Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1978, Jg. 10, H. 37-42)

entstehen. Das gilt für alle menschlichen Erfin- 
dungen. Trotz späterer Veränderungen haben 
sie alle, für Gefühl! und Verstand deutlich er- 
kennbar, ihr Grundprinzip beibehalten. Es stellt 
eine Art Kern dar, an den in der Folge alle 
Entwicklungen und Formvarianten, deren das 
Objekt fähig ist, in einer bestimmten Ordnung 
anzuknüpfen. Deshalb sind tausend Dinge aller 
Art auf uns gekommen, und es ist eine der 
Hauptaufgaben von Wissenschaft und Philoso- 
phie, deren Ursprung und letzte Ursache zu 
erforschen, um die Gründe für ihr Entstehen 
zu begreifen. Das also ist es, was in der Archi- 
tektur wie in jedem anderen Zweig der mensch- 
lichen Erfindungen und Institutionen als Typus 
zu bezeichnen ist ... Wir haben das so gründlich 
diskutiert, um das Verständnis für die Bedeu- 
tung des Wortes Typus, das in vielen Werken 
nur metaphorisch gebraucht wird, und für den 
Irrtum derer zu wecken, die diese Bedeutung 
neben der des Modells nicht kennen oder den 
Typus mit der Strenge eines Modells verwech- 
seln, das nach einer identischen Kopie ver- 
langt.”’3) 
Im ersten Teil seiner Definition 
schließt der Autor die Möglichkeit aus, 
etwas zu imitieren oder zu kopieren, da 
es in diesem Fall, wie er im zweiten Teil 
betont, keine „Schöpfung des Modeils’”” 
geben könnte, d.h. man würde keine Ar- 
chitektur machen können. 
Im zweiten Teil stellt er heraus, daß 
es in der Architektur (Modell oder Form) 
ein Element gibt, das seine eigene Rolle 
spielt; also nicht etwas, dem sich das ar- 
chitektonische Objekt in seinem Bil- 
dungsprozeß angeglichen hat, sondern 
etwas, das im Modell gegenwärtig ist. 
Dieses ist in der Tat die Regel, der kon- 
stitutive Modus der Architektur. 
In logischen Begriffen könnte man 
sagen, daß dieses Etwas eine Konstante 
ist. Eine Folgerung dieser Art setzt vor- 
aus, daß das architektonische Phänomen 
(fatto) als eine Struktur konzipiert wird, 
die sich an ihm selbst zu erkennen gibt 
und erkennbar ist. 
Wenn dieses Etwas, das wir als das typi- 
sche Element oder einfach als den Typus 
bezeichnen können, eine Konstante ist, 
so ist es in allen architektonischen Phäno- 
menen anzutreffen. Folglich ist es auch 
ein kulturelles Element und ihm kann als 
solchem in den verschiedenen architekto- 
nischen Phänomenen nachgegangen wer- 
den; die Typologie wird somit im großen 
und ganzen zum analytischen Moment 
der Architektur; noch besser ist sie zu 
erkennen auf der Ebene der städtebauli- 
chen Phänomene. Die Typologie stellt 
sich also als die Lehre von den nicht 
weiter reduzierbaren Typen der städti- 
schen Elemente dar, sowohl der Stadt 
wie der Architektur. Die Frage der 
monozentrischen Städte und der Zen- 
tralbauten oder anderes ist eine spezi- 
fisch typologische Frage; kein Typus ist 
identisch mit einer Form, auch wenn alle 
architektonischen Formen auf Typen zu- 
rückgeführt werden können. 
Dieser Prozeß der Zurückführung ist 
ein. notwendiges logisches Verfahren; 
Lil 
und es ist nicht möglich, über Probleme 
der Form zu sprechen und dabei diese 
Voraussetzungen zu ignorieren. In diesem 
Sinne sind alle Architekturtraktate auch 
Traktate von der Typologie, und bei der 
Entwurfsarbeit ist es schwer, diese beiden 
Momente zu unterscheiden. Der Typus 
ist also konstant und stellt sich mit einem 
Charakter von Notwendigkeit dar; aber 
wenn auch determiniert, so geht er doch 
ein dialektisches Verhältnis mit der Tech- 
nik, mit den Funktionen, mit dem Stil, 
mit dem Kollektivcharakter und mit dem 
individuellen Moment eines architektoni- 
schen Phänomens ein. 
Bekanntlich ist der zentrale Grundriß 
ein bestimmter Typus, zum Beispiel im 
Sakralbau; aber dadurch wird jedes Mal, 
wenn man einen zentralen Grundriß ge- 
wählt hat, eine dialektische Auseinander- 
setzung mit der Architektur jener Kirche, 
mit ihren Funktionen, mit der Technik 
der Konstruktion und schließlich mit der 
Gemeinschaft, die am Leben jener Kirche 
teilnimmt, geschaffen. 
Ich bin geneigt zu glauben, daß die 
Typen von Wohngebäuden sich seit der An: 
tike bis heute nicht verändert haben, aber 
das bedeutet auf keinen Fall zu behaupten, 
daß sich die konkrete Lebensweise von der 
Antike bis heute nicht verändert haben 
und daß nicht immer neue Lebensweisen 
möglich seien. 
