedem anderen Zweig der mensch-
lichen Erfindungen und Institutionen als Typus
zu bezeichnen ist ... Wir haben das so gründlich
diskutiert, um das Verständnis für die Bedeu-
tung des Wortes Typus, das in vielen Werken
nur metaphorisch gebraucht wird, und für den
Irrtum derer zu wecken, die diese Bedeutung
neben der des Modells nicht kennen oder den
Typus mit der Strenge eines Modells verwech-
seln, das nach einer identischen Kopie ver-
langt.”’3)
Im ersten Teil seiner Definition
schließt der Autor die Möglichkeit aus,
etwas zu imitieren oder zu kopieren, da
es in diesem Fall, wie er im zweiten Teil
betont, keine „Schöpfung des Modeils’””
geben könnte, d.h. man würde keine Ar-
chitektur machen können.
Im zweiten Teil stellt er heraus, daß
es in der Architektur (Modell oder Form)
ein Element gibt, das seine eigene Rolle
spielt; also nicht etwas, dem sich das ar-
chitektonische Objekt in seinem Bil-
dungsprozeß angeglichen hat, sondern
etwas, das im Modell gegenwärtig ist.
Dieses ist in der Tat die Regel, der kon-
stitutive Modus der Architektur.
In logischen Begriffen könnte man
sagen, daß dieses Etwas eine Konstante
ist. Eine Folgerung dieser Art setzt vor-
aus, daß das architektonische Phänomen
(fatto) als eine Struktur konzipiert wird,
die sich an ihm selbst zu erkennen gibt
und erkennbar ist.
Wenn dieses Etwas, das wir als das typi-
sche Element oder einfach als den Typus
bezeichnen können, eine Konstante ist,
so ist es in allen architektonischen Phäno-
menen anzutreffen. Folglich ist es auch
ein kulturelles Element und ihm kann als
solchem in den verschiedenen architekto-
nischen Phänomenen nachgegangen wer-
den; die Typologie wird somit im großen
und ganzen zum analytischen Moment
der Architektur; noch besser ist sie zu
erkennen auf der Ebene der städtebauli-
chen Phänomene. Die Typologie stellt
sich also als die Lehre von den nicht
weiter reduzierbaren Typen der städti-
schen Elemente dar, sowohl der Stadt
wie der Architektur. Die Frage der
monozentrischen Städte und der Zen-
tralbauten oder anderes ist eine spezi-
fisch typologische Frage; kein Typus ist
identisch mit einer Form, auch wenn alle
architektonischen Formen auf Typen zu-
rückgeführt werden können.
Dieser Prozeß der Zurückführung ist
ein. notwendiges logisches Verfahren;
Lil
und es ist nicht möglich, über Probleme
der Form zu sprechen und dabei diese
Voraussetzungen zu ignorieren. In diesem
Sinne sind alle Architekturtraktate auch
Traktate von der Typologie, und bei der
Entwurfsarbeit ist es schwer, diese beiden
Momente zu unterscheiden. Der Typus
ist also konstant und stellt sich mit einem
Charakter von Notwendigkeit dar; aber
wenn auch determiniert, so geht er doch
ein dialektisches Verhältnis mit der Tech-
nik, mit den Funktionen, mit dem Stil,
mit dem Kollektivcharakter und mit dem
individuellen Moment eines architektoni-
schen Phänomens ein.
Bekanntlich ist der zentrale Grundriß
ein bestimmter Typus, zum Beispiel im
Sakralbau; aber dadurch wird jedes Mal,
wenn man einen zentralen Grundriß ge-
wählt hat, eine dialektische Auseinander-
setzung mit der Architektur jener Kirche,
mit ihren Funktionen, mit der Technik
der Konstruktion und schließlich mit der
Gemeinschaft, die am Leben jener Kirche
teilnimmt, geschaffen.
Ich bin geneigt zu glauben, daß die
Typen von Wohngebäuden sich seit der An:
tike bis heute nicht verändert haben, aber
das bedeutet auf keinen Fall zu behaupten,
daß sich die konkrete Lebensweise von der
Antike bis heute nicht verändert haben
und daß nicht immer neue Lebensweisen
möglich seien.
Das Laubenganghaus ist ein antikes
Schema und gegenwärtig in allen städti-
schen Häusern, die wir analysieren; ein
Gang, der Zimmer erschließt, ist ein not-
wendiges Schema, aber die Verschieden-
heiten zwischen den einzelnen Häusern in
den einzelnen Epochen, die diesen Typus
anwenden, sind so groß, daß sie unterein-
ander enorme Unterschiede aufweisen.
