außer, daß der Architekt ‘als oberster
Leiter ..... seine Gehilfen, Meister und
Gesellen mit diesem (seinem) Geiste zu
erfüllen‘ habe; kaum ein Wort zum Ab-
lauf von Entwurf und Planung, außer, daß
auf eine erste Phase der ‘“Composition”
eine Phase der Durcharbeitung der Werk-
pläne folgt, an die dann die Phase der
Ausführung anschließt.
Solcher Mangel an Hinweisen wird je-
doch verständlich, wenn man das Entwer-
fen als einen — bei vergleichsweise einfa-
chen Bauaufgaben -—- gerade noch realisier-
baren, auf Ganzheit bezogenen schöpferi-
schen Vorgang in doppeltem Sinne ver-
steht: zum einen ‘stehen Ausführung und
Conception in innigster Beziehung zuein-
ander”, sind eine Ganzheit, die in die
Hand des “Architekten gleich Baumeister”
gegeben ist; wo Arbeitsteilung mit der
notwendigen Frage nach der Organisation
vorkommt, wird sie vom Architekten
dank seines umfassenden ‘Wissens und
Könnens” zentral koordiniert, indem er
alle Beteiligten ‘mit seinem Geist erfüllt”
— nur so kann das Kunstwerk als Ganz-
heit entstehen. Zum anderen ist es gerade
dieses Kunstwerk als Ganzheit, auf das
der Vorgang des ‘““Entwerfens”’ als ‘“ganz-
heitlicher Gestaltungsvorgang”” gerichtet
ist; ein Gestaltungsvorgang, der stets von
der als Ganzheit verstandenen Aufgabe zu
einer als Ganzheit verstandenen Lösung
führt; vermittelt über die auf die Ganzheit
des Kunstwerkes bezogenen Vorstellun-
gen — die ‘Idee’” — im Kopf des individu-
ellen Baukünstlers; so erscheint das Ent-
werfen auch als ein schrittweiser Konkre-
tisierungsvorgang, bei dem die in ‘der
Stunde der Inspiration’ zugefallene An-
fangsidee, ‘in langen Tagen des Ringens”
zunehmend konkretisiert wird, und als
ganzheitliche Idee auch das letzte Detail
noch bestimmt: ‘dem Bau bis in die letz-
ten Einzelheiten das Gepräge seines Gei-
stes verleihen.”
Etwa 25 Jahre später bringt Walter Gro-
pius dieses Fehlen von Hinweisen auf Me-
thode und Organisation auf den einfachen
Nenner: ‘Kunst entsteht oberhalb aller
Methoden, sie ist an sich nicht lehrbar, . .
...” (Gropius (1919) 1964, 48). Die auf
Ganzheit bezogene Vorstellung vom Ent-
werfen und Bauen als “Kunst” setzt je-
doch u.a. voraus: die individuelle Bauauf-
gabe, das schöpferische Individuum, die
Intuition als Grundlage seines Vorgehens
und den mit Autorität ausgestatteten
Schöpfer: das baukünstlerisch individuell
-intuitive Entwurfsverständnis. Für den
sich diesem Entwurfsverständnis verpflich-
tet fühlenden Baukünstler zählt allein das
Kunstwerk, das architektonische Ergeb-
nis; dem Publikum gegenüber ist er keiner-
lei Rechenschaft über das Zustandekom-
men seines Werkes, weder über den Pro-
zeß, noch über die Organisation noch
über die Umstände schuldig: ‘Der Künst-
ler ist seiner innersten Essenz nach glü-
hender Individualist, freier spontaner
Schöpfer .....'’. (H. van de Velde (1914)
1964, 26) .
Um dises hochgezogene berufliche
Selbstverständnis auch ausfüllen zu kön-
nen, bedurfte es allerdings der Erfüllung
zweier wichtiger Anforderungen:
— als Baukünstler muß der Architekt um-
fassend und in hohem Maße qualifiziert,
d.h. ein in besonderer Weise ausgezeichne-
ter Mensch sein: ‘Herr der Form sein,
heißt: 1) ein angeborenes Talent, einen
lebendigen Sinn und ernsten Schaffens-
drang für alles Große und Schöne besit-
zen; 2) die Meisterwerke der Kunst genau
erkannt, ihre Formsprache erfaßt und
das Wesen der Architektur ergründet ha-
ben, um ihren Aufgaben gewachsen zu
sein; 3) die Reife des Urteils und der
Selhsterkenntnis erworben haben, um
nach Maßgabe der unwandelbaren Ge-
setze der Architektur die Schöpfungen
seiner Phantasie verkörpern zu können”
(Wagner, 1883, 9).
— muß er notwendigerweise mit hoher
Autorität ausgestattet sein, um den ganz-
heitlichen Vorgang der Produktion eines
Baukunstwerkes von der ersten ‘“Idee’”
bis ‘in die geringsten Einzelheiten” tra-
gen zu können; diese auf die Kunstwerk-
produktion gerichtete Autorität wird er-
weitert und ideologisch überhöht auf ein
grundsätzlich autoritäres, dem Architek-
ten als Kunstwerksproduzenten und Ide-
enträger eigentümliches berufliches Selbst-
verständnis: autoritär gegenüber der Ge-
sellschaft, dem Bauherrn, anderen Fach-
leuten, Mitarbeitern, Bauarbeitern und
schließlich den Nutzern des Bauwerks; sie
alle haben sich dem Kunstwerk — “sei-
nem Kunstwerk” — zu unterwerfen.
