licht und z. T. verwissenschaftlicht; die
baukünstlerische Dimension des Entwerfens
wird auf den winzigen Spielraum der Fassa-
denteilung und der Lüftungsrohrskulptur
reduziert, auch auf die ‚saubere‘ Durchar-
beitung von Fertigteilen. Dieses versach-
lichte Entwurfsverständnis wird zur Haupt-
strömung, wird es doch dem technologi-
schen Fortschritt als adäquat angesehen:
die quasi-wissenschaftliche Vorgehenswei-
se, die Hannes Meyer propagiert hatte, fin-
det sich als Allgemeingut in Lehrveranstal-
tungen und bei Wettbewerben wieder; der
Architekt als Experte unter Experten im
„‚team” findet sich mit dem Verlust seiner
autoritären Spitzenposition ab — unter den
Tisch gekehrt wird der politische Anspruch
von Hannes Meyer und seine Einbeziehung
der Nutzer ins Kollektiv.
Das baukünstlerische Entwurfsverständ-
nis wird von der Bürokratisierung des Bau-
ens, der Rationalisierung des Bürobetrie-
bes und der Baustelle, den Forderungen
nach nackter Zweckerfüllung und der im
Gefolge des technischen Fortschritts ein-
brechenden Flut neuer rationeller Bautech-
nologien vom Sockel gespült, wird endlich
zur schmalen Nebenströmung: die großen
Meister sterben aus; der Brutalismus ist
letztes Aufbegehren baukünstlerischen 3)
Anspruchs; Architekten bezeichnen sich als
„‚Bauplaner” und sprechen offen vom „Tod
der Baukunst’. Der König ist tot — es lebe
der König!
Denn nun kann die den Trägern des
ökonomisch-technischen Wandels zunächst
nützliche, dann aber als unbequem und
überflüssig fallengelassene Baukunst eine
neue Funktion gewinnen: befreit von ‚der
Not der Zwecke” und dem Zwang zur
Ästhetisierung nackten Nützlich- und Pro-
fitlichkeit kann sie in den Dienst des po-
litischen Widerstandes gegen Bürokratisie-
rung, übermächtig erscheinende Sachzwän-
ge, Unterdrückung des Subjektes und ent-
menschlichende Rationalisierung genom-
men werden; bietet sie ein emanzipatori-
sches Potential der Subjektivierung, der
wortlosen Kritik und der ästhetischen Pro-
vokation. Damit aber gewinnt auch das
baukünstlerische Entwerfen, das „„Compo-
nieren” einen neuen Stellenwert: den der
individuellen oder auch kollektiven Selbst-
findung, der Rückbesinnung zum Subjek-
tiven, der Artikulation von Protest und des
Erfindens und Aufzeigens alternativer
Möglichkeiten — deren Politisierungsef-
fekt gerade darin besteht, daß diese Mög-
lichkeiten, die vom Gebrauchswert aus-
gehen, nicht aktualisiert, von offizieller
Seite als nicht realisierbar eingestuft wer-
den. D.h. dieses in den Dienst politischen
Widerstandes genommene baukünstlerische
Entwerfen löst sich vom Realisieren, von
der „Produktion von Architektur”; es
verselbständigt sich als politisches Medium.
Wohl gemerkt: es handelt sich um ein
Potential — eine mögliche und sicherlich
2}
2
.-
auch nicht breit wirkende Strategie des
Widerstandes, die zudem noch ständig in eg
Gefahr schwebt, als Nostalgie mißverstan-
den und als Flucht in die Traumtänzerei
mißdeutet zu werden. Und in der Tat,
nicht vieles, was heute entworfen, wieder 7)
„componiert” wird, ist getragen vom Geist
des Widerstandes und Protestes.
1) Unter “Zwanziger Jahren’ wollen wir jene
Periode besonderer stilistischer und techni-
scher Leistungen im Bau- und Städtbauwe-
sen verstehen, die zwischen dem Ende des
Ersten Weltkrieges und dem Beginn des *’3
Reiches‘ liegt; also zwischen 1918 und
1933; vgl. Tendenzen der Zwanziger Jahre,
1977, 22
Unter dem Begriff ‘“Neues Bauen” versam-
meln wir hier die vielfältigen funktionalisti-
schen Bewegungen der Zwanziger Jahre, die
als “Internationaler Stil’’, Funktionalismus,
Bauhaus, Neue Sachlichkeit, Rationalismus,
Konstruktivismus etc. in die Architekturge-
schichte eingegangen sind. vgl. Hierzu Nor-
bert Huse: “Neues Bauen’ 1975, 10-11.
Im 19. Jahrhundert kann noch eine andere
“Fast-Hauptströmung’’ baukünstlerischen
Entwurfsverständnisses ausgemacht werden
das morphologisch-typisierende Entwurfs-
verständnis, das auf J.N.L. Durand zurück-
geht; auch dieser Ansatz war “autoritär””,
stand doch zumindest in Frankreich die
Autorität des Staates dahinter. Wiewohl wir
auch in den Zwanziger Jahren Weiterent-
wicklungen dieses morphologisch-typisie-
renden Entwurfsverständnisses vorfinden,
wollen wir es hier nicht weiter berücksichti-
gen. Vgl. ausführlich hierzu: Leonhard Bene-
volo: Geschichte der Modernen Architektur,
79; und Carlo Aymonino: I! significato della
Citta, 1976/77 — 81.