Schließlich können wir sagen, daß der
Typus die Idee der Architektur an sich
ist; das, was ihrem Wesen am nächsten
kommt. Er ist also das, was sich, trotz je-
der Veränderung, immer dem „Gefühl und
dem Verstand” als Prinzip der Architektur
und der Stadt dargestellt hat.
Das Problem der Typologie ist niemals
in einer systematischen Form und mit der
notwendigen Ausführlichkeit behandelt
worden; heute ist es dabei, in den Archi-
tekturschulen aufzutauchen, und wird zu
guten Ergebnissen führen. Ich bin nämlich
überzeugt, daß die Architekten selbst, 2)
wenn sie ihre Arbeit ausweiten und vertie-
fen wollen, sich von neuem mit Themen
dieser Art auseinandersetzen werden müs-
sen.
Wir wollen feststellen, daß die Typolo-
gie die Idee eines Elementes ist, die eine
eigene Rolle bei der Bildung der Form
spielt; und daß sie eine Konstante ist. Es
wird darum sich handeln, die Modalität, mit
der dieses geschieht, und abhängig davon
den effektiven Wert dieser Rolle zu erken- 3)
nen. Wie ich zu Anfang gesagt habe, sind
die Prinzipien der Architektur einmalig
und unveränderlich; aber die Antworten,
die die konkreten Situationen, die mensch-
lichen Situationen, auf verschiedene Fra-
gen geben, sind andauernd verschieden.
Ich habe somit eine vorläufige Untersu-
chung der typologischen Fragen vollzogen
und habe versucht, die Definition von eini-
gen einführenden Thesen abzuleiten. Es
wäre sehr interessant, andere Definitionen
des Typus und andere Richtungen der Un-
tersuchung' zu analysieren.
Ich weise auf die Definition hin, die von
Guido Canella gegeben wurde. Auf unter-
schiedlichen Wegen gelangte er dazu, die
Typologie als ‚, ... die Systematik zu de-
finieren, die die Invarianten der Morpholo
gie untersucht, wobei unter Morphologie
eine Reihe von Ereignissen, die sich in
einer historischen Tatsache ausdrücken
und unter Typologie der kategoriale
Aspekt zu verstehen ist, der aus der beson-
deren Aufeinanderfolge (der Ereignisse)
sich ergibt.”
„Die Invariante”, so schreibt er, „wird
in der Tat, wenn man sie als eine metho-
dische Aufgabe begreift, zur Philosophie
der Architekten.’ Diese Definition der
„Invarianten” scheint mir sehr interessant
und sehr ähnlich derjenigen zu sein, die
hier, wenn auch in einem anderen Zusam-
menhang, vorgestellt wurde; dieses ermög-:
licht neue Vergleiche und neue Beiträge.
Ein interessanter Beitrag zu diesen
Untersuchungen ist auch von Carlo Aymo-
nino geliefert worden, der bei der Erfor-
schung der Typologie sich vor allem mit
jenen Beziehungen beschäftigt, die histo-
risch in der Aufklärung und in der mo-
dernen Bewegung zwischen dem Entwer-
fen und der Normierung aufgetreten
sind und der sich bemüht, die Typen
herauszustellen, die sich immer mehr
zu einer spezifischen Form verdichten.
Er sieht dann in einigen aktuellen Pro-
jekten wie dem von Cumbernauld eine
Architektur, die, da sie formal gelöst ist,
selbst zum Typus und zum Reglement
wird.
1) Jean-Nicolas-Louis Durand, Precis des legon
d’architecture donnees a L’Ecole polytech-
nique, Paris 1802—1805, dtsch.; Abriß der
Vorlesungen über Baukunst, gehalten an der
königlichen polytechnischen Schule zu Paris,
Band 1, Carlsruhe—Freiburg, 1831
Den Begriff “fatto urbano’’ haben wir mit
städtischem Phänomen übersetzt, weil im
Deutschen für ‚‚fatto’’ (Tatsache, Sache, Er-
eignis u.a.) keine direkte Entsprechung zu
finden ist, die die von Rossi mit diesem Be-
griff anvisierte Bedeutung genau und präzis
wiedergibt, nämlich die verschiedenen Aspek
te der Stadt durch eine ihnen gemeinsame
Eigenschaft, ein ‘Faktum' der Stadt zu sein
zu charakterisieren. Wir stützen uns bei die-
ser Interpretation auf Aymonino, der im
gleichen Zusammenhang statt von ‚„fatto
urbano” auch von ‚„‚fenomeno urbano”
spricht.
Quatremere de Quincey, Distionaire histo-
rique de L’Architecture, Paris 1832
=
=
Übersetzung : Nikolaus Kuhnert und Michael Peterek