Das Laubenganghaus ist ein antikes 
Schema und gegenwärtig in allen städti- 
schen Häusern, die wir analysieren; ein 
Gang, der Zimmer erschließt, ist ein not- 
wendiges Schema, aber die Verschieden- 
heiten zwischen den einzelnen Häusern in 
den einzelnen Epochen, die diesen Typus 
anwenden, sind so groß, daß sie unterein- 
ander enorme Unterschiede aufweisen. 
Schließlich können wir sagen, daß der 
Typus die Idee der Architektur an sich 
ist; das, was ihrem Wesen am nächsten 
kommt. Er ist also das, was sich, trotz je- 
der Veränderung, immer dem „Gefühl und 
dem Verstand” als Prinzip der Architektur 
und der Stadt dargestellt hat. 
Das Problem der Typologie ist niemals 
in einer systematischen Form und mit der 
notwendigen Ausführlichkeit behandelt 
worden; heute ist es dabei, in den Archi- 
tekturschulen aufzutauchen, und wird zu 
guten Ergebnissen führen. Ich bin nämlich 
überzeugt, daß die Architekten selbst, 2) 
wenn sie ihre Arbeit ausweiten und vertie- 
fen wollen, sich von neuem mit Themen 
dieser Art auseinandersetzen werden müs- 
sen. 
Wir wollen feststellen, daß die Typolo- 
gie die Idee eines Elementes ist, die eine 
eigene Rolle bei der Bildung der Form 
spielt; und daß sie eine Konstante ist. Es 
wird darum sich handeln, die Modalität, mit 
der dieses geschieht, und abhängig davon 
den effektiven Wert dieser Rolle zu erken- 3) 
nen. Wie ich zu Anfang gesagt habe, sind 
die Prinzipien der Architektur einmalig 
und unveränderlich; aber die Antworten, 
die die konkreten Situationen, die mensch- 
lichen Situationen, auf verschiedene Fra- 
gen geben, sind andauernd verschieden. 
Ich habe somit eine vorläufige Untersu- 
chung der typologischen Fragen vollzogen 
und habe versucht, die Definition von eini- 
gen einführenden Thesen abzuleiten. Es 
wäre sehr interessant, andere Definitionen 
des Typus und andere Richtungen der Un- 
tersuchung' zu analysieren. 
Ich weise auf die Definition hin, die von 
Guido Canella gegeben wurde. Auf unter- 
schiedlichen Wegen gelangte er dazu, die 
Typologie als ‚, ... die Systematik zu de- 
finieren, die die Invarianten der Morpholo 
gie untersucht, wobei unter Morphologie 
eine Reihe von Ereignissen, die sich in 
einer historischen Tatsache ausdrücken 
und unter Typologie der kategoriale 
Aspekt zu verstehen ist, der aus der beson- 
deren Aufeinanderfolge (der Ereignisse) 
sich ergibt.” 
„Die Invariante”, so schreibt er, „wird 
in der Tat, wenn man sie als eine metho- 
dische Aufgabe begreift, zur Philosophie 
der Architekten.’ Diese Definition der 
„Invarianten” scheint mir sehr interessant 
und sehr ähnlich derjenigen zu sein, die 
hier, wenn auch in einem anderen Zusam- 
menhang, vorgestellt wurde; dieses ermög-: 
licht neue Vergleiche und neue Beiträge. 
Ein interessanter Beitrag zu diesen 
Untersuchungen ist auch von Carlo Aymo- 
nino geliefert worden, der bei der Erfor- 
schung der Typologie sich vor allem mit 
jenen Beziehungen beschäftigt, die histo- 
risch in der Aufklärung und in der mo- 
dernen Bewegung zwischen dem Entwer- 
fen und der Normierung aufgetreten 
sind und der sich bemüht, die Typen 
herauszustellen, die sich immer mehr 
zu einer spezifischen Form verdichten. 
Er sieht dann in einigen aktuellen Pro- 
jekten wie dem von Cumbernauld eine 
Architektur, die, da sie formal gelöst ist, 
selbst zum Typus und zum Reglement 
wird. 
1) Jean-Nicolas-Louis Durand, Precis des legon 
d’architecture donnees a L’Ecole polytech- 
nique, Paris 1802—1805, dtsch.; Abriß der 
Vorlesungen über Baukunst, gehalten an der 
königlichen polytechnischen Schule zu Paris, 
Band 1, Carlsruhe—Freiburg, 1831 
Den Begriff “fatto urbano’’ haben wir mit 
städtischem Phänomen übersetzt, weil im 
Deutschen für ‚‚fatto’’ (Tatsache, Sache, Er- 
eignis u.a.) keine direkte Entsprechung zu 
finden ist, die die von Rossi mit diesem Be- 
griff anvisierte Bedeutung genau und präzis 
wiedergibt, nämlich die verschiedenen Aspek 
te der Stadt durch eine ihnen gemeinsame 
Eigenschaft, ein ‘Faktum' der Stadt zu sein 
zu charakterisieren. Wir stützen uns bei die- 
ser Interpretation auf Aymonino, der im 
gleichen Zusammenhang statt von ‚„fatto 
urbano” auch von ‚„‚fenomeno urbano” 
spricht. 
Quatremere de Quincey, Distionaire histo- 
rique de L’Architecture, Paris 1832 
= 
= 
Übersetzung : Nikolaus Kuhnert und Michael Peterek
	        

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