Wir wollen uns hier auf die holländischen
Konstruktivisten, die sich im und um die 10)
“de Stijl-Gruppe” scharten beschränken und
die russischen Konstruktivisten nicht be-
rücksichtigen, obwohl sich gerade bei ihnen
wichtige Verbindungen zwischen wissen-
schaftlicher Methodik und sozialistischer 11)
Programmatik finden, während die holländi-
schen Konstruktivisten eher unpolitisch z.T
antisozialistisch eingestellt waren. Wir be-
zeichnen hier den Ansatz der Konstrukti-
visten als ‘kooperativ’’, wiewohl sie ihren
Ansatz selber immer als ‘’kollektiv’” bezeich-
nen. Der Unterschied zwischen ‘“kooperativ”’
und “kollektiv”” kann uns jedoch hier nicht
nebensächlich sein:
wenn ‘kooperativ”’ die gleichgeordnete Zu-
sammenarbeit zwischen Fachleuten, Ex-
perten bezeichnet, die gemeinsam an einem
Produkt, Entwurf oder Konzept arbeiten,
dann kann dieses ‘kooperative Zusammen-
arbeiten” noch immer nach außen hin auto-
ritär organisiert sein: etwa gegenüber den
Herstellern des Produktes oder den Nutzern. 12)
Unter “kollektiv”’ soll daher ein Arbeitszu-
sammenhang verstanden werden, in den vor
allem die Nutzer des Produktes u.U. auch
die Hersteller einbezogen sind; und zwar als 13)
aktiv am Prozeß Mitwirkende; dieses ‘kol- 14)
lektive Zusammenarbeiten” kann folglich
nicht autoritär organisiert sein — auch
wenn sich einzelne innerhalb des Zusam-
a
menhangs autoritär verhalten mögen.
vgl. hierzu u.a. Jost Hermand, 1977, 12-20
hierzu gibt es Hinweise bei Sullivan, Wright,
Bruno Taut, Erich Mendelsohn u.a.; und
mündliche Berichte über das Arbeiten mit
Ernst May und Walter Gropius.
In seiner “Abhandlung über die Methode des
richtigen. Vernunftsgebrauchs”’ beschreibt
Rene Descartes vier Regeln, die er bei sei-
ner Arbeit als Mathematiker. befolgt:
“Die erste war, niemals etwas als wahr
anzunehmen, wenn ich nicht ganz sicher
und klar erkenne, daß es wirklich ‚wahr ist .
Die zweite: jede schwierige Frage, die
ich untersuchen würde, in soviel Einzelfragen
zu zerlegen, daß eine bequemere Lösung
möglich wird. (Die Analyse, d.V.)
Die dritte: bei Erforschung der Wahr-
heit alle meine Gedanken stets in eine gewis-
se Ordnung zu bringen: mit dem Einfach-
sten und Faßlichsten zu beginnen, um all-
mählich, gleichsam stufenweise, zur Erkennt-
nis des Schwierigeren und Verwickelteren zu
gelangen und auch solche Dinge, die nicht von
selbst in einem solchen Folgeverhältnis ste-
hen, doch in eine gewisse Ordnung zu brin-
gen. (Die Synthese, d.V.)
Und die letz te: Sowohl bei Erfor-
schung des Wesens einer Sache als auch bei
Betrachtung aller einzelnen Schwierigkeiten
so vollständig Aufzählungen und umfasssende
Übersichten zu geben, daß ich sicher wäre
nichts auszulassen.” Descartes (1638) 1851,
30-1 -
Descartes merkt zu diesen Regeln an: „Diese
vier Regeln, so wahr sie auch sind, werden
gewiß nicht imstande sein irgend einen
Menschen zu tieferen Erkenntnissen zu füh-
ren. Sie können nicht ohne weiteres von je-
dem mit Erfolg benutzt werden” 31),
Zur Bedeutung des Begriffs „„Konstruktivis-
mus” vgl. Tendenzen der Zwanziger Jahre,
1977, 1/77-8); wir verwenden den Begriff
‚„‚Konstuktivismus” ebenfalls als einen Sam-
melbegriff zumal gerade die hiermit bezeich:
nete Bewegung nicht umhin konnte, sich al-
le Nase lang einen neuen ‚, . . . . ismus’’ an
die Fahne zu heften.
vgl. hierzu u.a. den Brief von J.J.F. Oud an
Adolf Behne, in dem er sich über van Does-
burg mockiert; in: Tendenzen der Zwanzi-
ger Jahre, Bauwelt 33/77, 1092
vgl. ausführlicher zu der Bedeutung Cor van
Eesterens für eine „moderne” versachlichte
Auffassung von Stadtplanung: Manfred
Bock in Tendenzen der Zwanziger Jahre,
1977, 1/37-9
Zu den wenigen Vertretern eines versach-
lichten Urbanismus zählt u.a. Anton Hoenig,
Stadtplaner bei der Stadt Köln, der als einer
der ersten systematische Stadtforschung be-
trieb, die Elemente der Stadtentwicklung
analysierte und ihre Beziehung in mathema-
tischen Modellen faßte. Bezeichnend ist, daß
die wichtigen Grundlagenarbeiten Hoenigs
verdrängt wurden und vergessen waren, als
in den 60er Jahren in der Bundesrepublik
solche Arbeiten sich auf breiterer Ebene zu
entwickeln begannen. Auch darin zeigt sich
die Natur des „programmatischen Vor-
griffs’‘, der sich gegen die baukünstlerische
Auffassung von Städtebau nicht halten
konnte. Vgl. Hoenig, 1928, 197-9; und
231-5. 2
vgl. u.a. zu dieser Auseinandersetzung ZW!"
schen den beiden Vertretern unterschiedli-
cher Entwurfs- (und Planungs-) Verständnis-
se M. Steinmann, 1972, 32-45.
vgl.hierzu Das Neue Frankfurt, (7/1927)1977
vgl. hierzu den feinen Unterschied zwischen
der Vorstellung von Gropius: „Das Wesen’
des (Architekten)berufes ist nicht das eines
Technikers, sondern das eines zusammenfas-