Schon zur Zeit Heinrich Wagners mußte
dieses Kunstwerk natürlich als mindeste
Voraussetzung praktisch sein: ‘Damit das
Bauwerk dem Zwecke, dem es seine Ent-
stehung verdankt, diene, muß es vor allem
den materiellen Bedingungen der Aufgabe
entsprechen” (5). Neben die Baukunst als
Quelle autoritärer Haltung des Architek-
ten, kann so auch noch die ‘““Funktion””,
das Fachwissen über den Gebrauchswert
eines Gebäudes, zur Quelle weiterer Auto-
rität werden. Daß auch damals die Zei-
chen nicht in Richtung “reine (d.h. von
Zwecken freie) Baukunst” deuteten, be-
klagt Wagner in einem Nebensatz: “Die
Baukunst ist zur Ware geworden; sie rich-
tet sich nach Angebot und Nachfrage”.
(36)
Zur Modifikation des baukünstlerischen
Entwurfsverständnisses
Eine erste ‘Theorie des architektoni-
schen Entwerfens*‘“ versuchte Friedrich
Ostendorf 1914 in seinen “Sechs Büchern
vom Bauen” ; sie gelang allerdings mehr
zu einer - bewußt traditionalistischen -
Gebäudelehre mit an vielen Stellen ein-
gestreuten Überlegungen zum Entwurfs-
verständnis. Gegenüber den Ausführungen
Heinrich Wagners ist Ostendorf eigentlich
nur ausführlicher - ansonsten fährt er
ohne großen Unterschied auf der gleichen
Bahn. So ist auch für Ostendorf Aus-
gangspunkt des ‘künstlerischen Entwer-
fens‘“ die “/dee”: ‘Die Idee für die kör-
perliche Erscheinung ist das erste, der
Grundriß entsteht erst unter der Herr-
schaft der Idee‘ (Ostendorf, 1914,11).
Nun gibt es zwei Arten von Entwerfen:
vom ‘künsterlerischen Entwerfen“ grenzt
Ostendorf das Entwerfen all jener in der
tagtäglichen Baupraxis steckenden Archi-
tekten ab, die seines Erachtens keine Bau-
künstler sind und er meint zu ihren Bau-
werken: “ (Hier) hat der Architekt gar
keine künstlerische Idee gehabt. Er hat
nach dem Raumprogramm den Grund-
riß aufgezeichnet, sodaß die Räume mög-
lichst praktisch angeordnet sind. Und
dann hat er zu dem Grundriß einen Auf-
riß gezeichnet, so gut es gehen wollte.‘
(4) Für Ostendorf bedeutet “Entwerfen”,
“eine mit Baumaterialien zur körperli-
chen Erscheinung gebrachte künstlerische
Idee, wie ein Bild eine mit Malmateria-
lien ausgeführte künstlerische Idee ist”
(Ostendorf 1915,4). Gegenüber Wagner
erwähnt Ostendorf immerhin den Bau-
herrn in seiner Rolle als Programmge-
stalter: ‘Das Bauprogramm (wird) wie
in allen Fällen vom Bauherrn aufge-
stellt, der ein Gebäude, wie er es versteht,
errichten lassen will“ (1919,23), wobei es
dann dem Architekten obliegt, ‘die ein-
Fachste Erscheinungsform für ein Baupro-
gramm zu finden“. (1914,3) Dabei ist der
Architekt nun ganz gewiß nicht mehr
“freier” Baukünstler: ‘Ein Gesetz bindet
die Erscheinungsform an das Programm;
es ist nichts willkürliches, auf der sie (die
Erscheinungsform) beruht“ (129).
Den Entwurfsprozeß beschreibt Osten-
dorf dann wie folgt: ‘Bevor er (die künst-
lerische Idee) zu Papier bringt/ schwebt
ihm die Erscheinung des Bauwerks vor der
Seele. Er wird das Raumprogramm nach
allen Seiten hin durchdenken und wird
sich bei vielräumigen und verwickelteren
Bauten über die Möglichkeit der Grund-
rißanlage auf dem Papier einige Klarheit
verschaffen und hiernach in einer glück-
lichen Stunde die Idee zur Gestaltung des
Bauwerks... fassen und prägen und schließ-
lich die fertige Idee in einer Skizze auf-
zeichnen: wie der Maler die Idee eines Bil-
des. Und wie dieser nun weiter von der ge-
wonnenen Stelle aus die Idee durchdenkt
und die Skizze verändert, verbessert, wie
er sie so dem schließlich abgerundet in Er-
scheinung tretenden Bild immer näher
bringt, so wird auch der Baukünstler bei
der ersten Skizze selten stehenbleiben.
Auch er wird das Bauprogramm von neu-
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